De legibus-Blog

8. Mai 2011

Angela Merkel auf den Spuren von Carl Schmitt – Richter Uthmann wehrt den Anfängen

Oliver García

Viele Juristen ärgern sich derzeit über Angela Merkel. Die Bundeskanzlerin hatte sich über die Meldungen von der Tötung Bin Ladens öffentlich gefreut. Bei manchem schlägt der Ärger in Aufgeregtheit um, so bei dem Hamburger Arbeitsrichter Heinz Uthmann. Er hat Merkel wegen Billigung von Straftaten (§ 140 StGB) angezeigt.

Merkel hat sich nicht strafbar gemacht und Uthmann, der selbst nicht recht an den Erfolg seiner juristischen Initiative glaubt, hat seiner berechtigten Empörung keinen guten Dienst erwiesen.

Uthmanns Empörung dürfte die eines Juristen sein, dem die Grundrechte und die Rechtsstaatlichkeit noch etwas wert sind und der um die öffentliche Rechtskultur besorgt ist, die für diese Grundprinzipien überlebenswichtig ist. Zu dieser Rechtskultur gehört aber auch das Wissen, daß das Strafrecht nicht als politische Waffe mißbraucht werden darf und daß es nicht aus aktuellem Anlaß über die Grenzen seines Anwendungsbereichs ausgedehnt werden darf, daß es als ultima ratio konzipiert ist und dies auch Frau Merkel zugute kommen muß, wenn sie unpopuläre Äußerungen macht.

Es beginnt schon damit, daß § 140 StGB nur eingreift, wenn die Vortat (hier: die gemeldete Tötung von Bin Laden) dem Anwendungsbereich des deutschen Rechts unterliegt (vgl. BGHSt 22, 282; dieser Punkt ist allerdings in der Rechtsprechung nicht grundlegend geklärt). Darüber hinaus setzt der objektive Tatbestand von § 140 Nr. 2 StGB nicht nur eine öffentliche Billigung voraus, sondern auch die Eignung, den öffentlichen Frieden zu stören. Wie der BGH in der zitierten Entscheidung ausgeführt hat, ist entscheidender Strafzweck, zu verhindern, daß ”ein ’psychisches Klima‘ geschaffen wird, in dem gleichartige Untaten gedeihen“. Von einem solchen Effekt könnte hier nur dann die Rede sein, wenn sich aus Merkels Freude ableiten ließe, daß sie auch ein entsprechendes Vorgehen deutscher Amtsträger befürworten würde. Solches zu unterstellen, mag zwar als politischer Vorwurf angehen, wäre aber nicht strafrechtlich tragfähig.

Der Versuch des Arbeitsrichters, für eine ”strafrechtliche Aufarbeitung“ zu sorgen, ist für sein eigentliches Anliegen kontraproduktiv. Statt die Gefahr einer langfristigen Verschiebung rechtlicher Wertmaßstäbe zu diskutieren, für die die Äußerung Merkels eine von vielen Durchgangsstationen sein könnte, wird der Fall in ein juristisches Abklingbecken geleitet. Daß es zu einer Verurteilung, auch in Form eines Strafbefehls, nicht kommen wird, steht ja auch für Richter Uthmann fest.

Das Bemerkenswerteste an der Aktion der USA, die von Merkel so freudig kommentiert wurde, ist die Art ihrer Mitteilung und ihre Rezeption in den Medien. Schon länger sehen die amtlichen Stellen der USA keinen Notwendigkeit und die öffentliche Meinung (jedenfalls in den USA) kein Bedürfnis, gezielte Tötungen von Terroristen zu camouflieren. In früheren Zeiten gab es das noch: In vielen ähnlichen Fällen, in denen es in Verlautbarungen hieß ”auf der Flucht erschossen“ oder ”beim Versuch der Festnahme zu Tode gekommen“, mochten die Leichtgläubigen dies für bare Münze nehmen, während die anderen (sei es zustimmend oder ablehnend) die Chiffre für eine absichtliche Tötung auflösen konnten. Jedenfalls für bestimmte krasse Fälle von Straftaten, insbesondere den ”internationalen Terrorismus“, hat sich ein Stimmungswandel in der öffentlichen Wahrnehmung vollzogen, eine Entwicklung, die sicher noch nicht abgeschlossen ist. Während in früheren Zeiten der öffentliche Konsens, wo die Grenze zwischen Recht und Unrecht verläuft, nicht neubestimmt werden mußte, weil ein punktuelles Wegsehen ausreichend erschien, zielt die neuere Tendenz auf eine Grenzverschiebung, also darauf, einzufordern, daß das, was bisher als Unrecht galt, nunmehr Recht sein soll.

Diese Erscheinung läßt sich aus historischer Perspektive besser einschätzen: Am 30. Juni 1934 und den beiden Tagen darauf ließ Reichskanzler Adolf Hitler im Rahmen einer reichsweiten, konzertierten Aktion gegen die SA deren führende Männer töten (sog. Röhm-Putsch). Dieses prägende Erlebnis des kollektiven Bewußtseins ist aus heutiger Sicht nahezu geschichtlich verschwunden hinter einem Gebirge von nationalsozialistischen Unrechtstaten, das sich in den elf folgenden Jahren noch aufschichten sollte. Damals aber handelte es sich um einen Vorgang, der den Großteil der deutschen Öffentlichkeit, nämlich diejenigen, die sich noch nicht mit Haut und Haaren der Ideologie des Nationalsozialismus hingegeben hatten, zutiefst verstörte und entsetzte. Wie kann es sein, daß – ”ausgerechnet in Deutschland“ – Mordtaten von der Staatsführung selbst angeordnet werden – und auch noch in aller Öffentlichkeit? Die Mehrheit der Bevölkerung war es zu diesem Zeitpunkt noch gewohnt, Deutschland für einen Rechtsstaat zu halten. An der Bestürzung der rechtsgläubigen Bevölkerung änderte auch nichts der Umstand, daß die paramilitärische SA einen schlimmen Ruf hatte, eigentlich als Terrorbande innerhalb der Nationalsozialisten galt, kurz, daß es ”irgendwie schon die Richtigen getroffen“ hatte.

Die nationalsozialistische Führung wußte, daß der Erfolg ihrer Revolution davon abhing, nicht gegen die öffentliche Meinung zu arbeiten, sondern diese für sich zu gewinnen. Hitler vertuschte deshalb nichts, sondern trat die Flucht nach vorn an. Seine Entscheidung durfte nicht als Bruch des den Deutschen so wichtigen Rechts erscheinen, sondern mußte legal werden. Die Maßnahmen mußten geradezu in eine Verteidigung des Rechts umgedeutet werden. Erster Schritt war es, gleich am 3. Juli 1934 ein Gesetz zu erlassen, dem zufolge die Maßnahmen ”als Staatsnotwehr rechtens“ waren. Doch dies erreichte nur eine formelle Legalität. Hitler mußte auch die Herzen der Deutschen (zurück-) gewinnen. Deshalb hielt er am 13. Juli 1934 eine Rede vor dem versammelten Reichstag und den Deutschen an den Volksempfängern, in der er wortreich die Vorgänge schilderte und als unumgänglich verteidigte.

Daran knüpfte sofort der renommierte Staatsrechtsprofessor Carl Schmitt an, als er am 1. August 1934 in der Deutschen Juristen-Zeitung 15/1934, S. 945 seinen berühmt gewordenen Aufsatz ”Der Führer schützt das Recht“ veröffentlichte. Diesen kann man als das eigentliche Gründungsmanifest der nationalsozialistischen Rechtslehre ansehen, eben weil es kein ”Gefälligkeitsgutachten“ war, sondern auf hohem wissenschaftlichen Niveau die Umdeutung von Unrecht in Recht legitimierte. Schmitt schrieb:

Für die Rechtsblindheit des liberalen Gesetzesdenkens war es kennzeichnend, daß man aus dem Strafrecht den großen Freibrief, die ”Magna Charta des Verbrechers“ (Fr. v. Liszt) zu machen suchte. Das Verfassungsrecht mußte dann in gleicher Weise zur Magna Charta der Hoch- und Landesverräter werden. Die Justiz verwandelt sich dadurch in einen Zurechnungsbetrieb, auf dessen von ihm voraussehbares und von ihm berechenbares Funktionieren der Verbrecher ein wohlerworbenes subjektives Recht hat. Staat und Volk aber sind in einer angeblich lückenlosen Legalität restlos gefesselt. Für den äußersten Notfall werden ihm vielleicht unter der Hand apokryphe Notausgänge zugebilligt, die von einigen liberalen Rechtslehrern nach Lage der Sache anerkannt, von anderen im Namen des Rechtsstaates verneint und als ”juristisch nicht vorhanden“ angesehen werden. […]

In Wahrheit war die Tat des Führers echte Gerichtsbarkeit. Sie untersteht nicht der Justiz, sondern war selbst höchste Justiz. Es war nicht die Aktion eines republikanischen Diktators, der in einem rechtsleeren Raum, während das Gesetz für einen Augenblick die Augen schließt, vollzogene Tatsachen schafft, damit dann, auf dem so geschaffenen Boden der neuen Tatsachen, die Fiktionen der lückenlosen Legalität wieder Platz greifen können. Das Richtertum des Führers entspringt derselben Rechtsquelle, der alles Recht jedes Volkes entspringt. In der höchsten Not bewährt sich das höchste Recht und erscheint der höchste Grad richterlich rächender Verwirklichung dieses Rechts. Alles Recht stammt aus dem Lebensrecht des Volkes. Jedes staatliche Gesetz, jedes richterliche Urteil enthält nur soviel Recht, als ihm aus dieser Quelle zufließt. Das Übrige ist kein Recht, sondern ein ”positives Zwangsnormengeflecht“, dessen ein geschickter Verbrecher spottet.

Angela Merkel ist kein Carl Schmitt, sie ist keine Rechtswissenschaftlerin und hat keinerlei Gedankengebäude errichtet. Sie hat sich nur gefreut. Doch ebenso wie Schmitt die nationalsozialistische Weltanschauung in der Rechtswissenschaft salonfähig gemacht hat, hat sich Merkel zur Gewährsfrau und möglicherweise Wegbereiterin gemacht für eine grundlegende juristische Grenzverschiebung, für einen Paradigmenwechsel, was Recht und was Unrecht ist.

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