De legibus-Blog

2. April 2011

Der Fall Lucas, der zu einem Fall Junggeburth wurde

Oliver García

Alle juristischen Blogs sind voll davon und auch die Tagespresse berichtet – zu Recht: Bis gestern stand Rechtsanwalt Stephan Lucas als Angeklagter vor dem Landgericht Augsburg (Az. 3 KLs 400 Js 116928/08). Er soll Strafvereitelung begangen haben. Es handelt sich um einen veritablen Justizskandal, mit der Besonderheit, daß er nicht „von unten nach oben“ ging, nicht mit einer Entscheidung des BGH seinen Abschluß fand, sondern umgekehrt „von oben nach unten“, beim BGH begann und – mit der Staatsanwaltschaft Augsburg als Zwischenstation – beim dortigen Landgericht seinen (vorläufigen?) Höhepunkt hatte.

Was war geschehen? Strafverteidiger Lucas hatte gegen ein Urteil des LG Augsburg vom 24. September 2007 Revision beim BGH eingelegt und darin unter anderem gerügt, daß die Augsburger Richter sich nicht an die Strafvorstellungen gehalten hätten, die sie in einem informellen Gespräch mit ihm (Lucas) geäußert hätten (vergleiche heute: „Verständigung im Strafverfahren“, § 257c StPO). Er machte damit in der Revision einen Verstoß gegen rechtsstaatliche Grundsätze geltend. Der 1. Strafsenat des BGH forderte daraufhin dienstliche Erklärungen der Augsburger Richter an. Diese leugneten die Darstellung, die Lucas von dem Gespräch gegeben hatte. Der BGH verwarf demzufolge die Revision in diesem Punkt (Beschluß vom 15. April 2008 – 1 StR 104/08). Der Senat sah in seinem Beschluß allerdings auch „Anlass zu folgenden ergänzenden Ausführungen“. Diese beginnen mit einer langen Darstellung, warum Rechtsanwalt Lucas in einem „einfach gelagerten“ Verfahren (das für den Angeklagten mit einer Freiheitsstrafe von 8 1/2 Jahren endete) durch immer neue Beweisanträge dieses unverantwortlich verschleppte („Die Nutzung der durch die Strafprozessordnung gewährleisteten Verfahrensrechte in einer solchen Weise ist mit der Wahrnehmung der Aufgabe der Verteidigung […] nicht mehr zu erklären.“).

Nach dieser dem BGH erforderlich scheinenden Charakterisierung des Strafverteidigers, die mit der in Rede stehenden Revisionsrüge gar nichts zu tun hatte, geht der Senat dann zu dieser über und zitiert ausführlich die dienstliche Erklärung der Augsburger Richter, um im letzten Satz seines Beschlusses sein Fazit zu ziehen:

„Aufgrund dieser von der Revision nicht widersprochenen Erklärung muss der Senat nun auch noch mit Befremden zur Kenntnis nehmen, dass er mit unwahrem Vorbringen konfrontiert wurde.“

Der 1. Strafsenat des BGH unter dem Vorsitzenden Armin Nack sagte damit nichts anderes, als daß er Rechtsanwalt Lucas für einen Lügner hält. Dies geht aus der Wendung „Befremden“ zweifelsfrei hervor, denn daß ein Strafsenat des BGH mit (objektiv) unwahrem Vorbringen konfrontiert wird, ist sein täglich Brot. Die Staatsanwaltschaft Augsburg hat diesen Ball angenommen und wegen Strafvereitelung (§ 258 StGB) Anklage gegen Lucas erhoben.

Aber hat Lucas durch plötzliche Kleinlautheit nicht den Verdacht der Lüge erhärtet? Der BGH schreibt ja, daß Lucas der Darstellung der Richter nicht widersprochen habe. Wie Lucas‘ späterer Strafverteidiger mitteilt, kann davon keine Rede sein. Denn ihm zufolge ist am Samstag, dem 12. April 2008 – innerhalb der gesetzten Erwiderungsfrist und drei Tage vor dem BGH-Beschluß – ein Schriftsatz Lucas‘ beim BGH eingegangen, in dem er ausführlich erwiderte und seine Darstellung bekräftigte. Wenn dies stimmt, dann war Ausgangspunkt für den Augsburger Prozeß gegen Lucas ein Satz des 1. Strafsenats des BGH, der einen eindeutigen Verfahrensverstoß, einen Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) darstellte.

Soviel zum Anteil des BGH am Justizskandal. Der Anteil der Augsburger Staatsanwaltschaft, zu dem sich vieles sagen ließe, soll hier übersprungen werden, um gleich zum peinlichsten Teil zu kommen, der am Freitag, dem 1. April 2011, stattfand:

Lucas wurde freigesprochen. Dies war nicht peinlich, sondern nach allen bekannten Fakten völlig richtig, denn es stand Aussage gegen Aussage und es fand sich kein durchgreifender Beweis, welche Seite nun gelogen hat – der Anwalt oder die Richter. Peinlich war aber die Art und Weise, in der dieser Freispruch vom Vorsitzenden Richter der 3. Strafkammer des LG Augsburg, Thomas Junggeburth, zelebriert wurde. Ich stütze mich bei diesem Werturteil auf die Darstellung, die die Presse von der Verhandlung gegeben hat, und entschuldige mich schon jetzt bei Herrn Junggeburth, falls die Presse nicht sauber berichtet und dadurch sein Renommee als Jurist beschädigt haben sollte.

Schon die Verhandlungsführung durch Junggeburth, der dem aufgrund eines unfallbedingten Staus verspätet eintreffenden Angeklagten wegen einer Art „Mißachtung des Gerichts“ anherrschte, weil er nicht rechtzeitig zu seinem Urteilsspruch, zu seinem Freispruch, erschien, weckt Zweifel an Junggeburths Sozialkompetenz. Auf die Einzelheiten der ehrenrührigen Begründung des Freispruchs, die die Spiegel-Reporterin Gisela Friedrichsen als „so voller Gift und Galle, wie man sie kaum je hört“ bezeichnete, will ich gar nicht eingehen.

Schwerer wiegt, daß – wie ein Abgleich der Presseberichte nahelegt – neben dem Zweifel an Junggeburths Sozialkompetenz auch ein erschreckender Zweifel an seiner juristischen Kompetenz zutage tritt. Laut Spiegel Online hat Junggeburth Lucas gegenüber gesagt:

“Ihr Freispruch ist auch nicht der erwartete, sondern einer, der nur knapp wegen des Grundsatzes ’Im Zweifel für den Angeklagten‘ ergeht!”

Und der Berichterstatter der Süddeutschen Zeitung zitiert aus Junggeburths mündlichen Urteilsbegründung:

“[…] sagte Junggeburth. Deshalb stehe für das Gericht fest, dass Lucas ’subjektiv von einer solchen Zusage ausging‘”.

Wie paßt das zusammen? Die Überzeugung (!) vom Fehlen des subjektiven Tatbestands ist ein klarer Freispruch aus Rechtsgründen und kein Fall von „in dubio pro reo“. Wenn tatsächlich beide Äußerungen gefallen sind und es keine subtileren Äußerungen gibt, die den Zusammenhang klar werden lassen, dann hat die Augsburger Justiz ein Problem und das Problem heißt Junggeburth.

Man spricht öfters von einem „Freispruch erster Klasse“. Wie immer die denkbaren Klassen abgegrenzt werden mögen, als „erster Klasse“ kann man einen Freispruch durchaus bezeichnen, wenn er besagt, daß die angeklagte Tat nicht nur straflos ist, sondern sogar umgekehrt völlig richtig, geradezu ehrenhaft ist. Wenn Lucas – und das hat das Augsburger Gericht festgestellt – „subjektiv von einer solchen Zusage ausging“, dann war der Umstand, daß er darauf eine Revision stützte, nicht „gerade mal so“ in Ordnung, sondern die einzige korrekte Art und Weise, sein Amt als Strafverteidiger auszuüben. Dies geht ohne weiteres aus der Rechtsprechung des BGH hervor (BGH, 1. September 1992 – 1 StR 281/92; siehe auch BGH, 9. Mai 2000 – 1 StR 106/00):

„Ein Strafverteidiger ist verpflichtet, seinen Mandanten bestmöglich zu verteidigen. Ihm vorliegende oder zugängliche Beweismittel zu Gunsten seines Mandanten muß er einbringen. In diesem Rahmen ist er zwar verpflichtet, darauf zu achten, daß er nicht gefälschte oder sonst als unrichtig erkannte Beweismittel vorlegt. Hat er aber insoweit lediglich Zweifel an der Echtheit, ist er deshalb nicht befugt, ein Beweismittel zurückzuhalten. Andernfalls würde er in Kauf nehmen, ein möglicherweise echtes, entlastendes Beweismittel zu unterdrücken.“

Junggeburth mag ein ausgewiesener Experte auf dem Gebiet „harter Patronatserklärungen“ sein, aber das Strafrecht ist seine Sache nicht.

Was ihn als Vorsitzenden Richter einer Strafkammer qualifiziert, ist aber auch vielleicht weniger die Theorie, als die Praxis. Jungrichter Junggeburth hat schon als Jungstaatsanwalt wertvolle Erfahrung gesammelt, wie man mit Personen jenseits der Richterbank umspringt, die denen diesseits der Richterbank Unwahrheit vorwerfen. Dies geht jedenfalls aus einem Bericht der lokalen Presse von 2007 hervor.

Zitiervorschlag für diesen Beitrag:
https://blog.delegibus.com/803

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