Wie es scheint, wäre ein Kommentar zur Verurteilung von Oskar Gröning unvollständig ohne eine Erwähnung des – lange verstorbenen – Ministerialbeamten und Strafrechtskommentators Eduard Dreher. In meinem letzten Beitrag hatte ich ihn erwähnt und kurz darauf hatte er auch seinen Auftritt in der wöchentlichen Kolumne des BGH-Richters Thomas Fischer („NS-Verbrecher: Oskar Gröning und die Beihilfe„). Wer war Eduard Dreher? Wer, wie ich, Jura im letzten Jahrhundert studierte, dem ist der Name zumindest noch als einer der Titelgeber des wichtigsten Praxiskommentars zum StGB aus der Reihe der Kurzkommentare des Verlags C. H. Beck bekannt (heute nur …
27. Juli 2015
Die urbane Legende von Eduard Dreher
Rechtsbeugung Rechtsgeschichte Richterliche Findigkeit Strafprozess Strafrecht
5. Januar 2014
Anmerkungen zu Fischers Kritik des Mordparagrafen
Gesetzgebung Rechtsgeschichte Strafrecht
Von einem Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof verlange ich Präzision. Diese lässt Thomas Fischer in seinem Beitrag „Völkisches Recht“ in der Wochenzeitung DIE Zeit vom 12. Dezember 2013, worin er für eine Reform des Mordparagrafen plädiert, an mindestens drei Stellen vermissen: I. 1. Fischer schreibt, seit 1953 sei die Höchststrafe die lebenslange Freiheitsstrafe gewesen. Das ist so nicht richtig. In der Zeit vom 1. Januar 1872 bis zum 1. April 1970 galt im Wesentlichen unverändert das Regiment abgestufter Freiheitsentziehungsstrafen: a) Lebenslängliche oder zeitige Zuchthausstrafe (§ 14 Abs. 1 StGB 1872), deren Höchstbetrag 15 Jahre und deren …
20. Mai 2013
Von Brüchen in den Sollenssätzen des deutschen Strafverfahrens
Gesetzgebung Rechtsgeschichte Strafrecht
Es war einmal so, dass Sollenssätze, bevor sie angewendet wurden, erst behauptet, ermittelt und gefunden, manchmal sogar wie eine Tatsache bewiesen werden mussten (vergleiche Peter Oestmann, Rechtsvielfalt vor Gericht. Rechtsanwendung und Partikularrecht im Alten Reich, 2002). Dieser vormals selbstverständliche Aspekt der Rechtsprechung ist uns heute fremd, wir haben uns an Kodifizierungen gewöhnt. Da der Text des Gesetzes feststeht, können wir uns auf seine Auslegung konzentrieren. Auf den Gedanken, die textliche Richtigkeit des schriftlich fixierten Gesetzes in Frage zu stellen, kommt niemand; es wäre absurd. Und doch kristallisiert sich für mich immer mehr heraus, dass die …
1. April 2013
Gesetzliche Manifestationen des Bösen in Ungarn
Gesetzgebung Rechtsgeschichte Strafrecht
Das von der Fidesz-Partei des Ministerpräsidenten Viktor Orbán beherrschte ungarische Parlament verabschiedete vor drei Wochen eine Verfassungsänderung, wonach die Kompetenzen des obersten Gerichts erheblich beschnitten werden und sich dieses künftig auch nicht mehr auf Entscheidungen aus den Jahren zwischen 1989 und 2011 berufen darf. Das Verfassungsgericht hatte unter Heranziehung seiner Rechtsprechung immer wieder umstrittene Gesetze aus der Ära Orbáns für nichtig erklärt. Orbán hält dem entgegen, in Ungarn müsse endlich ein klarer Bruch mit dem kommunistischen System erfolgen. Das ist nichts Neues (siehe SPON vom 11. März 2013 und 12. März 2013), fiel mir aber …
23. Januar 2013
Als Professor Zimmermann mich zum Buchkauf verleitete
Ich mag die Neue Juristische Wochenschrift nicht. Den von der Redaktion angenommenen Aufsätzen mangelt es an jeglicher Ästhetik und Fantasie, das Lesen derselben bereitet keine Freude. Und der Versuch, Rechtsprechung in gedruckter Form unters Volk zu bringen, wirkt auf mich inzwischen ziemlich hilflos. Auch mit der haftungsrechtlichen Filterfunktion (BGH, Urteil vom 23. September 2010 – IX ZR 26/09, jurisRdnr. 22) lässt sich eine Daseinsberechtigung dieser Zeitschrift in Zeiten zunehmender Spezialisierung nicht mehr begründen. Gern gelesen und beherzigt habe ich aber ihre seit 1995 bestehende Aufsatzreihe über juristische Bücher des Jahres (zuerst Gerhard Dilcher, NJW 4/1995, …
20. Januar 2013
David gegen Goliath: Ein Gesetz von 1877 als Steinschleuder
Kein Beitrag zur Mollath-Forschung
In dieser Woche wurde eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs anlässlich der Klage eines Kleinanlegers gegen die international bekannte Kredit-Ratingagentur Standard & Poor’s mit Sitz in New York bekannt (BGH, Beschluss vom 13. Dezember 2012 – III ZR 282/11). Das Handelsblatt und anschließend auch SPIEGEL ONLINE berichteten, die BGH-Richter hätten sich in ihrem Beschluss „auf ein Gesetz von 1877“ berufen, das für klagende Inländer die Zuständigkeit deutscher Gerichte vorsehe. Gemeint waren die Vorschriften des § 24 CPO 1879 beziehungsweise des § 23 CPO 1900, die noch heute in der nur geringfügig geänderten Form des § 23 ZPO …
9. Januar 2013
Meisterliche Ritter
Ein Fundstück
Ritter des Rechts heißen in China Meister des Rechtsstreits (Falko Maxin/Ruomeng Yang, myops 17/2013, 56 [58]). Was zum Lachen gibt es auch im darauffolgenden Beitrag: Die Frankfurter Büchervernichtung. Ein modernes Trauerspiel in Briefen und E-Mail-Auszügen mit kurzen Zwischentexten und einem Nachwort (Regina Ogorek, myops 17/2013, 63—76). Eine herrliche Zeitschrift.
28. Mai 2012
Gesundes Volks-, äh Rechtsempfinden
Dr. Peter Ramsauer, Mitglied der Christlich-Sozialen Union in Bayern und derzeit noch Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, meint, auf den von Verkehrsrowdys beherrschten deutschen Straßen müsse etwas geschehen, damit die CSU bei den Wahlen 2013 gut abschneidet. Die Flensburger Verkehrssünderkartei sei zu reformieren. 30.000 Menschen, die sich an einem von seinem Ministerium veranstalteten Diskussionsforum im Internet beteiligt hätten und uns jetzt anscheinend repräsentieren, wollten es so. „Bemerkenswert ist das gesunde Rechtsempfinden vieler Bürger„, sagte Ramsauer. Gesundes Rechtsempfinden?! Es ist unglaublich, aber das scheint er wirklich gesagt zu haben. Wir erinnern uns an das Gesetz …
6. Mai 2012
Die prozessuale Wahrheitspflicht als Erbe des Nationalsozialismus‘
Nach Abschluss meines Nachschlagewerkes „Fundstellen deutscher Reichs- und Bundesgesetze. 1867—2011“ kann ich mich nun wieder – frisch gewappnet – der Arbeit an den Gesetzeseditionen zuwenden. Die nächste ist die Civilprozeßordnung vom 30. Januar 1877 (RGBl. 1877 S. 489). Und was sehen da meine entzündeten Augen im Gesetz zur Änderung des Verfahrens in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten vom 27. Oktober 1933 (RGBl. I 1933 S. 780) (?!): „Ein volkstümliche Rechtspflege ist nur in einem Verfahren möglich, das dem Volke verständlich ist und einen ebenso sicher wie schleunig wirkenden Rechtsschutz verbürgt. Die Parteien und ihre Vertreter müssen sich bewußt …
30. April 2012
Banken- und/oder Schuldenkrise, soziale Unruhen und Weltfrieden
„Da der Völkerbund die Begründung des Weltfriedens zum Ziele hat, und ein solcher Friede nur auf dem Boden der sozialen Gerechtigkeit aufgebaut werden kann, da ferner Arbeitsbedingungen bestehen, die für eine große Anzahl von Menschen mit so viel Ungerechtigkeit, Elend und Entbehrungen verbunden sind, daß eine den Weltfrieden und die Welteintracht gefährdende Unzufriedenheit entsteht, und da eine Verbesserung dieser Bedingungen dringend erforderlich ist, zum Beispiel hinsichtlich der Regelung der Arbeitszeit, der Festsetzung einer Höchstdauer des Arbeitstags und der Arbeitswoche, der Regelung des Arbeitsmarkts, der Verhütung der Arbeitslosigkeit, der Gewährleistung von Löhnen, welche angemessene Lebensbedingungen ermöglichen, …
6. August 2011
Irgendein Professor über das Verhältnis zwischen Anwaltschaft und Rechtswissenschaft nach 1945
Vor kurzem habe ich auf die vom Deutschen Anwaltverein herausgegebene Festschrift „Anwälte und ihre Geschichte. Zum 140. Gründungsjahr des Deutschen Anwaltvereins“, Tübingen 2011, aufmerksam gemacht. Die FAZ hat mit einer Rezension nachgezogen. Heute will ich einmal auf den in der Festschrift enthaltenen Beitrag von Louis Pahlow, „Anwaltschaft und Rechtswissenschaft nach 1945“, S. 355—368, eingehen. Dieser hat mir die Freude an dem beeindruckenden Gemeinschaftswerk nämlich nachhaltig vermiest. Pahlow beklagt sich in seinem Beitrag insgesamt darüber, dass „die Literatur der Anwaltschaft“ gegen eine tiefe Verwurzelung ihrer Autoren in der Rechtswissenschaft spreche (S. 362). Pahlow stürzt sich zur …
10. Juli 2011
Rußland verletzt Menschenrechte nach Adenauer-Art
In Rußland gibt es Reiseverbote für Oppositionelle. Just als der frühere russische Vize-Ministerpräsident Boris Nemzow, heute Teil der hoffnungslos unbedeutenden russischen Opposition, im EU-Parlament in Straßburg an einer Debatte über den Zustand der Demokratie in Rußland teilnahm, erreichte ihn von dort die Nachricht, daß eine Behörde ein Reiseverbot gegen ihn verhängt hat. Hintergrund war die von Nemzow mitherausgegebene Broschüre „Putin. Ergebnisse. 10 Jahre“, in der er Seilschaften zwischen Politik und Wirtschaft anprangerte. Ein Oligarch sah sich darin nicht richtig dargestellt und setzte auf dem Zivilrechtsweg eine Richtigstellung durch. Als diese veröffentlicht wurde, erschien sie ihm …
15. Juni 2011
Ritter des Rechts und ihre Geschichte
Der Deutsche Anwaltverein hat anlässlich seines 140. Gründungsjahrs ein monumentales Werk, „Anwälte und ihre Geschichte„, Tübingen 2011, herausgeben. Konzipiert wurde es durch einen wissenschaftlichen Beirat bestehend aus Barbara Dölemeyer, Norbert Gross und Hinrich Rüping und mitgewirkt haben insgesamt 56 Autoren. Gesammelt wurden Beiträge geordnet nach Epochen seit dem Mittelalter, nach Entwicklungen, insbesondere anwaltliche Selbstverwaltung, Aspekte des Anwaltsberufs und Tätigkeitsgebiete, sowie nach internationalen Bezügen. Den Auftakt macht Bernd Kannowski mit einem Beitrag zum Thema „Die Ritter der Gerichte an der Schwelle von mündlicher zu schriftlicher Rechtskultur“ (S. 5—22). Wer das De legibus-Blog kennt, dem wird schon …
10. April 2011
Geheimjustiz im Wandel der Zeit
Äußerungen Justiz und Öffentlichkeit Rechtsgeschichte Wehrrecht
1843: Oberlandesgericht Königsberg Es begann 1841 mit „Vier Fragen beantwortet von einem Ostpreußen“, einer politischen Schrift des preußischen Arztes Johann Jacoby, anonym veröffentlicht in Mannheim, in ganz Deutschland verbreitet und vom Bundestag alsbald verboten. In dieser Situation – die Polizei fahndet nach dem anonymen Unruhestifter – tritt Jacoby hervor und schickt dem preußischen König Friedrich Wilhelm IV. mit einer höflichen Autorenwidmung ein Exemplar. Jacoby wurde angeklagt und vom Criminal-Senat des Kammergerichts am 5.4.1842 zu zweieinhalb Jahren Festungsstrafe und Entzug des Rechts zum Tragen der preußischen Nationalkokarde verurteilt – wegen Majestätsbeleidigung (Teil 2, Titel 20, § …
21. Februar 2011
Rechtszweifel wegen akademischen Grads und Adelsbezeichnung?
Der wegen Plagiatsvorwürfen in der Kritik stehende „Dr.“ Karl Theodor […] „Freiherr von und zu“ Guttenberg stammt aus einer ehemals adeligen Familie und ist Mitglied der Christlich-Sozialen Union (CSU) in Bayern. Er leistete Wehrdienst und verwaltete das – vermutlich nicht im Schweiße des eigenen Angesichts erworbene – Familienvermögen. Im Jahr 2009 wurde er dann mit 37 Jahren erst Bundesminister für Wirtschaft und Technologie und kurz darauf Bundesminister der Verteidigung. Wegen besonderer Leistungen trat er bislang nicht hervor. Weshalb also ist er bei den Bildzeitungslesern so populär und weshalb steht er wegen zitatlosen Abschreibens vor allem …
28. November 2010
Staatliche „Rassenhygiene“ bereits während der Weimarer Republik?
Ich habe gerade das Reichsgesetzblatt Teil II 1923 quergelesen, um mein Buch „Fundstellen deutscher Reichs- und Bundesgesetze“ voranzubringen. In den Grundsätzen für den Vollzug von Freiheitsstrafen vom 7. Juni 1923 (RGBl. II 1923 S. 263) stieß ich dabei zu meinem Erstaunen auf den Begriff „geistig Minderwertige“. Cornelia Schmitz-Berning (Vokabular des Nationalsozialismus, Berlin, 2000, S. 407) schreibt, im NS-Staat habe der Ausdruck „minderwertig“ im Kontext des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933 (RGBl. I 1933 S. 529), des Gesetzes zum Schutze der Erbgesundheit des deutschen Volkes (Ehegesundheitsgesetz) vom 18. Oktober 1935 (RGBl. I …
14. November 2010
Die Strafe der Hauswüstung und der Fall des Straftäters Josef Fritzl
Das in der deutschen Presse als „Inzesthaus“ und bei den jedenfalls mit Begrifflichkeiten wohl etwas zimperlicheren Österreichern als „Horrorhaus“ bezeichnete Wohnhaus des Straftäters Josef Fritzl in der Ybbsstraße 40, 3300 Amstetten, Österreich, wird abgerissen. Vordergründig soll dies im Konkursverfahren zu einer Wertsteigerung des unverkäuflichen Grundstücks führen. Eigentlich geht es aber darum, den Schandfleck der Stadt abzutragen und aus der Erinnerung zu tilgen. Hieran bestehe, so heißt es selbst vom Konkursrichter Markus Sonnleitner, ein großes Interesse. Dem rechtshistorisch interessierten Juristen fällt dazu der Begriff der Hauswüstung ein. Dabei handelte es sich um eine noch in hochmittelalterlichen …
11. November 2010
Die Geschichte einer Katastrophe: 114 Jahre bürgerliches Intertemporalrecht
Mein „Bürgerliches Gesetzbuch vom 18. August 1896. Historisch-synoptische Edition. 1896—2010“ und die damit verbundene kritische Betrachtung der Rechtsquellen scheint inzwischen in der Rechtswirklichkeit angekommen zu sein. Einem Kollegen aus Frankfurt am Main fiel im Zusammenhang mit der dort dargestellten Entwicklung des § 495 BGB die merkwürdige Überleitungsvorschrift nach Art. 229 § 9 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EGBGB auf. Diese sieht die Anwendung des § 495 BGB in der Fassung vom 1. August 2002 für Schuldverhältnisse, die nicht durch Haustürgeschäfte zustande kamen, erst ab dem 1. November 2002 vor. Es erscheine deshalb sinnvoll, meine …
18. Juli 2010
Sich-Bergen und Dachdings-Auftragen: „verwelckte Hülsen eines captirten alten Wörter Krams“
Meine kürzlich unternommene Exkursion zum Reichskammergerichtsmuseum in Wetzlar wurde durch reiche Beute in Form einer den historischen Sachverhalt und die damalige rechtliche Würdigung anschaulich beleuchtenden Fallstudie der Gesellschaft für Reichskammergerichtsforschung belohnt (Oestmann, Germanisch-deutsche Rechtsaltertümer im Barockzeitalter – eine Fallstudie, Schriftenreihe der Gesellschaft für Reichskammergerichtsforschung, Heft 26, Wetzlar, 2000). Die Studie einschließlich des zugrunde liegenden Falls ist so spannend, dass ich hier eine Zusammenfassung liefern und eine Empfehlung zur Lektüre aussprechen möchte: Am 29. März 1734 heiratete Michael Schröder in dritter Ehe die 17-jährige, zwanzig Jahre jüngere Anna Sara Wessel. Diese war die Tochter des verstorbenen …