Als geeignete Maßnahme gilt insbesondere die Möglichkeit des Betroffenen, seinen Standpunkt geltend zu machen. Die verantwortliche Stelle ist verpflichtet, ihre Entscheidung erneut zu prüfen.
Diese beiden Sätze klingen wichtig; ihr Fehlen würde man als Betroffener, worum auch immer es geht, wahrscheinlich beklagen. Es ist daher ein Glück, dass sie durch die Artt. 1 Nr. 10, 9 Abs. 1 des Gesetzes zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes und anderer Gesetze vom 18. Mai 2001 (BGBl. I 2001 S. 904) mit Wirkung zum 23. Mai 2001 als § 6a Abs. 2 S. 2, S. 3 BDSG 2001 in Kraft gesetzt wurden.
Gleichwohl scheint es sich nur um einen Spuk zu handeln, denn außerhalb meiner historisch-synoptischen Edition des Bundesdatenschutzgesetzes scheinen diese Sätze nicht zu existieren, siehe etwa folgende Konsolidierungen:
- Bundesministerium der Justiz, Gesetze im Internet,
- Oliver García, dejure.org,
- Daniel Liebig, buzer.de,
- Verlag C.H.Beck oHG, beck-online und
- Wolters Kluwer Deutschland GmbH, Jurion.
Auch in Peter Gola et al., Bundesdatenschutzgesetz, 11. Auflage 2012, sind sie nicht abgedruckt. Immerhin heißt es in dem Kommentar aber, zweifelhaft sei, „ob die beiden letzten Sätze des § 6a Abs. 2 Nr. 2 a. F. durch die Beschlussempfehlung des Innenausschusses (BT-Drs. 16/13219, S. 3) weggefallen sind“ (§ 6a Rdnr. 14b).
Mit diesem Falschzitat (in doppelter Hinsicht) nähern wir uns allerdings auch schon der Ursache des Spuks. Nach den Artt. 1 Nr. 4 Buchst. b, 2 des Gesetzes zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes vom 29. Juli 2009 (BGBl. I 2009 S. 2254) wurde „Absatz 2 Satz 1 Nr. 2“ mit Wirkung zum 1. April 2010 wie folgt gefasst:
2. die Wahrung der berechtigten Interessen des Betroffenen durch geeignete Maßnahmen gewährleistet ist und die verantwortliche Stelle dem Betroffenen die Tatsache des Vorliegens einer Entscheidung im Sinne des Absatzes 1 mitteilt sowie auf Verlangen die wesentlichen Gründe dieser Entscheidung mitteilt und erläutert.
Sämtliche Konsolidierer, die es aufgrund ihrer Erfahrung eigentlich vor allem einschließlich des Bundesministeriums der Justiz wissen müssten, sind hier ausgehend von ihren Gewohnheiten über ein Zitierproblem gestolpert. § 6a Abs. 2 BDSG 2001 hat nämlich drei Sätze. Die Nummern 1 und 2 gehören dabei grammatikalisch zu Satz 1. Die Sätze 2 und 3, und das ist die Wurzel allen Übels, sind hierbei aber mit auf die Gliederungsebene der Nummer 2 eingerückt, weil sie diese inhaltlich erläutern.
Diese Unsauberkeit leistet sich der Gesetzgeber am laufenden Band. Es kommt häufig vor, dass ein Absatz eines Paragrafen beispielsweise wie folgt gegliedert ist (siehe nur § 4d EStG):
[1] Satz 1.
[2] Satz 2:
1. Nummer 1 (Wortgruppe);2. Nummer 2
(Wortgruppe).Satz X.
Satz Y;
3. Nummer 3 (Wortgruppe).
[3] Satz 3.
Diese Gliederung ist unlogisch; es ist nicht eindeutig, was der dritte Satz ist. Nach der bloßen grammatikalischen Reihenfolge wäre es „Satz X“. Bei diesem Verständnis wären aber die beiden Gliederungsebenen „Satz“ (Ebene 1) und „Nummer“ (Ebene 2) miteinander verschränkt. Es ließe sich dann nur mit logischer Inkonsequenz von Satz 2 Nummer 3 sprechen. Dem Gesetzgeber und den Konsolidiererkollegen fällt das wohl deshalb nicht so sehr auf, weil sie die Sätze anders als ich – mit Ausnahme des Einkommensteuergesetzes – nicht nummerieren.
Im Fall des § 6a Abs. 2 BDSG 2001 ist die Lage dagegen aufgrund der besonderen Umstände eindeutig. Wenn der Gesetzgeber das Änderungssubjekt mit „Absatz 2 Satz 1 Nr. 2″ bezeichnet, dann unterscheidet er ausdrücklich nach Sätzen. § 6a Abs. 2 BDSG 2001 hat in grammatikalischer Reihenfolge genau drei Sätze. Daran ändert die Einrückung der Sätze 2 und 3 auf die Gliederungsebene der Nummer 2 nichts, dann es handelt sich dabei ja nur um eine Orientierungshilfe. Und auf der darunter liegenden Ebene folgen keine weiteren Sätze. Wenn der Gesetzgeber dann die Nummer 2 als dem Satz 1 zugehörig zitiert, dann gehören die Sätze 2 und 3 eindeutig nicht zum Änderungssubjekt. Sie blieben daher bei der Änderung durch die Artt. 1 Nr. 4 Buchst. b, 2 des Gesetzes vom 29. Juli 2009 unangetastet.
Dem Betroffenen ist also nach wie vor die Möglichkeit einzuräumen, seinen Standpunkt geltend zu machen. Und die verantwortliche Stelle ist dann verpflichtet, ihre Entscheidung erneut zu prüfen. Ich möchte lieber nicht wissen, wie oft es seit dem 1. April 2010 Streit gab, weil der Gesetzestext abweichend davon überall falsch dargestellt ist.
Nachtrag vom 17. Dezember 2013
Der Kollege Christoph Schwalb hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass der Innenausschuss die Änderung nach Art. 1 Nr. 4 Buchst. b des Gesetzes vom 29. Juli 2009 in seiner Beschlussempfehlung vom 27. Mai 2009 (Deutscher Bundestag, Drucksache 16/13219, S. 8) ergänzend wie folgt begründete:
„Die Änderung wird zum Anlass genommen, § 6a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 sprachlich zu verbessern und zugleich kürzer zu fassen.“
Wenn ich mir § 6a Abs. 2 S. 1 Nr. 2 BDSG 2010 nun in meiner Synopse betrachte, dann kann von einer Kürzung des Textes tatsächlich nur dann die Rede sein, wenn die Sätze 2 und 3 weggefallen wären.
Ich glaube trotzdem ganz fest daran, dass § 6a Abs. 2 S. 2, S. 3 BDSG existiert, weil der Wortlaut des Änderungsgesetzes eindeutig ist. Grundsätzlich sind zwar auch Änderungsgesetze auslegungsfähig und Gesetzesmaterialien werden gemeinhin zur Ermittlung des gesetzlich Gewollten mit herangezogen. Aber bei der Festlegung des Gesetzeswortlauts muss es aus Gründen der Gesetzesklarheit und -bestimmtheit Grenzen geben. Und das ist eben die Wortlautgrenze, die hier sprachlogisch unüberwindlich ist.