Letzte Woche hat das Bundesverfassungsgericht ein Dokument veröffentlicht, das von seinen 16 Richtern „im November 2017“ beschlossen wurde (das Fehlen eines Datums deutet auf einen Umlaufbeschluß hin) und den Titel trägt „Verhaltensleitlinien für Richterinnen und Richter des Bundesverfassungsgerichts“. In der Presse wird es mit Begriffen wie „Verhaltenskodex“, „Ethik-Kodex“ und „Benimm-Regeln“ beschrieben. Einem Artikel von Christian Rath auf LTO lassen sich ein paar Details zum Zustandekommen dieses Dokuments entnehmen. Man erfährt dort, daß die treibende Kraft der Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle war und daß wegen „großer Meinungsunterschiede“ eine Einigung unter den Richtern zunächst nicht gesichert war. Da …
7. Januar 2018
20. März 2016
EuGH überprüft Auslieferungsrechtsprechung des BVerfG
Das Bundesverfassungsgericht hat ein großes Herz für Verfassungsbeschwerdeführer, die von einer Auslieferung bedroht sind (und das ist gut so). Deutsche Beschwerdeführer, gegen die ein Europäischer Haftbefehl vollstreckt werden soll, können grundsätzlich damit rechnen, vom BVerfG Hilfe zu bekommen. So hatte es etwa im Oktober letzten Jahres mit einer einstweiligen Anordnung verhindert, daß ein wegen Mordverdachts in Belgien verfolgter Deutscher ausgeliefert wurde (Beschluß vom 7. Oktober 2015 – 2 BvR 1860/15). Filmreif wurde der Gefangenentransport in Aachen, kurz vor der belgischen Grenze, zum Abbremsen gebracht. Vor zwei Wochen warf sich dann das BVerfG dazwischen, als ein …
16. August 2015
BVerfG – „Öwer du Döskopp, je heww ja schon een!“
Bundesverfassungsgericht, Beschluß vom 30. Juni 2015 – 2 BvR 1282/11 (Hervorhebungen hier): Die von Art. 61 Satz 2 LV-Bremen vorgesehene Kompetenzzuweisung beruht letztlich vor allem auf den bestehenden politischen Umständen nach dem Sturz der Monarchie. Hatte das alte bremische Staatskirchenrecht die „Anerkennung von Religionsgesellschaften“ noch durch den Senat unter Mitwirkung der Bürgerschaft vorgesehen (vgl. zur historischen Genese des Art. 61 LV-Bremen: Neumann, Die Verfassung der Freien Hansestadt Bremen, 1996, Art. 61 Rn. 2), so brach die Bremische Landesverfassung von 1920 in Übereinstimmung mit der Weimarer Reichsverfassung von 1919 mit dem landesherrlichen Kirchenregiment (vgl. auch § …
23. März 2014
Dürfen Unionsbürger an die USA ausgeliefert werden?
Einleitung: Der Fall Roman Polański Es ist erstaunlich, mit welcher Sorglosigkeit Roman Polański in Deutschland Filme drehte. Er schien nicht geahnt zu haben, daß er Gefahr lief, jederzeit verhaftet zu werden, sowohl bei den Dreharbeiten für Der Pianist (2002), der unter anderem in Berlin und Brandenburg entstand, als auch beim fast ausschließlich in Deutschland gedrehten Der Ghostwriter (2009). Die Gefahr wurde offenbar, als Polański Ende 2009 auf ein US-amerikanisches Auslieferungsersuchen hin auf dem Zürcher Flughafen verhaftet wurde. Nach Zürich war er gekommen, um einen Festivalpreis für sein Lebenswerk entgegenzunehmen. In den USA gilt Polański als …
28. Mai 2013
LexXpress gegen BVerfG: Urteil des VGH Mannheim liegt im Volltext vor
BVerfG juris Justiz und Öffentlichkeit
Seit heute liegt die Begründung des Urteils des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 7. Mai 2013 – 10 S 281/12 – im Rechtsstreit der LexXpress GmbH gegen die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesverfassungsgericht, wegen Gleichbehandlung mit der juris GmbH bei der Belieferung mit Entscheidungen vor. Mit Rücksicht auf meinen Terminsbericht sehe ich hier davon ab, die Argumentationslinie nachzuzeichnen. Hinweisen möchte ich nur auf einige deutliche Worte, die der Senat vor allem gegenüber den Präsidentinnen und Präsidenten der obersten Gerichtshöfe des Bundes fand: Deren im Beschluss vom 26./27. Juni 2007 (siehe Fußnote 29 meines Aufsatzes) zum Ausdruck …
12. Mai 2013
Kampfansagen gegen den EuGH – aus Karlsruhe und München
Die interessanteste Diskussion, die das Antiterrordatei-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 24. April 2013 – 1 BvR 1215/07 – auslöste, betraf nicht ihren eigentlichen Gegenstand – die Antiterrordatei und deren verfassungsrechtliche Bewertung – sondern einen kleinen argumentativen Sprengsatz, der in das Urteil eingebaut ist. Die Ausführungen unter Gliederungspunkt C, um die es geht, waren dem Senat so wichtig , daß er nicht nur am Ende der Entscheidung auf die Einstimmigkeit in diesem Punkt hinwies, sondern diesen Umstand auch noch in die Pressemitteilung einrücken ließ. Und damit auch wirklich niemand behaupten kann, über diesen Punkt und die Einstimmigkeit …
7. Mai 2013
Gemeinfreiheit: Große Rechtsprechung im Kellergericht
LexXpress GmbH bezwingt das Bundesverfassungsgericht vor dem Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
BVerfG juris Justiz und Öffentlichkeit
Als ich das erste Mal zum Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg fuhr, um dort meine damalige Referendarsstation beim Bausenat anzutreten, gab es noch keine Navigationsgeräte. Da ich mich in Mannheim nicht auskannte, hatte ich einen Stadtplan dabei. An der Stelle, wo das Gerichtsgebäude ungefähr hätte sein müssen, hielt ich auf einem kleinen, nur ein paar Stellplätze umfassenden Parkplatz, um den Stadtplan zu studieren. Daraus entnahm ich zu meiner großen Belustigung, dass ich unmittelbar davor stand, ohne das unscheinbare Gebäude erkannt zu haben. Heute fand dort, wie bereits angekündigt, die Verhandlung über die Berufung im Rechtsstreit der LexXpress GmbH …
25. März 2013
Der Deal bekommt Bewährung
BVerfG Strafprozess strafrechtliche Verständigung
Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil vom 19. März 2013 (2 BvR 2628/10 u.a.) über die Verfassungsmäßigkeit der gesetzliche Regelung der Verständigung in Strafsachen entschieden und stellt in den Leitsätzen 3 und 4 Folgendes klar: Das Verständigungsgesetz sichert die Einhaltung der verfassungsrechtlichen Vorgaben (das im Grundgesetz verankerte Schuldprinzip und die mit ihm verbundene Pflicht zur Erforschung der materiellen Wahrheit sowie der Grundsatz des fairen, rechtsstaatlichen Verfahrens, die Unschuldsvermutung und die Neutralitätspflicht des Gerichts) in ausreichender Weise. Der in erheblichem Maße defizitäre Vollzug des Verständigungsgesetzes führt derzeit nicht zur Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Regelung. Mit den Vorschriften …
10. Februar 2013
Der heilige Bund zwischen dem Bundesverfassungsgericht und der juris GmbH
BVerfG juris Justiz und Öffentlichkeit
Und der HERR sprach: Siehe, ich will einen Bund schließen: Vor deinem ganzen Volk will ich Wunder tun, wie sie nicht geschehen sind in allen Landen und unter allen Völkern, und das ganze Volk, in dessen Mitte du bist, soll des HERRN Werk sehen; denn wunderbar wird sein, was ich an dir tun werde [2. Mose 34, 10]. […] Und er war allda bei dem HERRN vierzig Tage und vierzig Nächte und aß kein Brot und trank kein Wasser. Und er schrieb auf die Tafeln die Worte des Bundes, die Zehn Worte [2. Mose 34, …
19. August 2012
Hauptreferendar der Reserve
Eins muß man dem juristischen Internetmedium LTO („Legal Tribune Online“ – für die Anglophilen unter den deutschen Juristen) schon lassen: Es ist schnell, verdammt schnell. Wenn eine wichtige Gerichtsentscheidung kommt, dann bringt LTO am selben Tag nicht nur eine Kurzmeldung, sondern oft auch eine Kurzanalyse, von den verschiedensten Autoren aus Wissenschaft und Praxis. Schon im letzten Jahr sprach ich, anläßlich eines damaligen EGMR-Urteils und seiner Rezeption in der LTO, vom Ausschicken der Kavallerie. Bei dem am letzten Freitag öffentlich gemachten Beschluß des Plenums des Bundesverfassungsgerichts zum Einsatz der Bundeswehr im Inneren, der schon Anfang Juli …
2. Januar 2012
Die Wirklichkeit als Rechtsfrage
Schon 2003 formulierten die Bundesverfassungsrichter Sommer und Lübbe-Wolff folgenden Merksatz für eine eigentlich selbstverständliche Folgerung aus dem Rechtsstaatsprinzip: Der Rechtsstaat kennt keine von Rechts wegen jeder Widerlegung entzogenen Annahmen über die Wirklichkeit Mit ihm wiesen sie darauf hin, daß für die Frage, ob in Indien gefoltert wird, ein Blick in den deutsch-indischen Auslieferungsvertrag keinen echten Erkenntnisgewinn bringt (BVerfG, Beschluss vom 24. Juni 2003 – 2 BvR 685/03). Ob die Richter am EuGH diesen Merksatz – nennen wir ihn die „Sommer/Lübbe-Wolff’sche Formel“ – kannten, als es darum ging, Annahmen des europäischen Asylsystem mit der griechischen Asylwirklichkeit …
18. Dezember 2011
Kippt das Bundesverfassungsgericht? Und wenn ja, wohin?
BVerfG Rechtsbeugung Richterliche Findigkeit Wehrrecht
Rudolf Mellinghoff, bisher Richter am Bundesfassungsgericht, gab, kurz bevor er am 31. Oktober 2011 sein neues Amt als Präsident des Bundesfinanzhofs antrat, der taz ein Interview. Er legte dort ein beeindruckendes Bekenntnis zu einem hohen Grundrechtsniveau bei strafprozessualen Maßnahmen ab. Unter anderem durch diese Äußerung: Die Polizei hat aber auch schon Tagebücher beschlagnahmt und das Bundesverfassungsgericht hat dies gebilligt. Das war eine ganz knappe und umstrittene Entscheidung vor meiner Zeit. Wie würden Sie heute entscheiden? Ich würde zumindest die gerichtliche Verwertung privater Äußerungen in einem Tagebuch für unzulässig halten. Auch wenn darin über begangene Straftaten …
10. Juli 2011
Rußland verletzt Menschenrechte nach Adenauer-Art
In Rußland gibt es Reiseverbote für Oppositionelle. Just als der frühere russische Vize-Ministerpräsident Boris Nemzow, heute Teil der hoffnungslos unbedeutenden russischen Opposition, im EU-Parlament in Straßburg an einer Debatte über den Zustand der Demokratie in Rußland teilnahm, erreichte ihn von dort die Nachricht, daß eine Behörde ein Reiseverbot gegen ihn verhängt hat. Hintergrund war die von Nemzow mitherausgegebene Broschüre „Putin. Ergebnisse. 10 Jahre“, in der er Seilschaften zwischen Politik und Wirtschaft anprangerte. Ein Oligarch sah sich darin nicht richtig dargestellt und setzte auf dem Zivilrechtsweg eine Richtigstellung durch. Als diese veröffentlicht wurde, erschien sie ihm …
22. April 2011
Die Verurteilten
Wenn man eines aus der Novelle „Rita Hayworth and Shawshank Redemption“ von Stephen King, verfilmt als „The Shawshank Redemption“ (Die Verurteilten) von Frank Darabont, lernen kann, dann dies: Auch innerhalb von Gefängnismauern ist man das, was man tut. Um sich unter seinen Mitmenschen redlich Respekt zu verschaffen, muss man dabei etwas für diese tun. Beim Hineinversetzen in das Schicksal des Protagonisten Andy Dufresne dachte ich immer, sollte ich einmal in seine Lage geraten, mich als Ritter des Rechts ähnlich nützlich machen zu können. Diese Vorstellung verteidigt das Bundesverfassungsgericht nun in einem Beschluss vom 22. März …
6. November 2010
Nicht-Verurteilter muss einrücken
Dem Bundesverfassungsgericht lag am 10. September 2010 ein kurioser Fall (2 BvR 2242/09) vor. Der Beschwerdeführer wendete sich gegen die Ablehnung der Berichtigung eines Strafurteils. Er sei trotz übereinstimmender Personalien nicht die in der Hauptverhandlung erschienene und verurteilte Person und habe auch mit dem der Verurteilung zugrunde liegenden Sachverhalt nichts zu tun. Der wahre Täter und Verurteilte sei ein anderer. Der Beschwerdeführer habe diesem zeitweise seinen Ausweis überlassen. Nachdem der Beschwerdeführer zur Hauptverhandlung geladen worden sei, habe ihm der wahre Täter versprochen, die Sache zu regeln. Dieses Versprechen hielt der wahre Täter offenbar nicht ein …
6. Oktober 2010
„Richter Bärli“ vom „Bundesbärengericht“
Die Geduld des Bundesverfassungsgerichts mit rechtsmissbräuchlichen Verfassungsbeschwerden im Sinn des § 34 Abs. 2 BVerfGG scheint erschöpft zu sein. In letzter Zeit häufen sich nämlich Beschlüsse, mit denen das Bundesverfassungsgericht Beschwerdeführern oder deren Prozessbevollmächtigten eine Missbrauchsgebühr auferlegt. So entschied das Bundesverfassungsgericht jetzt auch wieder mit Beschluss vom 14. September 2010 – 1 BvR 2070/10. Dabei störte es sich insbesondere an der Mitteilung der Beschwerdeführerin, dass „Richter Bärli“ vom „Bundesbärengericht“ zwei Tage über eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts geweint habe. Ihr völlig neben der angegriffenen Entscheidung liegendes Vorbringen habe sie zuletzt durch den Hinweis vertieft, es könne …