De legibus-Blog

3. Oktober 2011

„Teilziffern“. Eine Abrechnung in vier Absätzen

Thomas Fuchs

Juristische Autoren, die Gerichtsentscheidungen noch mit irgendeiner Zeitschriftenfundstelle zitieren, sterben seit dem Siegeszug der Datenbanken zumindest in der Rechtspraxis langsam aus (bis auf Weiteres besteht an Universitäten noch ein Refugium für diejenigen, die ihre berufliche Existenz mit der von Zeitschriften verbinden). Die mit dem zugangsneutralen Zitieren entfallene Möglichkeit des seitengenauen Angebens von Textstellen wurde rasch durch absatzbezogene Nachweise ersetzt. Die Absätze der Entscheidungen werden hierfür entweder schon von den Gerichten selbst oder aber von den Datenbanken durchnummeriert. Beim Zitieren derselben wird dann herkömmlich von einer Randnummer (Randnr., Rdnr., Rn.), inzwischen auch von einer Randziffer (Rdz., Rz.) und neuerdings sogar von einer so genannten Teil- oder Textziffer (Tz.) gesprochen.

Die letztere Wortneuschöpfung scheint mir von den um ihr Dasein fürchtenden Zeitschriften und ihren verbliebenen Nutzern zu stammen. Diese übernehmen nämlich inzwischen in den häufig nur auszugsweisen Entscheidungsabdrucken die gerichtlichen Randnummern, geben diese allerdings nicht neben den Absätzen, sondern in diese eingerückt in eckigen Klammern wieder. Ein in der Welt der Zeitschriften verhafteter Jurist wird deshalb kaum auf die Idee kommen, diese Nummerierung irgendwie mit dem Textrand in Verbindung zu bringen. Solche Juristen scheinen allerdings auch im Bundesgerichtshof zu sitzen, denn dort werden jetzt besonders gern „Teil- oder Textziffern“ verwendet.

An dieser Stelle ist jedoch die Grenze zum sprachlichen Vandalismus überschritten. Genauso wie Wörter aus Buchstaben bestehen, setzen sich Zahlen aus Ziffern zusammen. Im Dezimalsystem gibt es die Ziffern 0 bis 9. Danach ist es also falsch, etwa von einer Ziffer „10“ zu sprechen. Da eine Gerichtsentscheidung durchschnittlich mehr als neun Absätze hat, zeugte es schon immer von einer Nachlässigkeit gegenüber sprachlichen Sinnzuschreibungen, wenn von Randziffern die Rede war. Aber was zum Henker sollen denn nun Teilziffern sein? Ziffern sind doch schon die atomaren Zeichen, aus denen sich Zahlen zusammensetzen! Sollen diese etwa durch eine juristische Kernphysik noch weiter aufgespalten werden?

Und wo wir gerade dabei sind, einmal über die Bezeichnung von Absätzen nachzudenken, erscheint es mir eigentlich auch seltsam, darauf nicht mit dem Wort „Absatz (Abs.)“, sondern mit dem Wort „Randnummer“ Bezug zu nehmen. Beim Zitieren von Seiten spricht doch auch keiner von einer an welcher Stelle auch immer platzierten Seitennummer. Ich schlage deshalb vor, im Zusammenhang mit Gerichtsentscheidungen zukünftig nur noch von Absätzen zu reden. Das müsste dem Juristen ohnehin am nächsten liegen, denn er könnte dafür im wahrsten Sinne des Wortes das Paragrafenzeichen verwenden.

Zitiervorschlag für diesen Beitrag:
https://blog.delegibus.com/1620

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