Seit gestern liegt nun auf 926 Seiten auch das „Baugesetzbuch (BauGB) vom 23. Juni 1960. Historisch-synoptische Edition. 1960—2011″ vor. Der Titel des Werks enthält eine kleine Provokation, denn am 23. Juni 1960 wurde nicht das „Baugesetzbuch“, sondern das „Bundesbaugesetz“ erlassen (BGBl. I 1960 S. 341—388). In der Rechtsprechung ist deshalb auch vom „früheren Bundesbaugesetz“ und vom „heutigen Baugesetzbuch“ die Rede (BGH, Urteil vom 11. Mai 2010 – IX ZR 127/09, jurisRdnr. 12). Dabei handelt es sich aber um ein und dasselbe Gesetz, das lediglich durch das Gesetz über das Baugesetzbuch vom 8. Dezember 1986 (BGBl. I 1986 S. 2191—2236) in zahlreichen Einzelfällen geändert und dabei nach den Artt. 1 Nr. 1, 5 des Gesetzes vom 8. Dezember 1986 mit Wirkung zum 1. Juli 1987 umbenannt wurde. Es ist deshalb abwegig und zeugt von Unverständnis für gesetzgebungstechnische Zusammenhänge, von einem In-Kraft-Treten des Baugesetzbuchs (BVerwG, Beschluss vom 16. Dezember 2003 – 4 B 105/03, jurisRdnr. 4, 5) und dem un- oder leicht veränderten Übernehmen von Vorschriften (KG Berlin, Urteil vom 9. April 2010 – 9 U 1/08 Baul, jurisRdnr. 37; BGH, Urteil vom 11. Mai 2010 – IX ZR 127/09, jurisRdnr. 12; OVG Koblenz, Urteil vom 9. Februar 2011 – 6 A 11029/10, jurisRdnr. 43) zu sprechen.
Das Baugesetzbuch setzt sich aus 59 Rechtsakten mit 1027 Änderungsbefehlen zusammen, wobei insgesamt 36585 alte Wörter entnommen und 43922 neue eingefügt wurden (siehe die Diagramme). In relativ kurzem Abstand erfolgten vier besonders starke Eingriffe, nämlich
- mit Wirkung zum 1. Januar 1977 durch das Gesetz zur Änderung des Bundesbaugesetzes vom 18. August 1976 (BGBl. I 1976 S. 2221—2255, 3617), hierzu die Bekanntmachung vom 18. August 1976 (BGBl. I 1976 S. 2256—2317),
- mit Wirkung zum 1. Juli 1987 durch das schon erwähnte Gesetz über das Baugesetzbuch vom 8. Dezember 1986 (BGBl. I 1986 S. 2191—2236), hierzu die Bekanntmachung vom 8. Dezember 1986 (BGBl. I 1986 S. 2253—2316),
- mit Wirkung zum 1. Januar 1998 durch das Gesetz zur Änderung des Baugesetzbuchs und zur Neuregelung des Rechts der Raumordnung (Bau- und Raumordnungsgesetz 1998 – BauROG) vom 18. August 1997 (BGBl. I 1997 S. 2081—2112), hierzu die Bekanntmachung vom 27. August 1997 (BGBl. I 1997 S. 2141—2211), und
- mit Wirkung zum 20. Juli 2004 durch das Gesetz zur Anpassung des Baugesetzbuchs an EU-Richtlinien (Europarechtsanpassungsgesetz Bau – EAG Bau) vom 24. Juni 2004 (BGBl. I 2004 S. 1359—1382), hierzu die Bekanntmachung vom 23. September 2004 (BGBl. I 2004 S. 2414—2491).
Meine Fassung unterscheidet sich – in der Regel sinnwahrend – leicht vom gemeinhin bekannten Gesetzestext, weil das Bundesjustizministerium in seinen Bekanntmachungen auch hier willkürliche Eingriffe in Formulierungen vornahm (siehe dazu die Synopse zur aktuellen Fassung).
Die Kenntnis des historischen Gesetzestextes ist beim Baugesetzbuch von besonderer Bedeutung. Dabei geht es nicht nur um die historische Auslegung heutiger Begriffe (siehe zum Beispiel BGH, Urteil vom 11. Mai 2010 – IX ZR 127/09, jurisRdnr. 12; OVG Münster, Urteil vom 25. Oktober 2010 – 7 A 1298/09, jurisRdnr. 47; BVerwG, Urteil vom 17. Februar 2011 – 4 C 9/10, jurisRdnr. 12). Sondern vielmehr wird das historische Gesetz gerade im Bereich des öffentlichen Baurechts auch heute noch angewendet, etwa wenn die Wirksamkeit von Bebauungsplänen in Rede steht (BVerwG, Beschluss vom 1. Juli 2008 – 4 BN 17/08, jurisRdnr. 5; VGH Mannheim, Beschluss vom 25. Februar 2010 – 8 S 2822/09, jurisRndr. 7; OVG Münster, Urteil vom 29. April 2011 – 7 A 45/09, jurisRdnr. 64). In diesem Zusammenhang ist zudem auf die „Verordnung über die bauliche Nutzung der Grundstücke (Baunutzungsverordnung) vom 26. Juni 1962. Historisch-synoptische Edition. 1962—1993″ hinzuweisen, die den Inhalt derartiger Bebauungspläne betrifft. Für die juristische Praxis stehen damit zwei weitere hilfreiche Texte zur Verfügung.
Mein nächstes Projekt wird, sobald ich die Durchsicht des Bundesgesetzblattes Teil II abgeschlossen habe, voraussichtlich die Zivilprozessordnung sein.