Daß der Gesetzgeber seine Aufgaben auch auf dem Gebiet der Sprachpflege sieht, ist nichts Neues. Beispielsweise dann, wenn mit der Zeit veraltete Ausdrücke aus der Gesetzessprache ausrangiert werden, wobei nicht unterschätzt werden sollte, daß die Frage, was als veraltet zu gelten hat, durchaus eine gesetzgeberische Entscheidung sein kann: Die Ersetzung von „Fernmeldewesen“ durch „Telekommunikation“ (Art. 73 Abs. 1 Nr. 7 GG, siehe allerdings noch Art. 10 GG) oder die Ersetzung von „vom Hundert“ durch „Prozent“ (wie sie im Jahr 2007 in den meisten Steuergesetzen vorgenommen wurde) wird man als Erklärung verstehen dürfen, daß die von früheren Philologengenerationen empfohlene Fremdwörtervermeidung nicht mehr zeitgemäß sei.
Noch mehr in seinem Element ist der Gesetzgeber, wenn er mit den neuen Wörtern auch etwas in den Köpfen der Menschen ändern will, wenn er sich im weiten Raum zwischen politischer Korrektheit und der Schaffung eines neuen Menschen bewegt. So 1980, als die „elterliche Gewalt“ durch „elterliche Sorge“ ersetzt wurde oder bei der aktuellen Tendenz, den Rassismus zu bekämpfen, indem das Wort „Rasse“ aus den Gesetzen (siehe nur Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG und § 1 AGG) gestrichen wird. Dabei kann der Gesetzgeber zum Getriebenen der „Euphemismus-Tretmühle“ werden: Das Wort, das gestern noch völlig würdig und richtig war, kann morgen schon eingeholt sein von der negativen soziale Konnotation früherer Ausdrücke, die mit ihm überwunden geglaubt war. So geschehen – jedenfalls nach Meinung des Gesetzgebers – bei dem Wort „Behinderter“, das seit einigen Jahren immer mehr durch „behinderter Mensch“ und „Mensch mit Behinderung“ ersetzt wird.
Wie mag die letzte Änderung des baden-württembergischen Bestattungsgesetzes in diese verschiedenen Kategorien von Sprachpflege eingeordnet werden? Das von allen Landtagsfraktionen getragene Änderungsgesetz hat zwar den Hauptzweck, Beerdigungen nach muslimischem Ritus zu ermöglichen (§ 39 Abs. 1 Satz 2 BestattG), doch dabei wurde die Gelegenheit genutzt zu einem sprachlichen Parforceritt durch das Gesetz, durch den die „Leichen“ aus dem Gesetzestext entfernt wurden. Zurück bleiben nach dem großen Entsorgungsakt: „Verstorbene“.
Ist das Wort „Leiche“ tatsächlich so unwürdig oder lieblos, daß es in einem Bestattungsgesetz keinen Platz mehr haben darf? Ist es gar anstößig – über den Umstand hinaus, daß der Tod eine Gemeinheit ist? War das Wort immer schon fehl am Platz oder bemerkt man es erst jetzt, weil sich die Anschauungen geändert haben? Wie dem auch sei: Genauso konsequent wie in der Entfernung von Leichen waren die Gesetzesverfasser in der Beibehaltung von allen zusammengesetzten Wörter, die „Leiche“ beinhalten: Leichenbesorger, Leichenhalle, Leichenpaß, Leichenraum, Leichenschau, Leichenverwesung, Leichenöffnung. Es ist also für Leichen in jeder Hinsicht gesorgt, auch wenn es keine Leichen mehr gibt. Die Begründung für den Neusprech und seine merkwürdigen Ausnahmen lautet:
Eine begriffliche Änderung erfolgt mit dem Ersatz des Wortes „Leiche“ durch das Wort „Verstorbene“ oder „Verstorbener“. Diese Änderung stellt eine erheblich bessere Basis für den im gesellschaftlichen Konsens geforderten würdigen Umgang mit Toten dar. Deshalb wird auch die Gesetzesbezeichnung „Gesetz über das Friedhofs- und Leichenwesen (Bestattungsgesetz – BestattG)“ durch die bereits in der Praxis gebräuchliche Bezeichnung „Bestattungsgesetz“, die bisherige Kurzbezeichnung, ersetzt. Kombinierte Begriffe wie „Leichenschau“ werden jedoch beibehalten, weil sie länderübergreifend belegt sind.
Die sprachliche Sensibilität des Gesetzgebers hat ihm allerdings ein sprachliches Folgeproblem bereitet: Geschlechterpolitisch müßte an die Stelle der (grammatisch weiblichen und damit unbedenklichen) Leiche eigentlich immer heißen „der oder die Verstorbene“. Daß männliche Verstorbene im Gesetzestext auch stellvertretend für weibliche stehen, vermeidet der moderne Gesetzgeber – und zu Zeiten einer grün-roten Regierung erst recht. Der Trend geht zu geschlechtsneutralen Formulierungen. Was den Studenten widerfahren ist, die zu „Studierenden“ umfirmiert wurden, muß auch für Tote gelten. Deshalb wurde in § 12, der bisher schon leichenfrei war, „für jeden Verstorbenen“ zu „für jede verstorbene Person“. Man hielt es für elegant, im übrigen aus fast jeder bisherigen Singular-Leiche Mehrzahl-Verstorbene zu machen. Das hielten die Gesetzesverfasser sogar durch bei Regelungen, die einen konkreten Todesfall betreffen wie bei § 28. Der Gesetzgeber fingiert lieber, daß in jedem Fall eine Art Massensterben stattfindet als den Tugendpfad der Geschlechtsneutralität zu verlassen.