Rechtsanwälte veröffentlichen in Deutschland keine Schriftsätze. Das ist jedenfalls das Ergebnis einer von mir veranstalteten Google-Suche nach derartigen Texten. Woran kann das liegen? Die Schriftsätze in den Tatsacheninstanzen mögen im Normalfall für die Öffentlichkeit nicht so interessant sein. Spätestens bei den Höchstgerichten stehen aber regelmäßig Rechtsfragen von allgemeiner Bedeutung im Mittelpunkt. Trotzdem sind nur drei nennenswerte Revisionsbegründungen (wozu ich unbescheiden eine von mir rechne) vorhanden: Roman Götze: Revisionsbegründung zum Bundessozialgericht vom 20. Februar 2004 – B 4 RA 57/03 R (Intelligenzrente), Steffen Himmelmann: Revisionsbegründung zum Bundesverwaltungsgericht vom 9. Januar 2006 – 7 C 1.06 (Planfeststellungsbeschluss) …
15. März 2011
28. Februar 2011
Vergleichsbefristung erneut beim Bundesarbeitsgericht
Die bisherige Auslegung der Befristungsgründe nach § 14 Abs. 1 TzBfG durch das Bundesarbeitsgericht wird derzeit, worauf ich bereits vor Kurzem hinwies, stark in Frage gestellt. Das dort geregelte System der Rechtfertigung von Befristungen durch sachliche Gründe muss sich nämlich am Maßstab des § 5 Nr. 1 Buchst. a der Rahmenvereinbarung im Anhang der Richtlinie 1999/70/EG messen lassen. Der zuständige 7. Senat des Bundesarbeitsgerichts selbst stellte deshalb im vierten Quartal des Jahres 2010 mit zwei Vorlagebeschlüssen Fragen zur Auslegung dieser Vorschrift an den Europäischen Gerichtshof. Im ersten Beschluss ging es um die Haushaltsbefristung nach § …
27. Februar 2011
Übergabeprotokoll an die Strafverfolgungsbehörde
Von: Email DirectBox <mahnung@email-directbox.com> Betreff: Übergabeprotokoll an die Strafverfolgungsbehörde März 2011 Sehr geehrter Kunde, da bis heute immer noch KEIN Zahlungseingang von Ihnen erfolgt ist, möchten wir Sie nochmals ausdrücklich daran erinnern, Ihren Zahlungsrückstand auszugleichen. Allein somit können Sie sämtlichen gerichtlichen Konsequenzen und Bonitätsverschlechterungen aus dem Weg gehen! Die Strafanzeige wird am 07.03.2011 von uns in Auftrag gegeben. An: Staatsanwaltschaft München I <poststelle@sta-m2.bayern.de> Betreff: Übergabeprotokoll an die Strafverfolgungsbehörde März 2011 Sehr geehrte Damen und Herren, anbei leite ich Ihnen eine E-Mail weiter, bei der es sich offensichtlich um einen Betrugsversuch gegenüber wahllos ausgewählten (wahrscheinlich hunderttausenden) …
24. Februar 2011
Veni, vidi, vici
Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs verhandelte und entschied heute über einen von mir durch die Instanzen begleiteten Baurechtsfall. Ich habe an der mündlichen Verhandlung als Vertreter der klagenden Bauherrin gegenüber dem von uns eingeschalteten Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof Dr. Wendt Nassall teilgenommen. Der beklagte Architekt wurde von Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof Prof. Dr. Norbert Gross vertreten. Äußerlich bot der Gang der mündlichen Verhandlung für mich zunächst einige Überraschungen. Die Rechtsanwälte beim Bundesgerichtshof bleiben nach dem Einzug des Senats nämlich stehen, um nach Aufnahme der Anwesenheit durch den Vorsitzenden gemäß § 137 Abs. 1 ZPO sogleich die Anträge …
21. Februar 2011
Rechtszweifel wegen akademischen Grads und Adelsbezeichnung?
Der wegen Plagiatsvorwürfen in der Kritik stehende „Dr.“ Karl Theodor […] „Freiherr von und zu“ Guttenberg stammt aus einer ehemals adeligen Familie und ist Mitglied der Christlich-Sozialen Union (CSU) in Bayern. Er leistete Wehrdienst und verwaltete das – vermutlich nicht im Schweiße des eigenen Angesichts erworbene – Familienvermögen. Im Jahr 2009 wurde er dann mit 37 Jahren erst Bundesminister für Wirtschaft und Technologie und kurz darauf Bundesminister der Verteidigung. Wegen besonderer Leistungen trat er bislang nicht hervor. Weshalb also ist er bei den Bildzeitungslesern so populär und weshalb steht er wegen zitatlosen Abschreibens vor allem …
19. Februar 2011
Innocence not in danger: Guttenberg ist kein Raubkopierer
Wegen abgeschriebenen Doktorarbeiten kam es schon zu Strafverfahren, zum Beispiel im Fall „Kasper„. Auch im Fall „Guttenberg“ liegt, wie der Leitende Oberstaatsanwalt Thomas Janovsky von der Staatsanwaltschaft Bayreuth bestätigte und wie es in Deutschland nicht anders zu erwarten ist, bereits eine Strafanzeige vor. Angesichts des hier bestehenden besonderen öffentlichen Interesses wäre für die Durchführung des Verfahrens nicht einmal ein Strafantrag nach § 109 UrhG erforderlich. Unabhängig davon, ob die Vorwürfe gegen Herrn zu Guttenberg nun zutreffen, die betreffenden Passagen Schöpfungshöhe aufweisen und er bei einem Abschreiben derselben vorsätzlich handelte oder nicht, wird man ihn aber …
18. Februar 2011
Guttenberg – der ganze Mann eine Fälschung?
Als ich vorgestern die ersten Meldungen von den Plagiatsvorwürfen gegen zu Guttenberg gelesen und mir auch die Dissertationsrezension, die den Rummel ausgelöst hat, angesehen hatte, war mein erster Gedanke: Gut, den Doktortitel wird er wohl aberkannt bekommen, aber Minister darf er wegen seines politischen Talents bleiben. Ich hatte und habe keine politische Meinung zu zu Guttenberg. Inmitten all den anderen politischen Gestalten ist er ja eine interessante Erscheinung. Nur etwas zu gegelt ist er mir und zu aufdringlich der Medienrummel, der um ihn veranstaltet wird. Daß ihm schon aufgrund der Vorwürfe in der Rezension der …
13. Februar 2011
Nachträgliche Sicherungsverwahrung – Der rehabilitierte Justizminister?
Ich war kürzlich an dieser Stelle böse zum niedersächsischen Justizminister. Unter anderem habe ich geschrieben: „Der Justizminister scheint demgegenüber in seinen Fehlvorstellungen so etwas wie einen Machtkampf zwischen dem BVerfG und dem EGMR beschwören zu wollen. Dann hätte er aber etwas in den falschen Hals bekommen: Der Fall ist von vornherein nicht vergleichbar mit dem potentiellen Konflikt zwischen dem BVerfG und dem EuGH [..].“ Möglicherweise habe ich ihm insoweit unrecht getan. Denn jedenfalls in der Darstellung von bestimmten Pressemeldungen scheint der Präsident des BVerfG in der mündlichen Verhandlung vor dem 2. Senat des BVerfG am …
12. Februar 2011
Paukenschlag aus Bad Salzungen – rechtsmethodischer Beitrag von Burschel
Hans-Otto Burschel, Direktor des Amtsgerichts Bad Salzungen, steht im Verdacht, früher nicht Recht im Namen des Volkes, sondern im Namen des Volkers gesprochen zu haben. Auch seit seiner Aufnahme als Experte im (fortschrittlich-stylisch klein geschriebenen) beck-blog fiel er insgesamt eher durch Klamauk auf. In seinem Beitrag zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung bei der Berechnung des nachehelichen Unterhalts (BVerfG, Beschluss vom 25. Januar 2011 – 1 BvR 918/10, bei lexetius.com ohne die vielen Tippfehler) scheint nun sogar so etwas wie rechtsmethodisches Interesse durch. Dass sich methodisch durchdrungenes Recht und täglich gelebte Rechtspraxis …
10. Februar 2011
Kodifikationsrecht gegen Common Law
Die Law Society of England and Wales provozierte am 20. März 2008 mit der Broschüre „England and Wales: The jurisdiction of choice“ inzwischen bereits zwei konzertierte Reaktionen der Bundesnotarkammer, der Bundesrechtsanwaltskammer, des Deutschen Anwaltvereins, des Deutschen Notarvereins und des Deutschen Richterbunds. Diese gaben nämlich am 11. November 2008 die Broschüre „Law – Made in Germany. Global, effektiv, kostengünstig“ und am 7. Februar 2011 die Broschüre „Kontinentales Recht. Global, sicher, flexibel, kostengünstig“ heraus. Damit soll der Entwicklung entgegen gewirkt werden, dass kontinental-europäische Unternehmen nicht nur für internationale Vertragsverhältnisse, sondern immer öfter auch für rein nationale das …
7. Februar 2011
Wendung um 360 Grad beim Bundesarbeitsgericht
Das Befristungsrecht befindet sich seit der Entscheidung Adeneler des Europäischen Gerichtshofs aus dem Jahr 2006 in einem Prozess grundlegender Umwälzung (siehe nur EuGH, Urteil vom 4. Juli 2006 – C-212/04 – Adeneler; EuGH, Urteil vom 13. September 2007 – C-307/05 – Del Cerro Alonso; EuGH, Urteil vom 23. April 2009 – C-378/07 – Angelidaki). Maßstab dieser Rechtsprechung ist die Rahmenvereinbarung im Anhang der Richtlinie 1999/70/EG. Bei der Auslegung des Teilzeit- und Befristungsgesetzes vom 21. Dezember 2000 durch den dafür zuständigen 7. Senat des Bundesarbeitsgerichts spielte diese Rahmenvereinbarung zunächst keine Rolle. Umso größeres Aufsehen erregten deshalb …
4. Februar 2011
Was vom Sommer unseres Lebens übrig blieb
Wenn man eine Rangliste der meistdiskutierten Gerichtsentscheidungen des letzten Jahres aufstellen würde, wäre das WLAN-Urteil des BGH vom 12.05.2010 (I ZR 121/08), von diesem mit dem Titel „Sommer unseres Lebens“ versehen, sicherlich weit vorne mit dabei. Unter den 550.000 bei dejure.org verzeichneten Entscheidungen ist sie sogar diejenige, zu der mit Abstand die meisten Nachweise vorhanden sind (siehe vorstehenden Link). Hier mag allerdings eine gewisse Verzerrung hineinspielen, ist es doch nach wie vor so, daß sich „das Internet“, auch das juristische, überproportional für „Internetthemen“ interessiert. In dieser Woche sind zwei Entscheidungen veröffentlicht worden, die, jede auf …
23. Januar 2011
Nachträgliche Sicherungsverwahrung – Die Stunde des populistischen Justizministers
Nachdem am 13. Januar der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) erneut die deutschen Regelungen zur nachträglichen Sicherungsverwahrung für menschenrechtswidrig erklärt hatte (Beschwerde-Nr. 17792/07 u.a.), meldete sich der niedersächsische Justizminister mit interessanten Äußerungen zu Wort: Er sagte zum einen, daß er aufgrund des Urteils keinen nachträglich Sicherungsverwahrten entlassen werde: „Der Niedersachse bleibt stur. Ich lasse keinen raus.“ Recht hat er! Zwar hatte, kurz nachdem die erste Verurteilung Deutschlands wegen Verstoßes gegen die Menschrechtskonvention (MRK) rechtskräftig geworden war (Beschwerde-Nr. 19359/04), der 4. Strafsenat des BGH eine überschießende Konventionsfreundlichkeit gezeigt und war aufgrund der Entscheidung des EGMR zur …
22. Januar 2011
Typografie und rechtsprechende Gewalt
Die Staatsgewalt wird nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG unter anderem durch Organe der Rechtsprechung ausgeübt. Unabänderlicher Maßstab der Rechtsprechung ist hierbei nach den Artt. 20 Abs. 3, 79 Abs. 3 GG das Rechtsstaatsprinzip. Im Mittelpunkt unseres von den Gerichten befriedeten Gemeinwesens steht also das Recht. Von allgemeiner Bedeutung ist dabei nicht das in imposanten Gerichtsgebäuden „gesprochene“, sondern das geschriebene, also schriftlich fixierte und veröffentlichte Recht. Macht wird gemeinhin mit Form betont. Es wäre also zu erwarten, dass die von der rechtsprechenden Gewalt produzierten Rechtstexte typografischen Anforderungen genügen. Mit der Typografie werden Inhalt, …
13. Januar 2011
Das Münchhausen-Kunststück des Bundesgerichtshofs
Der BGH hatte kürzlich einen prozessual kniffligen Fall mit Bezügen zum europäischen Zivilverfahrensrecht und zum Versicherungsrecht zu entscheiden, an dem – aus der Sicht des BGH – die beiden Vorinstanzen gescheitert waren (BGH, Urteil vom 7.12.2010 – VI ZR 48/10). Doch der Rechtsfehler, den der BGH beanstandet hat, verblaßt gegenüber dem, der ihm selbst unterlief: Mit seiner Entscheidung verstößt der BGH gegen das Rechtsstaatsprinzip. Aber der Reihe nach: Es geht um einen Verkehrsunfall, der sich auf einer französischen Autobahn zugetragen hatte. Die in Deutschland ansässige Klägerin ist Eigentümerin eines LKW, auf die ein anderer LKW …
3. Januar 2011
Das schlechte Gewissen des Bundesfinanzhofs
Ein starkes Stück finde ich den Berichtigungsbeschluß des V. Senats des BFH vom 20.9.2010 – V R 2/09: In dem Rechtsstreit ging es um die Frage, ob der Veräußerer eines Grundstücks eine Steuerminderung gelten machen kann, wenn er aufgrund einer dem Erwerber gegebenen Mietgarantie einen Teil des Veräußerungspreises zurückzahlen mußte. Der BFH hatte diese Frage entgegen der Vorinstanz bejaht und deshalb mit Urteil vom 11.2.2010 unter voller Stattgabe des klägerischen Antrags das Finanzamt verpflichtet, den Umsatzsteuerbescheid dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer auf -82.305,70 EUR festgesetzt wird. An dieser vom Kläger errechneten Steuerhöhe hatte im …
5. Dezember 2010
Reichstagsprotokolle online: Eine Fundgrube des Rechts
Wer sich über die Geschichte der Arbeitsgerichtsbarkeit informieren will, findet in den einschlägigen Kommentaren zum Arbeitsgerichtsgesetz (zum Beispiel Claas-Hinrich Germelmann et al., Arbeitsgerichtsgesetz. Kommentar, 7. Auflage 2009; Rudi Müller-Glöge/Ulrich Preis/Ingrid Schmidt, Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 11. Auflage 2011; Klaus Hümmerich†/Winfried Boecken/Franz Josef Düwell, AnwaltKommentar Arbeitsrecht, 2. Auflage 2009) buchstäblich nichts. Bei der Kommentierung der einzelnen Paragrafen werden nicht einmal Bezüge zur ursprünglichen Gesetzesbegründung hergestellt. Ich habe das vor allem anhand der Kommentierung zu § 54 ArbGG über die arbeitsgerichtliche Güteverhandlung festgestellt. Das derzeit geltende Arbeitsgerichtsgesetz vom 3. September 1953 (BGBl. I 1953 S. 1267) geht …
28. November 2010
Staatliche „Rassenhygiene“ bereits während der Weimarer Republik?
Ich habe gerade das Reichsgesetzblatt Teil II 1923 quergelesen, um mein Buch „Fundstellen deutscher Reichs- und Bundesgesetze“ voranzubringen. In den Grundsätzen für den Vollzug von Freiheitsstrafen vom 7. Juni 1923 (RGBl. II 1923 S. 263) stieß ich dabei zu meinem Erstaunen auf den Begriff „geistig Minderwertige“. Cornelia Schmitz-Berning (Vokabular des Nationalsozialismus, Berlin, 2000, S. 407) schreibt, im NS-Staat habe der Ausdruck „minderwertig“ im Kontext des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933 (RGBl. I 1933 S. 529), des Gesetzes zum Schutze der Erbgesundheit des deutschen Volkes (Ehegesundheitsgesetz) vom 18. Oktober 1935 (RGBl. I …
27. November 2010
Historischer Tag für Urheber in Arbeits- oder Dienstverhältnissen
Der 12. Mai 2010 war, wie erst jetzt bekannt wurde, für die Urheber in Arbeits- oder Dienstverhältnissen ein historischer Tag. An diesem Tag gab der Bundesgerichtshof nämlich zum ersten Mal seit dem Inkrafttreten des § 43 UrhG am 1. Januar 1966 einem Beamten in einem Urheberrechtsstreit mit seinem Dienstherrn Recht. Insgesamt handelt es sich erst um die dritte Entscheidung des Bundesgerichtshofs zu dieser Vorschrift. Mit Rücksicht auf die beiden noch dazu ergangenen Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts dauert es durchschnittlich 8,8 Jahre, bis sich einmal ein oberstes Bundesgericht zu diesem Rechtsgebiet äußert: BGH, Urteil vom 22. Februar …
Bundesgerichtshof watscht Oberlandesgericht Düsseldorf erneut wegen Verteidigerhonorar ab
Mein erster Blog-Beitrag handelte von Neid und Missgunst am Oberlandesgericht Düsseldorf. Der dortige 24. Zivilsenat hatte sich angemaßt, die frei vereinbare Honorarform, den nur 28 % über dem Durchschnitt liegenden vereinbarten Stundensatz und die tatsächliche Bearbeitungszeit eines Strafverteidigers zu kritisieren. Und das geschah wohlgemerkt bereits im zweiten Durchgang, also nachdem der Bundesgerichtshof das erste Berufungsurteil aufgehoben hatte. Nunmehr liegt die zweite Revisionsentscheidung des Bundesgerichtshofs vor. Darin geht der IX. Zivilsenat in seiner Kritik sogar noch weiter. Es kommt mit Rücksicht auf den Beibringungsgrundsatz nicht einmal auf die Wirksamkeit der Klausel über den Zeittakt von 15 …
24. November 2010
Bürgerliches Gesetzbuch: Änderungsorgie in Zahlen und Diagrammen
Das Bürgerliche Gesetzbuch vom 18. August 1896 ist inzwischen seit 110 Jahren in Kraft. In der Rechtswissenschaft existiert es, glaubt man der üblichen Konzeption juristischer Kommentare, nur in der „aktuellen“ Fassung. In der Rechtspraxis scheint es immerhin ein „altes“ Bürgerliches Gesetzbuch, das bis zum 31. Dezember 2001 galt, und ein „neues“, das seit dem 1. Januar 2002 gilt, zu geben. Der Umstand, dass es sich bei diesem „Gesetz“ eigentlich um ein Flickwerk aus 243 Gesetzen handelt, ist dabei den Wenigsten bewusst. Das Diagramm zeigt die Verteilung dieser Gesetze über die Jahrzehnte. In den ersten 70 …
21. November 2010
Umgekehrte Psychologie im Recht
Die werkvertragsrechtliche Verjährungsfrist von fünf Jahren beginnt nach § 638 Abs. 1 S. 2 BGB 1900 und nach § 634a Abs. 2 BGB 2002 „mit der Abnahme“. Wenn die Abnahme des Werks weder erklärt noch ernsthaft und endgültig verweigert wird, würde die Verjährung von Mängelrechten bei wörtlichem Verständnis dieser Vorschriften also nie beginnen. Diese Situation ist beim immateriellen Werk des Architekten gar nicht so selten. Sie gewinnt vor allem dann an Bedeutung, wenn sich ein nicht mehr nachbesserungsfähiger Mangel des Architektenwerks im Bauwerk verwirklicht. Der Besteller kann dann nämlich – jedenfalls nach den §§ 634, …
14. November 2010
Die Strafe der Hauswüstung und der Fall des Straftäters Josef Fritzl
Das in der deutschen Presse als „Inzesthaus“ und bei den jedenfalls mit Begrifflichkeiten wohl etwas zimperlicheren Österreichern als „Horrorhaus“ bezeichnete Wohnhaus des Straftäters Josef Fritzl in der Ybbsstraße 40, 3300 Amstetten, Österreich, wird abgerissen. Vordergründig soll dies im Konkursverfahren zu einer Wertsteigerung des unverkäuflichen Grundstücks führen. Eigentlich geht es aber darum, den Schandfleck der Stadt abzutragen und aus der Erinnerung zu tilgen. Hieran bestehe, so heißt es selbst vom Konkursrichter Markus Sonnleitner, ein großes Interesse. Dem rechtshistorisch interessierten Juristen fällt dazu der Begriff der Hauswüstung ein. Dabei handelte es sich um eine noch in hochmittelalterlichen …
11. November 2010
Die Geschichte einer Katastrophe: 114 Jahre bürgerliches Intertemporalrecht
Mein „Bürgerliches Gesetzbuch vom 18. August 1896. Historisch-synoptische Edition. 1896—2010“ und die damit verbundene kritische Betrachtung der Rechtsquellen scheint inzwischen in der Rechtswirklichkeit angekommen zu sein. Einem Kollegen aus Frankfurt am Main fiel im Zusammenhang mit der dort dargestellten Entwicklung des § 495 BGB die merkwürdige Überleitungsvorschrift nach Art. 229 § 9 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EGBGB auf. Diese sieht die Anwendung des § 495 BGB in der Fassung vom 1. August 2002 für Schuldverhältnisse, die nicht durch Haustürgeschäfte zustande kamen, erst ab dem 1. November 2002 vor. Es erscheine deshalb sinnvoll, meine …