Die Tat ereignete sich am 8. September 2015. Der bekannte Rechtsanwalt David Schneider-Addae-Mensah saß in seiner Kanzlei und machte seinem Ärger über den bayerischen Innenminister Joachim Herrmann Luft, indem er ihm einen Brief schrieb:
Ihre rassistische Gesinnung
Hallo, Herr Herrmann,
Sie sind ein ganz wunderbares Inzuchtsprodukt!
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Schneider-Addae-Mensah
Die Formulierung war eine Retourkutsche, denn Herrmann hatte einen Mediensturm ausgelöst, weil er eine Woche zuvor in der Talkshow Hart aber Fair die Worte gesprochen hatte „Roberto Blanco war immer ein wunderbarer Neger“. Mit ein paar Tagen Verzögerung erreichte die Stoßwelle der medialen Empörung Schneider-Addae-Mensah. Er fühlte sich besonders getroffen. Verständlich, hatte er doch aufgrund seiner dunklen Hautfarbe schon oft selbst mit Diskriminierung zu kämpfen. Er ist sensibilisiert für den Alltagsrassismus, in dem Wörter wie diese nicht nur die perfide äußere Schicht, sondern auch Türöffner für mehr sein können. Schneider-Addae-Mensah hat sich augenscheinlich für eine Null-Toleranz-Politik entschieden. Zu dem Brief entschloß er sich dabei spontan als Ventil für seine Verärgerung. Es war keine Aktion und schon gar keine PR-Masche: Schneider-Addae-Mensah schrieb ganz privat unter Ausschluß der Öffentlichkeit.
In die Öffentlichkeit gelangte der Fall im Jahr darauf. Denn Herrmann wollte das Schreiben weder als wertvollen Diskussionsbeitrag noch als Denkzettel gelten lassen und er wollte auch nicht souverän darüberstehen, sondern stellte Strafantrag. Die Staatsanwaltschaft ermittelte gegen den Anwalt wegen Beleidigung und beantragte einen Strafbefehl. Dann passierte etwas, was ungewöhnlich ist im Strafjustizbetrieb: Das Amtsgericht lehnte den Antrag ab (AG Karlsruhe, 3. Mai 2016 – 5 Cs 520 Js 39011/15). Die Staatsanwaltschaft legte dagegen Beschwerde ein, doch ohne Erfolg: Auch das Landgericht ist der Meinung, daß sich Schneider-Addae-Mensah nicht strafbar gemacht hat (LG Karlsruhe, 20. Juli 2016 – 4 Qs 25/16).
In den Gründen des Beschwerdebeschlusses prüft das Landgericht den Fall ganz schulmäßig: Ja, das Verhalten des Beschuldigten erfülle die objektiven und subjektiven Voraussetzungen einer Beleidigung (§ 185 StGB). Diese sei aber wegen „Wahrnehmung berechtigter Interessen“ (§ 193 StGB) gerechtfertigt. Denn die Bezeichnung Herrmanns als „ganz wunderbares Inzuchtsprodukt“ sei im vorliegenden Kontext von der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) gedeckt. Herrmann habe nämlich selbst „zu einem abwertenden Urteil Anlass gegeben“, indem er öffentlich Roberto Blanco als „wunderbaren Neger“ bezeichnet hätte. Daß Roberto Blanco sich laut Presse nicht beleidigt fühlte, spiele keine Rolle. Denn ob Herrmanns Äußerung über Roberto Blanco einen ehrverletzenden Inhalt habe, bestimme sich nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums. Aus diesem Grund falle die vorzunehmende Abwägung zwischen den grundrechtlichen Positionen Meinungsfreiheit und Ehrenschutz zu Lasten der letzteren aus.
Diese Argumentation des LG Karlsruhe deckt sich mit der des Amtsgerichts. Dieses hatte schlagwortartig vom „Recht zum Gegenschlag“ gesprochen und entschieden, daß das Verhalten Schneider-Addae-Mensahs eine „adäquate Reaktion auf die vorausgegangene Ehrverletzung“, die Herrmann begangen habe, gewesen sei.
Hier könnte man die „Lerneinheit Ehrdelikte“ schließen. Doch so einfach ist es nicht. Bei den beiden Entscheidungen der Karlsruher Gerichte handelt es sich nicht, wie die TAZ jubelte, um ein „ganz wunderbares Urteil“, sondern vielmehr um eine bemerkenswerte richterliche Fehlleistung. Die Prämisse beider Gerichte, Herrmann sei selbst Täter einer Beleidigung, diese Selbst-schuld-Zuschreibung, die für die Abwägung zentral ist, ist nicht ansatzweise vertretbar. Sie ist das Produkt einer Pressekampagne, die von den Gerichten unreflektiert übernommen wurde und an die Stelle dessen getreten ist, was die eigentliche Kernkompetenz eines Gerichts sein sollte: Eine besonnene und vollständige Sachverhaltsaufklärung und –würdigung.
Auch wenn es ein bißchen Arbeit ist und kostbare Lebenszeit aufbraucht: Die Mühe, die sich die Karlsruher Gerichte erspart haben, auf sich zu nehmen und genau zu schauen, was Herrmann sich da eigentlich geleistet hat, um den Ärger des Anwalts auf sich zu ziehen, lohnt sich. Es ist keine Lektion im Strafrecht, sondern eine in Medienkunde.
Der fragliche Abschnitt der Sendung Hart aber Fair vom 31. August 2015 beginnt damit, daß der Moderator, Frank Plasberg, mit der Miene größter Betroffenheit einen Einspieler ankündigt, indem er sagt ([33.53] im nachfolgenden Video): „Was ist passiert in diesem Land, daß Menschen Sachen in eine Kamera sagen, die wirklich ungeheuerlich sind?“. Eine dieser so angekündigten Äußerungen von „Menschen auf der Straße“ lautet: „Die Neger, sog i, die Neger, auf bayerisch, die Neger – bayerisch ausgedrückt -, die kenna mia net bracha. Die passen nicht zu uns. Ganz einfach. Es ist so.“ Nach diesem Einspieler ist es dem Moderator ein besonderes Anliegen, eine Art fiktiven Dialog zwischen Joachim Herrmann und dem Mann herzustellen, der gar nicht oft genug „Neger“ sagen konnte. Er fragt den Minister: „Was sagen Sie denn so einem Landsmann – […] Sie sind nun einmal der Bayer hier, auch wenn Sie aus Franken kommen, ich glaube es war ein Oberbayer – was sagen Sie dem Mann – im Dialekt oder nicht?“
Herrmann antwortet zunächst im Politsprech und Juristendeutsch („Menschen die wirklich verfolgt sind, haben Asylrecht, da geht es nicht um Hautfarbe, da geht es nicht um Religion. Dafür müssen wir gemeinsam als Demokraten auch werben.“ Und so weiter). Er kommt auf das Thema der Unterscheidung zwischen berechtigten und nicht berechtigten Asylbewerbern, wird dabei von einer Mitdiskutantin (Simone Peter) unterbrochen, die ihm und seiner Partei Stimmungsmache und fehlende sprachliche Sensibilisierung vorwirft. In den folgenden routinierten politischen Schlagabtausch hinein meldet sich Herrmanns Sitznachbar (Ulrich Reitz) zu Wort, der den Faden von Plasbergs Ausgangsfrage aufnehmen will ([39.39] im nachfolgenden Video): „Ich hätte eine Antwort auf den Bayer. Ich würde ihm antworten: Was ist eigentlich das deutsche Volk? Haben Sie darauf eine Antwort? Wir haben nach dem Krieg 12 Millionen Flüchtlinge integriert. Wir haben Aussiedler integriert. Wir haben Hundertausende von türkischen Arbeitsmigranten, griechischen und italienischen, integriert. Und Deutschland hat sich damit weiterentwickelt. Es ist eine grandiose Erfolgs-Story.“
An dieser Stelle fällt auch Herrmann, der diese „Antwort an den Bayer“ nickend begleitet hatte, eine weniger glattgebügelte, etwas volksnähere Antwort ein auf jemanden, der im Stakkato von den „Negern“ spricht, die nicht „zu uns passen“. Er schließt an die „Erfolgs-Story“ seines Vorredners an: „Roberto Blanco war immer ein wunderbarer ‚Neger‘, der den meisten Deutschen wunderbar gefallen hat und beim FC Bayern spielen auch eine ganze Menge mit schwarzer Hautfarbe mit und das finden die Fans vom FC Bayern auch gut.“
Sein Nachbar ist hocherfreut, strahlt über das ganze Gesicht und stimmt eifrig ein: „Sehen Sie? Das könnte man ihm doch gut sagen.“ Die ganze Runde schwimmt in Schmunzelstimmung. Nur der Moderator markiert mit einem eingeworfenen „Holla“, daß er – Journalist, der er ist – den Haarriß erkannt hat, an dem seine Kollegen nach der Sendung würden arbeiten können.
In obiger Aufzeichnung sind die „ungeheuerlichen“ O-Töne durch Texttafeln ersetzt worden. Die Originalfassung ist im zweiten Video der Tagesschau-Nachricht „Verbale Entgleisung bei „Hart aber Fair““ zu sehen.
Was Joachim Herrmann sagte, war nicht „Roberto Blanco war immer ein wunderbarer Neger“, sondern „Roberto Blanco war immer ein wunderbarer ‚Neger‘“. Das heißt mit Anführungszeichen, die man aber in der gesprochenen Sprache nur hört, wenn man auf den Kontext achtet (es sei denn der Sprecher verwendet die etwas alberne Technik, die Anführungszeichen mit den Fingern in die Luft zu malen). Aber nicht nur das: Was Herrmann formulierte, war nicht etwas, was ihm losgelöst von jeder Sprechsituation als akzeptable Äußerung erscheint. Er sagte es – wie von ihm ja verlangt – in dem fiktiven Gespräch mit dem Oberbayern aus dem Einspieler, um diesem Denkanstöße zu geben. Er nimmt ihm das Wort aus dem Mund, um die an dem Wort festgemachte Meinung zu widerlegen. Ob es demgegenüber in einem größeren Rahmen geschickt ist, die Argumentation, daß dunkelhäutige Menschen genauso wie hellhäutige zu Deutschland gehören, an den Sonderfällen prominenter Künstler und Sportler festzumachen, steht auf einem anderen Blatt. Aber Herrmann hat keineswegs etwas rassistisches gesagt noch offenbarte die Bemerkung gar, daß er ein „Rassist“ ist. Wer die Äußerungen Herrmanns in ein solches Licht rücken will, hat entweder nicht alle Tassen im Schrank oder arbeitet mit einer böswilligen, um nicht zu sagen bösartigen, Verdrehung.
Genau das aber geschah in den Medien: Auf allen Kanälen prasselten die Schlagworte „Herrmann“, „Rassismus“, „Robert Blanco = Neger“. ZEIT ONLINE: „Joachim Herrmann äußert sich rassistisch über Roberto Blanco“. Von FOCUS Online wurde das Opfer, Roberto Blanco, zart befragt, wie sehr es durch den verbalen Übergriff („CSU-Minister nannte ihn „Neger““) getroffen sei. Nicht sehr? Nun ja, auch damit läßt sich dramaturgisch arbeiten. Die Süddeutsche Zeitung ließ in ihrem Leser-Laufstall „Ihr Forum“ diskutieren und lieferte gleich die beiden Deutungsmöglichkeiten mit: „“Wunderbarer Neger“: Ist Herrmanns Aussage ein Ausrutscher oder Kalkül?“. Meinungsführer Stefan Kuzmany von SPIEGEL ONLINE analysierte knallhart: „Jeder halbwegs gebildete Mensch weiß, dass „Neger“ eine Beleidigung ist – Joachim Herrmann (CSU), der bayerische Innenminister, weiß es offenbar nicht. Dafür kann es nur eine Strafe geben.“ – Als Strafe genügte ihm – bezeichnenderweise – der Umstand, daß Herrmann weiter Minister im Kabinett Seehofer ist. Für ihn ist Herrmann der „depperte Lackl am Biertisch, der etwas vorgeblich Ausländerfreundliches sagen will, dabei aber nur den eigenen Rassismus entlarvt“.
Diesen Lynchmob-Journalismus, nicht eine eigene Sachverhaltswürdigung, haben die Karlsruher Richter als Grundlage ihrer Entscheidungen genommen, in denen sie gerichtsoffiziell feststellen, daß Joachim Herrmann Roberto Blanco beleidigt habe. Sie sollten sich bei Herrmann entschuldigen.
Auch wenn die unhaltbare Prämisse wegfällt, auf die die Entscheidungen gestützt sind, ist noch nicht gesagt, daß diese auch im Ergebnis falsch sind. Zum einen kann sich die Meinungsfreiheit auch dann durchsetzen, wenn der Adressat keine Beleidigung begangen hat. Vielleicht würden die Richter dem Beschuldigten zubilligen, bereits aus der Verwendung des Tabuwortes „Neger“ – und sei es auch im ablehnenden Sinne – ein Gegenschlagsrecht herzuleiten, im Sinne eines Kampfes für „Sprachhygiene“. Zum anderen kann sich die Straffreiheit auch aus einem Irrtum Schneider-Addae-Mensahs über die Bedeutung der Worte Herrmanns ergeben (für Liebhaber der strafrechtlichen Dogmatik: Erlaubnistatbestandsirrtum). Eine fahrlässige Beleidigung ist nicht strafbar.
Bonusmaterial: