Dem Bundesverfassungsgericht lag am 10. September 2010 ein kurioser Fall (2 BvR 2242/09) vor. Der Beschwerdeführer wendete sich gegen die Ablehnung der Berichtigung eines Strafurteils. Er sei trotz übereinstimmender Personalien nicht die in der Hauptverhandlung erschienene und verurteilte Person und habe auch mit dem der Verurteilung zugrunde liegenden Sachverhalt nichts zu tun. Der wahre Täter und Verurteilte sei ein anderer. Der Beschwerdeführer habe diesem zeitweise seinen Ausweis überlassen. Nachdem der Beschwerdeführer zur Hauptverhandlung geladen worden sei, habe ihm der wahre Täter versprochen, die Sache zu regeln. Dieses Versprechen hielt der wahre Täter offenbar nicht ein …
6. November 2010
20. Oktober 2010
Die Mär vom „Schwarzsurfen“
Der Presserichter am Landgericht Wuppertal hielt es für eine gute Idee, wieder einmal das Schlagwort vom „Schwarzsurfen“ zu benutzen, als er heute von einer aktuellen Entscheidung des Gerichts zu berichten hatte. Darin wurde die Strafbarkeit desjenigen verneint, der ohne um Erlaubnis zu fragen ein offenes Funknetz mitbenutzte (25 Qs 177/10). Und so gab es heute kaum eine Meldung über diese Entscheidung, ohne daß dieses griffige Wort im Titel prangte. So sehr wie die Entscheidung richtig ist, ist die Bezeichnung „Schwarzsurfen“ falsch. Mehr noch: sie ist inakzeptabel. Denn worum geht es? Um Fälle, in denen jemand …
10. Oktober 2010
Raubkopieren ist doch gar nicht strafbar
Die mit öffentlichen Mitteln der Filmförderungsanstalt unterstützte „Aufklärungskampagne“ der deutschen Filmbranche tönt seit 2003, Raubkopierer seien Verbrecher. Dies wird uns „Verbrauchern“ zum Antrainieren eines – im Gegenschluss offenbar fehlenden – Unrechtsbewusstseins regelmäßig im Kino und zu Hause beim Abspielen von Filmen auf DVD eingetrichtert. Seinen sachlichen Gehalt soll diese Behauptung im Vergehen der unerlaubten Verwertung urheberrechtlich geschützter Werke nach § 106 Abs. 1 UrhG haben. Dessen Wortlaut wird nicht nur von der Filmbranche wie folgt kolportiert: „Wer in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen ohne Einwilligung des Berechtigten ein Werk oder eine Bearbeitung oder Umgestaltung …
6. Oktober 2010
„Richter Bärli“ vom „Bundesbärengericht“
Die Geduld des Bundesverfassungsgerichts mit rechtsmissbräuchlichen Verfassungsbeschwerden im Sinn des § 34 Abs. 2 BVerfGG scheint erschöpft zu sein. In letzter Zeit häufen sich nämlich Beschlüsse, mit denen das Bundesverfassungsgericht Beschwerdeführern oder deren Prozessbevollmächtigten eine Missbrauchsgebühr auferlegt. So entschied das Bundesverfassungsgericht jetzt auch wieder mit Beschluss vom 14. September 2010 – 1 BvR 2070/10. Dabei störte es sich insbesondere an der Mitteilung der Beschwerdeführerin, dass „Richter Bärli“ vom „Bundesbärengericht“ zwei Tage über eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts geweint habe. Ihr völlig neben der angegriffenen Entscheidung liegendes Vorbringen habe sie zuletzt durch den Hinweis vertieft, es könne …
4. Oktober 2010
Juristische Gedankenkunst
Ich bin immer wieder beeindruckt vom Anspruch US-amerikanischer juristischer Zeitschriften. Nehmen wir zum Beispiel das Duke Law Journal. Der Leitaufsatz der Oktober-Ausgabe umfasst 130 Seiten. Erwünscht sind nicht nur dort 40 bis 70 Seiten. Beides wäre bei uns völlig undenkbar, selbst bei Zeitschriften wie dem Archiv für die civilistische Praxis oder dem Archiv des öffentlichen Rechts. Große, eigenständige Entwürfe sind mit den gegebenen Seitenlimits, bei den Praktikerzeitschriften höchstens acht bis zehn Seiten und bei den Wissenschaftszeitschriften nicht mehr als 20 bis 30 Seiten, bei uns nicht möglich. Stattdessen herrscht der in Kurzformate gepresste Zeitgeist, der …
7. September 2010
Sarrazin und die Sache mit dem Arbeitsrecht
Es ist erstaunlich, welchen Dreh die Medienberichterstattung zum Fall Sarrazin bekommt, soweit es einmal um juristische Fragen geht. Dann ist vom Arbeitsrecht die Rede und einem möglichen Gang Sarrazins vor die Arbeitsgerichte, sollte der Bundespräsident ihn aus dem Bundesbankvorstand entlassen. Eins ist klar: Zu einem Gang vor die Arbeitsgerichte wird es nicht kommen. Wenn überhaupt, wird Sarrazin Rechtsschutz vor den Verwaltungsgerichten suchen, denn nur diese sind für ihn zuständig. Sarrazin ist kein Arbeitnehmer, sondern steht in einem öffentlich-rechtlichen Amtsverhältnis (§ 7 Abs. 4 Satz 1 BBankG). Und materiell-rechtlich gelten für dieses eigene Regeln. Woran liegt …
16. August 2010
Mossad-Attentat in Dubai: Hat die Bundesanwaltschaft die Strafverfolgung in Deutschland sabotiert?
Auslieferung Staatsanwaltschaft Strafprozess Strafrecht
Am 19. Januar 2010 wurde Mahmud al-Mabhuh, ein führender Hamas-Terrorist, in einem Dubaier Hotel tot aufgefunden. Der Verdacht, daß ein Mordkommando des israelischen Geheimdienstes Mossad am Werk war, wurde aufgrund der Beweislage für die europäischen Regierungen bald zur Gewißheit. Diese verurteilten die Tat und reagierten, als weitere Einzelheiten bekannt wurden, mit diplomatischen Repressalien. Das offizielle Israel weist die Anschuldigung zurück. Und behält so die naheliegende Frage für sich, ob die Europäer nicht mit zweierlei Maß messen. Hat doch kürzlich Bundesaußenminister Guido Westerwelle mit dem Brustton des guten Gewissens verlauten lassen, daß er gezielte Tötungen für …
15. August 2010
Auch Untreue ist doch gar nicht strafbar
Das Bundesverfassungsgericht beschloss am 23. Juni 2010, der Untreuetatbestand des § 266 Abs. 1 StGB sei mit dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG zu vereinbaren (BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 2010 – 2 BvR 2559/08). Die Vorschrift des § 266 Abs. 1 StGB laute: „Wer die ihm durch Gesetz, behördlichen Auftrag oder Rechtsgeschäft eingeräumte Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen oder einen anderen zu verpflichten, mißbraucht oder die ihm kraft Gesetzes, behördlichen Auftrags, Rechtsgeschäfts oder eines Treueverhältnisses obliegende Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen, verletzt und dadurch dem, dessen Vermögensinteressen er zu betreuen hat, Nachteil …
31. Juli 2010
Anlässlich des Loveparade-Unglücks: Fahrlässige Tötung ist doch gar nicht strafbar
Die Berichterstattung über das tragische Loveparade-Unglück in Duisburg, das 21 Menschen das Leben kostete, war von Anfang an nicht von sachlicher Ursachenanalyse, sondern reflexartig von der sich erst daran anschließenden Frage bestimmt, ob jemand und wenn ja, wer dafür verantwortlich ist. Im Mittelpunkt der Hexenjagd stehen der Veranstalter der Loveparade Rainer Schaller, der die Veranstaltung genehmigende Oberbürgermeister Adolf Sauerland und die polizeilichen Einsatzkräfte vor Ort. Schuld will keiner gewesen sein. Und am Ende wird, trotz möglicherweise festzustellenden fahrlässigen Verhaltens, vielleicht auch keiner wegen fahrlässiger Tötung bestraft werden. Das Strafrecht ist kein technisches Hilfsmittel zur Effektivierung …
21. Juli 2010
Der Bund und die Kommunisten
Der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts, der es bereits kürzlich mit dem Grundgesetz nicht so genau nahm, als es darum ging, überwachungsstaatlichen Strukturen Vorschub zu leisten (Der Bund und die Hooligans), entschied am 21. Juli 2010 über die Klage von Bodo Ramelow, eines Parlamentsabgeordneten für die Partei Die Linke, mit der er sich gegen die Sammlung personenbezogener Informationen über ihn durch das Bundesamt für Verfassungsschutz wandte. Nachdem der Kläger in beiden Vorinstanzen überwiegend Erfolg hatte, wurde die Revision der Bundesrepublik Deutschland vom Bundesverwaltungsgericht zugelassen, weil sie zur Beantwortung der Frage beitragen könne, inwieweit die Erhebung personenbezogener …
18. Juli 2010
Sich-Bergen und Dachdings-Auftragen: „verwelckte Hülsen eines captirten alten Wörter Krams“
Meine kürzlich unternommene Exkursion zum Reichskammergerichtsmuseum in Wetzlar wurde durch reiche Beute in Form einer den historischen Sachverhalt und die damalige rechtliche Würdigung anschaulich beleuchtenden Fallstudie der Gesellschaft für Reichskammergerichtsforschung belohnt (Oestmann, Germanisch-deutsche Rechtsaltertümer im Barockzeitalter – eine Fallstudie, Schriftenreihe der Gesellschaft für Reichskammergerichtsforschung, Heft 26, Wetzlar, 2000). Die Studie einschließlich des zugrunde liegenden Falls ist so spannend, dass ich hier eine Zusammenfassung liefern und eine Empfehlung zur Lektüre aussprechen möchte: Am 29. März 1734 heiratete Michael Schröder in dritter Ehe die 17-jährige, zwanzig Jahre jüngere Anna Sara Wessel. Diese war die Tochter des verstorbenen …
5. Juli 2010
Das verlogene Gesetz
Gerhard Strate entwickelt in seinem lesenswerten Aufsatz „Ende oder Wende des Strafzumessungsrechts?“ (NStZ 2010, 362—366) die These, das Strafzumessungsrecht, der alten Schule jedenfalls, sei spätestens mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren vom 29. Juli 2009 (BGBl. I 2010, 2353—2354) tot. Selten sei ein Gesetz und seine Begründung so widersprüchlich – man könne auch sagen: verlogen – gewesen. An die 60 Jahre „Rechtsentwicklung“ haben dabei tatsächlich Erstaunliches zu Stande gebracht. 1951 urteilte der Bundesgerichtshof noch, das Prozessverhalten des Angeklagten (Leugnen oder Geständnis) dürfe nicht um seiner selbst willen als Strafzumessungsgrund berücksichtigt …
28. Juni 2010
Der Bund und die Hooligans
BVerwG Datenschutz Föderalismus Gesetzgebung Polizei
Das Timing war schon mal perfekt: Am 04.06.2010 stimmte der Bundesrat der BKA-Daten-Verordnung zu, am 08.06.2010 wurde sie im Bundesgesetzblatt verkündet (BGBl. 2010 I S. 716) und am 09.06.2010 trat sie in Kraft. Das war der Tag, auf den das BVerwG die Urteilsverkündung terminiert hatte in einem Fall, für den sie dringend gebraucht wurde. Zu der Hooligandatei-Entscheidung des BVerwG (6 C 5.09), von der die Rede ist, habe ich in der „Aufsatz-Abteilung“ von De legibus eine Besprechung veröffentlicht. Obwohl die Entscheidungsgründe noch nicht im Volltext vorliegen, lassen sie sich aufgrund der Pressemitteilung des Gerichts und …
27. Juni 2010
Kann Joachim Gauck als evangelischer Pfarrer Bundespräsident werden?
Dr. theol. h. c., phil. h. c. mult. Joachim Gauck ist evangelischer Pfarrer und will Bundespräsident werden. Sollte er am Mittwoch, den 30. Juni 2010 gewählt werden, was ihm herzlich zu wünschen ist, wird er nach Art. 56 S. 1 GG bei seinem Amtsantritt vor den versammelten Mitgliedern des Bundestages und des Bundesrates folgenden Eid leisten müssen: „Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben …
20. Juni 2010
Rechtsanwälte als Ritter des Rechts
Es steht schon im Codex Iustinianus Buch II, Titel VII, Abschnitt XIV (C. 2, 7, 14): Advocati, qui dirimunt ambigua fata causarum suaeque defensionis viribus in rebus saepe publicis ac privatis lapsa erigunt, fatigata reparant, non minus provident humano generi, quam si proeliis atque vulneribus patriam parentesque salvarent. Nec enim solos nostro imperio militare credimus illos, qui gladiis clupeis et thoracibus nituntur, sed etiam advocatos: militant namque causarum patroni, qui gloriosae vocis confisi munimine laborantium spem vitam et posteros defendunt. Freie Übersetzung: Anwälte, die während eines Rechtsstreits zweideutige Fragen auflösen und die kraft ihrer Fürsprache …
15. Juni 2010
Ist Oberst Klein ein Mörder?
Staatsanwaltschaft Strafrecht Wehrrecht
Zur ungeklärten Frage der Verfassungsmäßigkeit von § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 VStGB Am 16. April 2010 hat die Bundesanwaltschaft das Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit einem von Bundeswehrsoldaten angeordneten Luftangriffs vom 4. September 2009 in Afghanistan („Kundus-Fall“) wegen erwiesener Unschuld eingestellt (3 BJs 6/10-4, Pressemitteilung). Bei dem Angriff waren nach offiziellen Angaben 73 Menschen getötet worden, darunter Medienberichten zufolge zahlreiche unbewaffnete Dorfbewohner und Kinder. Der SPIEGEL berichtete in seiner Ausgabe 23/2010 (Vorbericht bei Spiegel Online) von Einzelheiten aus den Entscheidungsgründen, die – wie es in der Pressemitteilung heißt – „wegen der Verpflichtung zur …
11. Juni 2010
Neid und Missgunst am Oberlandesgericht Düsseldorf
Die Richter des 24. Zivilsenats am Oberlandesgericht Düsseldorf müssen eine Regelung wie § 8 der Reichskammergerichtsordnung vom 7. August 1495 vor Augen gehabt haben, als sie am 18. Februar 2010 einem Strafverteidiger die vereinbarte Vergütung kürzten (OLG Düsseldorf, Urteil vom 18. Februar 2010 – I-24 U 183/05): „Item damit auch der gemain Man unbillicher Weis durch Advocaten und Redner nit beswert werd, so söllen Camerrichter und Urtailer zu ermessen haben, was nach Gestalt der Sach und Parthey sol von yeder gegeben werden.“ Vereinbart war eine Vergütung nach Zeitaufwand mit einem Stundensatz von 230,08 € netto. …