De legibus-Blog

8. November 2017

Katalonien-Krise: Eine Bewährungsprobe für die spanische Justiz

Oliver García

Die Augen der Welt sind derzeit auf Spanien gerichtet, das seine größte Staatskrise seit dem Übergang zur Demokratie vor 40 Jahren durchlebt. Die internationale Aufmerksamkeit stellt dabei einen Faktor dar, der – in hoffentlich mäßigender Weise – auf den Gang der Ereignisse im Land zurückwirken kann. Allein der Blick in die überquellenden Leserkommentarspalten von Onlinemedien in Deutschland, Frankreich oder Großbritannien zeigt, wie rege das Interesse und das Diskussionsbedürfnis zu den Ereignissen in Katalonien, vor allem seit dem Referendum vom 1. Oktober, ist. Während die in den letzten Jahren von den katalanischen Regierungen gemachten Anstrengungen, die Auseinandersetzung um eine mögliche Unabhängigkeit Kataloniens zu einem internationalen, zumindest europäischen Thema zu machen, nur mäßigen Erfolg hatten, waren es just die von der spanischen Zentralregierung zu vertretenden Gewaltexzesse vom 1. Oktober, die das Thema schließlich doch noch effektiv internationalisierten. Auch der weitere Verlauf war von erhöhter weltweiter Beobachtung begleitet: Die mehrwöchige Hängepartie, ob der katalanische Regierungschef Carles Puigdemont die Unabhängigkeit ausrufen würde, sein Lavieren mit Vagheiten und Halbheiten, die Androhung von Zwangsmaßnahmen nach Art. 155 der spanischen Verfassung (einer Art. 37 GG nachgebildeten Norm) durch die spanische Regierung unter Mariano Rajoy, falls sich Puigdemont nicht zur Rückkehr auf den Boden der spanischen Verfassung bekennt. Der Höhepunkt des Nervenkriegs vor zwei Wochen: Die Abstimmung im katalanischen Parlament, mit der die Unabhängigkeit ausgerufen wurde (oder doch nicht? Wegen einer neuerlichen Vagheit in der Formulierung ist auch das umstritten) und die Aktivierung des Art. 155 durch die spanische Regierung mit Zustimmung durch das Oberhaus des spanischen Parlaments und die darauf gestützte Absetzung der katalanischen Regierung, Auflösung des katalanischen Parlaments und Ansetzung von Neuwahlen. Wenige Tage darauf der Gang ins Exil (?) nach Brüssel durch einen Teil der abgesetzten Regierung.

Diesen politischen Schritten folgte auf den Fuß eine Batterie von Anklagen durch die Staatsanwaltschaft, die – genauso ungewöhnlich schnell – zu ersten gerichtlichen Entscheidungen geführt haben: Am vergangenen Donnerstag lud die Untersuchungsrichterin Carmen Lamela an der Audiencia Nacional die Mitglieder der abgesetzten katalanischen Regierung vor und ordnete am Ende des Vernehmungstermins Untersuchungshaft gegen alle Erschienen an. Gegen diejenigen, die der Vorladung nicht Folge geleistet hatten, sondern in Brüssel verblieben waren, darunter Puigdemont, erließ sie ein paar Tage später einen Europäischen Haftbefehl. Mit ihrem Ausweichen nach Belgien haben diese Mitglieder der bisherigen katalanischen Regierung noch einmal geschickt an der Internationalisierungsschraube gedreht. Dies – neben anderen, politischen Gründen – vor allem deshalb, weil auf diese Weise auch das Handeln der spanischen Justiz eine europäische Komponente bekommt. Der erste Effekt ist, daß sie sich – in Person von Richterin Lamela – gegenüber der belgischen Justiz „erklären“ muß. Der zweite, daß es an der belgischen Justiz liegt, eine Transparenz herzustellen, welche Reichweite die etwas obskuren – weil selten angewendeten – Strafvorschriften haben mögen, die sie spanische Staatsanwaltschaft auf die Beschuldigten angewendet wissen will. Denn zwei der ihnen zur Last gelegten Straftatbestände – „rebelión“ (im Folgenden „Rebellion“) und „sedición“ (im Folgenden „Auflehnung“) – können nur dann zur Grundlage für eine Übergabe gemacht werden, wenn sich im belgischen Recht Tatbestände mit derselben strafrechtlichen Reichweite finden lassen (Art. 2 des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten – RbEuHb).

Spanien ist ein solider Rechtsstaat mit einer überwiegend dem Recht verpflichteten, seriös arbeitenden Richterschaft. Die spanische Justiz ist politisch unabhängig, genauso wie oder wahrscheinlich mehr als in manchen anderen EU-Ländern (letzteres, weil die Richter in Spanien nicht, wie etwa in vielen deutschen Ländern, von der Regierung ernannt und befördert werden, sondern von einem eigenständigen Richterselbstverwaltungsgremium). Wer gerade einen wichtigen Prozeß verloren hat oder wer in einem Strafverfahren angeklagt oder verurteilt wurde, wird häufig anderer Meinung sein. So Puigdemont, wenn er sagt, er stelle sich der „echten“ Justiz (der belgischen, nicht der unechten spanischen). Was jenseits von solchen subjektiven oder politisch motivierten Verzerrungen allerdings richtig ist, ist, daß auch in einem funktionierenden Rechtsstaat es einzelne Entscheidungen, sei es vorläufiger oder endgültiger Art, oder ganze Entwicklungslinien gibt, die an ihrer Vereinbarkeit mit Grundrechten oder rechtsstaatlichen Grundsätzen zweifeln lassen, ja sogar die verzweifeln lassen. Solche Fälle aufzugreifen, ist die Aufgabe der Rechtsprechungskritik, wie sie in der allgemeinen rechtswissenschaftlichen Literatur oder eben in Blogs wie diesem praktiziert wird (hier bislang beschränkt auf Entscheidungen deutscher Gerichte und des EuGH). Eine solche Kritik ist kein Beleg für ein systematisches Rechtsstaatsproblem, sondern ist vielmehr Teil einer Rechtsstaatskultur, die auch und vor allem eine Diskussionskultur ist. Dies den folgenden Erörterungen vorauszuschicken, erscheint mir vor allem in Hinblick auf die Nichtjuristen unter den Lesern angebracht.

Im Sinne der skizzierten Internationalisierung der Katalonien-Krise enthält dieser Beitrag die deutsche Übersetzung der Tatbestände des spanischen Strafgesetzbuchs, deren sich nach Meinung der Staatsanwaltschaft die Mitglieder der bisherigen katalanischen Regierung strafbar gemacht haben, sowie des Beschlusses der Untersuchungsrichterin über die Verhängung der Untersuchungshaft. Die dadurch hoffentlich erleichterte kritische Begleitung dieses Strafverfahrens durch die deutschsprachigen juristischen Gemeinschaft erscheint mir deshalb besonders sinnig, weil – über den Gesichtspunkt der gemeineuropäischen Strafrechtskultur, wie sie beispielsweise im Rahmenbeschluß zum Ausdruck kommt, hinaus – gerade die deutsche und spanische Strafrechtswissenschaft weitgehend ihre Methodik und Dogmatik teilen, bei allen Unterschieden in den gesetzlichen Grundlagen.

Meine eigene Einschätzung des wiedergegebenen Beschlusses möchte ich auf den Tatbestand der Rebellion beschränken, dem auch im Beschluß die tragende Bedeutung zukommt. Während mir nämlich die Bejahung eines Verdacht auf Haushaltsuntreue, dem dritten der von der Staatsanwaltschaft verfolgten Straftatbestände, durchaus naheliegend erscheint, liegt bei der Rebellion einiges im Argen. Zurecht hat die Entscheidung insoweit sowohl inner- als auch außerhalb Spaniens Aufsehen erregt. Immerhin handelt es sich bei diesem Tatbestand um ein Schwergewicht: Gefängnisstrafe von 15 bis 25 Jahren. Nach Art. 472 des spanischen Strafgesetzbuchs (CP) begeht „Rebellion“, wer sich „gewaltsam und öffentlich“ „erhebt“, unter anderem „um die Unabhängigkeit eines Teil des Staatsgebiets zu erklären“. Während man letzteres, als „überschießende Innentendenz“, wohl bejahen können wird, hat das Erfolgserlebnis der Richterin bei ihrer Suche nach einer „gewaltsamen Erhebung“ Kopfkratzen und Kopfschütteln ausgelöst. War es doch gerade ein Markenzeichen der über die letzten Jahre angewachsenen Unabhängigkeitsbewegung, daß ihre Massenkundgebungen fröhlich und ohne Zwischenfälle abliefen. Auch im unmittelbaren zeitlichen Umfeld der Unabhängigkeitserklärung vor zwei Wochen fällt es zunächst schwer, Gewalttätigkeit auf Seiten von Unabhängigkeitsbefürwortern zu identifizieren. Gewaltausbrüche gab es vielmehr von Seiten der spanischen Polizei, als sie am 1. Oktober versuchte, das illegale Unabhängigkeitsreferendum zu unterbinden.

Nun ist es aber so eine Sache mit der Gewalt, wie man in der deutschen Strafrechtsdiskussion angesichts des Streits um die Reichweite des § 240 StGB, speziell bei politischen Auseinandersetzungen, weiß. Ist Gewalt im Sinne von Art. 472 CP nur solche gegen Personen oder auch gegen Sachen (für die üblicherweise das spanische Recht ein anderen Ausdruck als den im Gesetz stehenden verwendet: „fuerza“ statt „violencia“)? Inwieweit könnte eine „vergeistigte“ Gewalt ausreichen? Welche Zurechnungskriterien gelten? Muß nicht die Mindeststrafe von 15 Jahren (im Unterschied zu Geldstrafe bei § 240 StGB) zwingend zur Annahme höchster Anforderungen führen? Diese Fragen zu erörtern, ist hier natürlich nicht der Ort. Ein Blick in den 19 Seiten umfassenden Untersuchungshaftbefehl von Richterin Lamela bringt jedoch die erschreckende Erkenntnis, daß sie auch diesen einschneidenden Beschluß nicht für den Ort hält, irgendwelche Fragen dieser Art zu erörtern. Stattdessen bekommt der Leser einen bunten Strauß von Vorgängen referiert, die die Richterin offenbar besonders aufregen an dem unmöglichen Betragen der Beschuldigten zulasten der spanischen Einheit. Immer wieder arbeitet sie sich daran ab, wie konsequent Entscheidungen des Verfassungsgerichts ignoriert wurden; es stößt ihr auf, daß die Unabhängigkeitsbewegung darauf hinarbeitete, „unter den Bürgern ein Gefühl der Ablehnung der spanischen Einrichtungen und Staatsgewalten zu schaffen“; an anderer Stelle ärgert sie sich, daß die katalanische Polizei so tatenlos war, als es darum ging, das Referendum zu unterbinden. Und so weiter. Der Beschluß erweckt insgesamt den Eindruck, daß sich hier jemand einmal alles, was ihn an den Geschehnissen in Katalonien ärgert, von der Seele schreibt, ohne Rücksicht darauf, ob sich ein Zusammenhang mit gesetzlichen Tatbestandsmerkmalen der zu erörternden Delikte besteht oder darstellen läßt. Besonders anschaulich, wenn sie nach einem weiteren hingeworfenen Detail, dessen Relevanz für den Tatbestand ganz im Dunkeln bleibt, den Satz, ganz wie ein Aufschrei, schreibt: „Das alles zu Gunsten des politischen Unabhängigkeitsprozesses.“ (Seite 9 Absatz 2). Brüchig wird die Grenze zwischen Gerichtsbeschluß und Parodie eines solchen, wo die Richterin als Beleg für das Vorliegen von Rebellion Äußerungen eines beschuldigten Ministers gegenüber der Presse und in Twitter anführt, mit der dieser die massive Verlegung von Polizeieinheiten nach Katalonien als teuer und wirtschaftsschädlich kritisiert (Seite 14 Absatz 3).

Während das meiste, was der Richterin da entfährt, für die zentrale Frage der Gewalt keine ersichtliche Rolle spielt, finden sich in dem Wirrwarr immerhin zwei Vorgänge, die für eine Subsumtion unter den wie auch immer konturierten Gewaltbegriff des Rebellionstatbestands in die nähere Auswahl kämen: Zum einen (Seite 10) stellt die Richterin breit die Vorgänge am 20. September dar, als in groß angelegten Aktionen die Justiz erstmals in Barcelona und anderen Städten Durchsuchungen von Amts- und Privatgebäuden durchführte, dabei auch erste – und kurzfristige – Verhaftungen vornahm. Als Ausdruck des Protests gegen diese Aktionen kam es an den Durchsuchungsorten zu Demonstrationen, die – ein sicherlich nicht ungewollter Nebeneffekt – bewirkten, daß die Tätigkeit der Durchsuchungsbeamten behindert wurden, bis dahin, daß diese stundenlang nicht abziehen konnten. Bei der ausführlichen Darstellung dieser Vorgänge dürfte die Richterin viel mit Copy&Paste gearbeitet haben, denn sie selbst führt die Ermittlungen in dieser Sache und hat deswegen bereits vor drei Wochen die Präsidenten der beiden großen Unabhängigkeitsvereinigungen – „die Jordis“ – in Untersuchungshaft genommen (was wiederum eine Großdemonstration in Barcelona mit über 400.000 Teilnehmern ausgelöst hat sowie wahrscheinlich mitursächlich dafür war, daß die Ereignisse hin zur Unabhängigkeitserklärung eskaliert sind). Der zweite Vorgang, wo Gewalt angesprochen wird (Seite 11: „Zugang versperren“), sind die Ereignisse rund um das Referendum vom 1. Oktober. Die Gewalt, die Richterin Lamela hier meint, ist nicht die – zum Teil sicherlich rechtmäßige, zum Teil exzessive – Gewaltausübung durch die Polizei (die ihr keiner Erwähnung wert sind), sondern die Gewalt, die sie – ohne in Details zu gehen – auf der Seite der Abstimmungsteilnehmer sieht (und die es sicherlich, wenn auch mehr in passiver Form, gegeben hat). Nur versäumt die Richterin es, eine irgendwie stringente Gedankenführung zu entwickeln, inwieweit diese Ereignisse gerade für den Gewaltbegriff des Rebellionstatbestands eine Bedeutung haben können, geschweige denn, wie es um die persönliche Zurechnung zu den Beschuldigten bestellt ist. Nach dem Tatbestand ist Tathandlung eine „gewaltsame und öffentliche Erhebung“, die ersichtlich für eines der genannten Ziele eine besondere Eignung – aus sich selbst heraus – und zentrale Relevanz haben muß, und nicht lediglich eine irgendwie fördernde Wirkung. Wäre es anders, so könnten mit Blick auf die Nummer 1 der Vorschrift, wo auch das Ziel einer Verfassungsänderung genannt ist, sich Abgeordnete Freiheitsstrafen von 15 bis 25 Jahre ausgesetzt sehen, wenn ihre Fraktionen das parlamentarische Verfahren zur Änderung der Verfassung einleiten und später unterstützende Demonstrationen „auf der Straße“ punktuell eskalieren.

Von dieser Detailbetrachtung abgesehen ist es erschreckend, mit welcher Oberflächlichkeit und gedanklichen Kargheit Richterin Lamela im vorliegenden Beschluß versucht, ein komplexes politisches und gemeingesellschaftliches Phänomen wie die katalanische Unabhängigkeitsbewegung mit einer Strafnorm „einzufangen“, für deren Struktur sie sich selbst nicht interessiert. Frappierende Hybris oder heilige Einfalt! Nach den im Beschluß angewandten Kriterien – soweit überhaupt Kriterien erkennbar sind – haben sich Tausende, Zehntausende, die sich in leitender Funktion in der alle Schichten der Gesellschaft durchdringenden Unabhängigkeitsbewegung betätigt haben (und sich weiterhin betätigen), wegen Rebellion strafbar gemacht (nicht hingegen wohl die Millionen „einfachen“ Unabhängigkeitsbewegten). Ein Ergebnis, das bei stringenter Anwendung des strafrechtlichen Legalitätsprinzips ein Konjunkturprogramm zum Bau von Hunderten von Gefängnissen bedeutet.

In seinem juristisches Hyperventilieren disqualifiziert sich der Beschluß selbst. Die Tendenz zur Radikalisierung auf allen Seiten hat mit ihm leider auch die Justiz erreicht. Da Spanien, wie gesagt, jedoch ein funktionierender Rechtsstaat ist, ist Vertrauen geboten, daß seine juristischen Selbstheilungskräfte bald einsetzen und verhindern, daß über die spanische Justiz Schande kommt.

Auszüge aus dem spanischen Strafgesetzbuch:

Art. 252 [Untreue]

Mit den Strafen des Art. 249 [Betrug: 6 Monate bis 3 Jahre Gefängnisstrafe; Geldstrafe bei Schaden bis 400 Euro] und gegebenenfalls denen des Art. 250 [Qualifizierter Betrug: 1 bis 6 Jahre Gefängnisstrafe und Geldstrafe] wird bestraft, wer die ihm durch Gesetz, behördliche Entscheidung oder Rechtsgeschäft anvertraute Befugnis, fremdes Vermögen zu verwalten, mißbraucht, indem er diese überschreitet und dadurch dem verwalteten Vermögen einen Schaden zufügt.

Art. 432 [Haushaltsuntreue; Veruntreuung durch Amtsträger]

(1) Wer als Amtsträger die Straftat des Art. 252 in Bezug auf öffentliches Vermögen begeht, wird mit Gefängnisstrafe von 2 bis 6 Jahren und besonderem Verlust der Amtsfähigkeit und der Wählbarkeit für 6 bis 10 Jahren bestraft.

(2) [Veruntreuung]

(3) Mit Gefängnisstrafe von 4 bis 8 Jahren und absolutem Verlust der Amtsfähigkeit für 10 bis 20 Jahren werden die Taten nach Absatz 1 und 2 bestraft, wenn

a) ein schwerer Schaden oder eine schwere Störung der Amtstätigkeit entstanden ist oder

b) der Wert des entstandenen Schadens oder der unterschlagenen Gegenstände 50.000 Euro übersteigt.

Übersteigt der Wert des entstandenen Schadens oder der unterschlagenen Gegenstände 250.000 Euro, wird die Strafe in ihrer oberen Hälfte verhängt; sie kann auch der nächsten Strafstufe entnommen werden.

Art. 472 [Rebellion]

Rebellion begeht, wer sich gewaltsam und öffentlich mit einem der folgenden Ziele erhebt:

  1. Um die Verfassung aufzuheben, auszusetzen oder ganz oder teilweise zu ändern.
    […]
  2. Um die Unabhängigkeit eines Teil des Staatsgebiets zu erklären.
    […]
  3. Um die Befehlsgewalt über eine bewaffnete Macht gleich welcher Art anstelle der Regierung zu übernehmen.

Art. 473 [Strafmaß für Rebellion]

(1) Wer unter Aufwiegelung der Rebellen der Rebellion Vorschub leistet oder sie aufrechterhält und die hauptsächlichen Anführer derselben werden mit einer Gefängnisstrafe von 15 bis 25 Jahren bestraft und absoluten Verlust der Amtsfähigkeit für denselben Zeitraum; wer eine untergeordnete Leitungsfunktion ausübt, mit Gefängnisstrafe von 10 bis 15 Jahren und absolutem Verlust der Amtsfähigkeit für 10 bis 15 Jahren; die bloßen Teilnehmer mit Gefängnisstrafe von 5 bis 10 Jahren und besonderem Verlust der Amtsfähigkeit für 6 bis 10 Jahre.

(2) (…)

Art. 544 [Auflehnung]

Auflehnung begeht, wer ohne Rebellion zu begehen, sich öffentlich und tumultartig erhebt, um mit Gewalt oder außerhalb der gesetzlichen Wege zu verhindern, daß die Gesetze angewendet werden oder daß eine Behörde, öffentliche Körperschaft oder ein Amtsträger von ihren oder seinen Funktionen rechtmäßig Gebrauch macht oder daß deren Beschlüssen oder Verwaltungs- und Gerichtsentscheidungen Folge geleistet wird.

Art. 545 [Strafmaß für Auflehnung]

(1) Wer zur Auflehnung aufgewiegelt, sie aufrechterhält oder leitet oder in ihr als hauptsächlicher Täter auftritt, wird mit Gefängnisstrafe von 8 bis 10 Jahren bestraft und mit Gefängnisstrafe von 10 bis 15 Jahren, wenn es sich um Amtsträger handelt. In beiden Fällen wird auch der absolute Verlust der Amtsfähigkeit für denselben Zeitraum verhängt.

(2) In den übrigen Fällen ist die Strafe Gefängnisstrafe von 4 bis 8 Jahren und besonderer Verlust der Amtsfähigkeit für 4 bis 8 Jahre.

Die folgende, nur geringfügig gekürzte Übersetzung stimmt in der Seitenabfolge mit dem Originaldokument überein.

Beschluß

Madrid, 2. November 2017

Tatbestand

Am heutigen Tag fanden die Beschuldigtenvernehmungen von Oriol Junqueras i Vies, Jordi Turul i Negre, Raül Romeva i Rueda, Josep Rull i Andreu, Dolors Bassa i Coll, Meritxell Borràs i Solé, Joaquim Forn i Chiariallo, Carles Mundó i Blanch und der entsprechende Anhörungstermin gemäß Art. 505 LECr (Strafprozeßordnung) statt, in dessen Verlauf die Staatsanwaltschaft Untersuchungshaft ohne Kontaktsperre und ohne Aussetzung gegen Sicherheitsleistung beantragt hat und die Verteidigung die vorläufige Freilassung; wegen der Einzelheiten wird auf die Akten verwiesen.

Entscheidungsgründe

1. Es ist zunächst auf die Einwendung aller Angeklagten einzugehen, daß sie wegen der kurzen Frist zwischen ihrer Vorladung und dem heute stattgefundenen Vernehmungstermin für die Prüfung der Anklageschrift und Vorbereitung ihrer Verteidigung nicht genügend Zeit gehabt hätten. Hierzu ist zunächst zu sagen, daß die von einigen Verteidigern eingereichten

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Terminverlegungsanträge heute vormittag bei Gericht eingegangen sind und daß die unterzeichnende Untersuchungsrichterin von ihnen nach Abschluß der Vernehmungen Kenntnis genommen hat.

Jedenfalls hat während der Vernehmungen selbst keiner der Beteiligten Verlegung beantragt; die Beschuldigten haben nur angegeben, daß sie wegen der ungenügenden Zeit für die Prüfung der Anklageschrift und die Vorbereitung ihrer Verteidigung nur auf Fragen der Verteidigung antworten würden, wie es denn auch geschehen ist, mit der Ausnahme von Santiago Vila, der ausgesagt hat.

Außerdem erfolgte der heutige Vernehmungstermin zu dem grundlegenden Zweck, der Vorschrift des Art. 118 LECr Genüge zu tun, indem den Beschuldigten der Inhalt der gegen sie formulierten Vorwürfe eröffnet und ihnen die Teilnahme an den Verfahrenshandlungen ermöglicht wurde, damit sie ihr Recht auf Verteidigung ausüben können.

Im Übrigen erlaubt Art. 400 LECr dem Beschuldigten so oft auszusagen, wie er möchte, weswegen die heute abgegebene Erklärung sie nicht hindert, so oft erneut auszusagen, wie sie möchten.

Dementsprechend erachte ich das Recht aller Beschuldigten auf angemessene Verteidigung und rechtliches Gehör für gewahrt.

Hinzuzufügen ist nur noch, daß der einzige Verlegungsantrag durch den anwaltlichen Beistand von Jordi Turul gestellt wurde, und zwar zu Anfang von dessen Aussage und unter Berufung darauf, daß der Anwalt anderer Beschuldigter in diesem Augenblick nicht zugegen war; dieser Antrag ist zurückgewiesen worden, da es kein entsprechendes Verlangen des abwesenden Anwalts selbst gab, der hierfür allein antragsberechtigt war.

2. [Abstrakte und nicht fallbezogene Darlegungen über die Voraussetzungen der Untersuchungshaft]

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3. Was nun den konkreten Fall betrifft, so ist die Maßnahme der Untersuchungshaft geboten, angemessen, und nach den verfolgten Ziele verhältnismäßig [es folgen Gesetzeszitate].

Im vorliegenden Fall liegen die oben genannten Voraussetzungen vor.

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Festzustellen ist zunächst, ob die gesetzlichen Merkmale des Artikel 503 LECr vorliegen.

Nach dessen Absatz 1 Nr. 1 und 2 müssen für die Verhängung von Untersuchungshaft folgende Umstände gegeben sein:

1. Im Verfahren muß eine strafbare Handlung festgestellt sein. Vorliegend erfüllen die Handlungen die Merkmale von Straftatbeständen bestimmter Schwere wie Rebellion, strafbar gemäß Art. 472 ff. CP (Strafgesetzbuch), Auflehnung (sedición), strafbar gemäß Art. 544, 545 CP, und Haushaltsuntreue (malversación), strafbar gemäß Art. 432 ff. CP.

2. Die Tatbestände müssen ein Strafmaß von mindestens 2 Jahre vorsehen oder es muß, bei geringerem Mindeststrafmaß, aufgrund der Vorstrafen des Beschuldigten Untersuchungshaft geboten erscheinen.

Bei mehreren vorgeworfenen Taten gelten die besonderen Regeln für die Strafanwendung gemäß den Bestimmungen des zweiten Abschnitts des Kapitels 2 des Titels 2 des Buches 1 des Strafgesetzbuchs.

Die genannten Straftatbestände erfüllen diese Voraussetzungen unter Berücksichtigung der Strafanwendungsregelungen des Art. 73 ff. CP. Konkret sehen die angeführten Vorschriften Strafen vor, die bis zu 25 Jahre Freiheitsstrafe gehen für Rebellion, 15 Jahre für Auflehnung und 8 Jahre für Haushaltsuntreue oder 10 Jahre für letztere im Falle einer Rechnungsführungsfälschung.

3. Der Beschuldigte muß der Tat hinreichend verdächtig erscheinen.

Nach den bisherigen, am Anfang stehenden Ermittlungen und unbeschadet dessen, was sich in ihrem

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Fortgang an Erkenntnissen noch ergeben kann, stellt sich der Sachverhalt wie folgt dar:

Nach den Wahlen zum katalanischen Autonomieparlament vom 27. September 2015 bekundete die Koalitionsregierung aus Junts pel Sí (Wahlbündnis, das sich zusammensetzt aus Convergència Democràtica de Catalunya, Esquerra Republicana de Catalunya, Demòcrates de Catalunya und Moviment d‘Esquerres) und CUP (Candidatura d’Unitat Popular) öffentlich ihr Ziel, innerhalb von 18 Monaten die Unabhängigkeit von Katalonien nach vorheriger Abhaltung eines Referendums zu erreichen; bei positiven Ausgang des Referendums würde die Unabhängigkeit erklärt werden.

Mit dem Ziel der Erlangung der Unabhängigkeit von Katalonien vom Rest Spaniens wurde ein Dokument namens EnfoCATs ausgearbeitet mit dem Titel „Den Unabhängigkeitsprozeß auf Erfolgskurs bringen. Strategievorschlag“, der einen Fahrplan für die Erreichung der Unabhängigkeit aufstellte und in dem die Rollen aufgeführt waren, die die verschiedenen Akteure bei der Ausführung des Planes spielen sollten. Dieses Dokument entsprach in der Praxis genau den Schritten, welche die Regierung der Generalitat in den seither vergangenen zwei Jahren unternahm, bis hin zur einseitigen Unabhängigkeitserklärung („DUI“). Auch wurden mit den Ausführungsakten in der praktischen Umsetzung dieses Fahrplans fortlaufend, systematisch und frontal sämtliche Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs ignoriert.

In diesem Dokument wurde ein strategischer Plan ausgearbeitet, dessen Hauptziel die Schaffung eines eigenen Staates war; dabei wurde sogar die Möglichkeit in Betracht gezogen, zu einer eventuellen Abspaltung vom spanischen Staat zu gelangen, indem man, notfalls und als letzten Ausweg, einen von breitem bürgerschaftlichem Zuspruch getragenen demokratischen Konflikt heraufbeschwört, der darauf zielt, politische und wirtschaftliche Instabilität zu erzeugen, so daß der Staat gezwungen wäre, die Verhandlung über die Trennung oder zumindest ein erzwungenes Referendum, das ihnen ebenfalls eine Unabhängigkeitserklärung erlauben würde, zu akzeptieren. Kurz, das Dokument zog also einzig und allein als Alternative für Katalonien seine Unabhängigkeit und Errichtung als eigenen, von Spanien getrennten Staat in Betracht, wobei Vorbedingung für

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deren Erreichung die Abhaltung eines Referendums war, dessen Gültigkeit dahingestellt.

In dieser Weise ersonnen die Beschuldigten eine Strategie der gesamten sezessionistischen Bewegung, straff organisiert und mit einer Rollenverteilung zwischen Regierung, Parlament und independentistischen Vereinigungen (ANC und Òmnium), die zur Durchführung des illegalen Referendums vom 1. Oktober und der am vergangenen 27. Oktober im Parlament beschlossenen Unabhängigkeitserklärung führen sollte.

Die ermittlungsgegenständlichen Handlungen sind Teil der Ausführung dieses vorgefaßten Planes.

Dem illegalen Referendum und der illegale Unabhängigkeitserklärung vorangegangen ist die Plenarsitzung des Parlaments von Katalonien vom 9. November 2015, in der die Resolution 1/XI über den Beginn des politischen Prozesses in Katalonien infolge der Wahlergebnisse vom 27. September 2015 beschlossen wurde. In dieser Resolution wurde feierlich der Beginn eines Prozesses zur Schaffung des unabhängigen katalanischen Staates in Form der Republik und die Eröffnung eines bürgerschaftlichen, partizipativen, offenen, integrativen und aktiven verfassungsgebenden Prozesses zur Vorbereitung der Grundlagen der künftigen katalanischen Verfassung erklärt. In ihr wurde auch zum Ausdruck gebracht, daß dieses Parlament und der demokratische Abspaltungsprozeß sich nicht den Entscheidungen der Einrichtungen des spanischen Staates, insbesondere des Verfassungsgerichtshofs, unterordnen würden.

Die zitierte Resolution wurde vom Verfassungsgerichtshof im Urteil Nr. 259/2015 vom 2. Dezember 2015 für verfassungswidrig und in ihrer Gesamtheit nichtig erklärt.

Gleichwohl trieb die Regierung der Generalitat die für die Schaffung eines unabhängigen katalanischen Staates in der Form der Republik notwendigen Maßnahmen weiter voran, bestärkt durch die Unterstützung der independentistischen Vereinigungen, unter anderem der Katalanischen Nationalversammlung (ANC) und Òmnium Cultural, denen mehrere der Beschuldigten angehören. Mitglieder der ANC sind Clara Ponsatí i Obiols und Joaquim Forn i

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Chiarello, letztere auch von Òmnium; Mitglieder von Òmnium sind Raül Romeva Rueda, Jordi Turull i Negro und Dolors Bassa i Coll.

Seit Januar 2016 und bis September 2017 wurden auf diese Weise durch die Fraktionen Junts pel Sí und CUP, denen die Beschuldigten zum Teil angehören, und vor allem durch den Präsidenten und Vizepräsidenten der Generalitat, Carles Puigdemont i Casamajó und Oriol Junqueras i Vies, die Verabschiedung von Gesetzen und Resolutionen vorangetrieben und erreicht, die darauf gerichtet waren, den Abtrennungsprozeß vom spanischen Staat mit einer scheinbaren normativen Absicherung zu versehen, was, auf die entsprechenden Rechtsbehelfe hin, zahlreiche Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs auslöste, in denen die Verfassungswidrigkeit und Nichtigkeit aller dieser Akte festgestellt wurde (Nachweise).

Während die parlamentarischen Arbeiten darauf zielten, eine Gesetzesgrundlage und den Anschein von Legalität für die verschiedenen Etappen des Abspaltungsprozesses zu schaffen, war das Handeln durch die Volksbewegungen, durch Ersteres gefördert, darauf gerichtet, unter den Bürgern ein Gefühl der Ablehnung der spanischen Einrichtungen und Staatsgewalten zu schaffen, um den Ungehorsam der Gesellschaft gegen den von Letzteren ausgehenden Anweisungen zu fördern

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und zu rechtfertigen und um, falls erforderlich, die soziale Mobilisierung zur Unterstützung der Erreichung der independistischen Ziele zu ermöglichen.

Insoweit ist das Dokument der ANC „Ordentliche Generalversammlung 2015. Fahrplan 2015-2016“, ausgearbeitet am 12. April 2015, hervorzuheben, in dem das Szenario der Abhaltung von plebiszitären und verfassungsgebenden Wahlen als Durchgangsstation des Prozesses der nationalen Unabhängigkeit erörtert wurde; dort wird hinsichtlich der Möglichkeit, daß die Generalitat „politisch oder juristisch durch den spanischen Staat unter Zwangsverwaltung gestellt und/oder eine oder mehrere souveränistische Parteien verboten“ würden, ausgeführt, daß „in diesen Szenarien die Zivilgesellschaft als politischer Akteur, der den Unabhängigkeitsprozeß vorantreibt, hervortritt“; dabei müßten in den Gemeinden und den Vierteln der Großstädte „die Komitees und Einheitsplattformen verbreitet und gefestigt werden, damit die Mehrheit des Volkes mit den Institutionen, die das Land repräsentieren, vereinigt werde, und ihr Wirken muß in drei primären Linien erfolgen: Die normale Aktivität des Landes aufrechterhalten, die der Verfassung des neuen Staates günstige soziale Basis verbreitern durch Vorantreiben der Debattenkampagne für die künftige Verfassung der Katalanischen Republik sowie Massenkundgebungen organisieren, die friedlich, punktuell, agil und erforderlichenfalls spektakulär sein müssen und das Vertrauen der Zivilgesellschaft in den neu entstehenden Staat aufbauen sowie dauerhaft die Aufmerksamkeit der ganzen Welt auf sich ziehen sollen.“

In Verfolgung dieses Entschlusses und zur Erreichung des sezessionistischen Ziels, welches das Vorgehen aller Beschuldigten leitete, bedienten sich diese der Bevölkerung, indem sie zu Akten öffentlicher Auflehnung ermunterten, zu Ungehorsam und kollektivem Widerstand gegenüber der legitimen Staatsautorität wie Besetzung von Fernstraßen und innerstädtischen Straßen und öffentlichen Gebäuden sowie unablässige Bedrängung von Amtsträgern.

In diesen Zusammenhang gehört das Verhalten des Präsidenten der Generalitat, der zur Erreichung der Abhaltung des illegalen Referendums am 6. September 2017 einen Brief an die Bürgermeister Kataloniens schrieb, in dem er verlangte, daß diese für die Abhaltung des Referendums kommunale Räumlichkeiten zur Verfügung stellen. Einige Bürgermeister beschieden das Verlangen abschlägig, was den Präsidenten der Generalitat veranlaßte, in seinem ersten öffentlichen Auftritt nach der - inzwischen vom Verfassungsgerichtshof ausgesetzten – Ansetzung der Abstimmung, am 8. September bei einer von der ANC organisierten Kundgebung in Sant Joan Despí,

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im Beisein von dessen Präsidenten, nachdem er im Namen der Regierung an der Durchführung des Referendums festhielt, die Anwesenden dazu aufzurufen, mit diesen Bürgermeistern die Auseinandersetzung zu suchen, wörtlich: „Schaut ihnen in die Augen. Sie sollen euch sagen, ob sie euch wählen lassen oder nicht. Ihr bezahlt sie und sie müssen euch Rechenschaft ablegen.“

Hervorzuheben ist auch der Aufruf zum Generalstreik vom 3. Oktober, der nichts zu tun hatte mit arbeitsrechtlichen Forderungen und der Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Das alles zu Gunsten des politischen Unabhängigkeitsprozesses.

Des weiteren wurden auch verschiedene Kundgebungen und Demonstrationen auf Veranlassung der Vereinigungen ANC und Òmnium durchgeführt. Die genannten Vereinigungen fungierten als ziviler Arm der von den Behörden der Regierung begünstigten Erhebung, wobei Mobilisierungen wie diejenigen vom 20./21. September und 1. Oktober begünstigt wurden.

Die ersteren, vom 20./21. September, fanden statt während der Durchführung von einer Reihe von Durchsuchungsmaßnahmen, die vom Untersuchungsgericht Barcelona Nr. 13 im Vorermittlungsverfahren 118/2017 verfügt worden waren; dabei versammelten sich Menschenmengen vor den durchsuchten Gebäuden.

Dies geschah im Wesentlichen bei der Conselleria d’Economia [Wirtschaftsministerium der Autonomen Gemeinschaft], der Consolleria d’Exteriors [Außenministerium], Conselleria de Governació [Ministerium für öffentliche Verwaltung], am Sitz der Sozialistischen Partei Kataloniens (PSC), wo es zu Angriffen auf sozialistische Parteimitglieder kam, am Sitz der [Partei] Candidatura d’Unitat Popular (CUP) und bei der Druckerei von Bigues i Riells, des weiteren in Sabadell während der gerichtlich angeordneten Durchsuchung der Privatwohnung des Kabinettschefs der Conselleria de Governació, Joan Ignasi Sánchez, sowie in Les Franqueses del Vallés während der Hausdurchsuchung bei Josep Maria Jové i Lladó. Der bedeutsamste Vorfall begab sich jedoch am Sitz des Generalsekretariats der Conselleria de Viceprèsidencia, Economia i Hisenda, Rambla de Catalunya 19-21, Barcelona.

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Einige der Versammelten zerstochen Reifen und zerstörten verschiedene Einsatzfahrzeuge der Guardia Civil. Andere verhinderten, daß die Beamten der Guardia Civil, der Nationalpolizei und die Mitglieder der Justizabordnung nach der Durchsuchungsmaßnahme die Gebäude verlassen konnten. Wieder andere Demonstranten setzten sich auf die Fahrbahn vor den Pkw und Transportern der Guardia Civil, um ihnen den Weg zu verstellen. Andere rempelten Beamten an und versperrten den Fahrzeugen der Guardia Civil den Weg bei der Wegfahrt.

Nach Abschluß der Durchsuchungen bei der Conselleria d’Economia, gegen 22 Uhr, war die Justizabordnung, bestehend aus den Beamten und der Letrada der Justizverwaltung, aufgrund der großen Menschenmenge, die sich noch auf der Straße befand, weiterhin belagert und gegen ihren Willen im Gebäude festgehalten; da die Demonstranten ihnen den Weg durch die Hauptpforte des Gebäudes verstellten, konnte die Letrada erst um 23.45 Uhr über das Theater im Nachbargebäude evakuiert werden, vermummt und unter das herausströmende Publikum gemischt; erst um 4 Uhr konnte ein erster Teil der Justizabordnung herausgeholt werden und erst um 7 Uhr der Rest.

In gleicher Weise gelang es am 1. Oktober den zivilen souveränistischen Vereinigungen, eine große Zahl von Personen zu versammeln, die versuchten, durch Leistung von Widerstand den Polizeikräften den Zugang zu den verschiedenen Lokalen zu versperren, in denen Stimmabgaben stattfanden. In den allermeisten Fällen nahmen die Mossos d’Esquadra eine neutrale Haltung ein, indem sie sich beim Vorgehen der Guardia Civil abseits hielten und ein Eingreifen sogar in den Fällen unterließen, in denen Angehörige der Guardia Civil angegriffen wurden, ja in einigen Fällen sogar einzelne Beamte der Guardia Civil, die sich in Ausübung ihrer Funktionen vor Ort befanden, zurechtwiesen und sich ihnen sogar entgegenstellten. Es kam sogar dazu, daß von ihnen das Einsatzverhalten der Guardia Civil und der Nationalpolizei ausgespäht wurde, um den Abstimmenden zu melden, daß die genannten Ordnungskräfte zu bestimmten Orten unterwegs waren.

Ebenso wurden - nicht nur von amtlicher Seite, sondern auch in massiver Weise durch die Zivilgesellschaft,

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ermutigt durch eben die Beschuldigten - ablehnende Aktionen gegen die nach Katalonien abgeordneten Beamten der Polizei und Guardia Civil vorangetrieben.

Desgleichen war die von den Beschuldigten vorangetriebene Unabhängigkeitserklärung verknüpft mit der Übernahme des ausschließlichen Befehls über die Mossos d’Esquadra, einer Polizei mit 17.000 bewaffneten Einsatzkräften, mit dem potentiellen durch sie dargestellten Einschüchterungseffekt. In diesem Sinne gab Joaquim Form, als Conseller d’Interior oberster Verantwortlicher für diese Polizeimacht, am vergangenen 11. Oktober 2017 gegenüber einem Medienorgan Erklärungen ab und äußerte auf die Frage, ob es zu Konfrontationen zwischen Mossos und Nationalpolizei/Guardia Civil kommen kann: „Bei gutem Willen und wenn die neue politische Realität akzeptiert wird, wird es keinen Zusammenstoß zwischen Polizisten geben.“ In Bezug auf die Abhaltung des Referendums äußerte er am 19. Juli (Periódico de Catalunya), daß die Mossos die Stimmabgabe „ohne weiteres erlauben“ würden; und am 19. September (Diario Digital 20 minutos): „Die Mossos halten sich an das Gesetz und werden die Stimmabgabe am 1. Oktober erlauben“.

Auch war die Rolle, die die Mossos im unabhängigen Staat einnehmen würden, Gegenstand von Überlegungen, wobei sogar die Möglichkeit erörtert wurde, ihnen Aufgaben der äußeren Sicherheit und/oder Verteidigung zu übertragen.

Die Planung und Organisation der Ansetzung und Abhaltung des Referendums vom 1. Oktober wurden mit öffentlichen Geldern finanziert.

Das Gesetz 4/2017 über den Haushalt der Generalitat von Katalonien enthielt eine Anweisung, daß die Regierung der Generalitat die Haushaltsansätze zur Bereitstellen der notwendigen Mittel für die Ansetzung eines Referendums über die politische Zukunft Spaniens zu aktivieren habe (40. Zusatzbestimmung), während es gleichzeitig für diese Zwecke bestimmte, über das Paragraphenwerk verteilte Haushaltsansätze reservierte.

Nach dem Urteil des Verfassungsgerichtshofs Nr. 51/2017 vom 10. Mai, in dem die absolute Unzuständigkeit einer autonomen Gemeinschaft für eine Referendumsgesetzgebung festgestellt wurde, erklärte das Plenum des Verfassungsgerichtshofs mit Urteil Nr. 90/2017 vom 5. Juli die 40. Zusatzbestimmung des

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katalanischen Gesetzes 4/2017 und bestimmte Haushaltsansätze für nichtig und verfassungswidrig, daneben auch die angegriffenen Haushaltsansätze „für den Fall, daß sie zur Finanzierung des Referendumsprozesses bestimmt sind“.

Trotzdem haben die Beschuldigten mit ihrem Handeln die Vornahme von Zahlungen ermöglicht, um einen Vorgang durchzuführen, der nicht nur rechtswidrig, sondern aufgrund der vom Verfassungsgerichtshof beschlossenen Verfassungswidrigerklärung auch eine Straftat darstellte. Da sie die Ausgaben zur Durchführung einer strafbaren Handlung angewiesen haben, läßt sich sagen, daß die entstanden Ausgaben absichtlich und von vornherein für einen der öffentlichen Verwaltung radikal fremden Zweck bestimmt waren, wodurch sie bewußt von einem korrekten Finanzgebaren hinsichtlich des Vermögens der Autonomen Gemeinschaft, für das sie verantwortlich waren, abgewichen sind.

Alle diese Handlungen haben schließlich am 27. Oktober 2017 zu der Abstimmung über die einseitigen Unabhängigkeitserklärung und deren Annahme durch das Plenum des katalanischen Parlaments geführt, was die spanische Regierung zur Anwendung des Artikel 155 der spanischen Verfassung veranlaßte, wobei sie neben weiteren Maßnahmen die Mitglieder der katalanischen Regierung des Amtes enthob und das katalanischen Parlament auflöste sowie selbst die Amtsbefugnisse des katalanischen Kabinetts übernahm.

Die vorstehenden Feststellungen beruhen auf den Dokumenten und Video- und Fotoberichten, die sich bereits bei den Akten befinden, wobei die Anklageschrift der Generalstaatsanwaltschaft die entsprechenden Links enthält, die einen Direktzugriff auf die Erkenntnisgrundlage für die dort gemachte Tatsachendarstellung erlauben. Ebenfalls öffentlich und allgemein zugänglich sind die Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs.

Insgesamt ist somit die vorläufige strafrechtliche Einordnung der den Beschuldigten vorgeworfenen Taten und ihrer organisierten gemeinschaftlichen Begehung hinreichend dargelegt; wie sich die Strafbarkeit tatsächlich darstellt, wird dadurch nicht präjudiziert und bleibt dem bleibt dem weiteren Verlauf des Verfahrens vorbehalten.

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Die Verteidiger aller Beschuldigten haben vorgetragen, daß diese mit Gewalt nicht einverstanden seien und keinen gewaltsamen Handlungen das Wort geredet hätten. Damit übersehen sie, daß die Beschuldigten, wie bereits ausgeführt, eine Strategie für die gesamten sezessionistischen Bewegung ersonnen haben, straff organisiert und mit einer Rollenverteilung zwischen Regierung, Parlament und independentistischen Vereinigungen (ANC und Òmnium), die zur Durchführung des illegalen Referendums vom 1. Oktober und der am vergangenen 27. Oktober im Parlament beschlossenen Unabhängigkeitserklärung führen sollte. Außerdem gehörten sie alle der Regierung an, innerhalb derer die Beschlüsse gemeinsam und in regelmäßigen Sitzungen gefaßt wurden und ihnen allen waren die verschiedenen Aktivitäten mit dem Ziel der Erreichung der Unabhängigkeit bekannt, mit denen sie einverstanden waren und die sie unterstützten, darunter die im vorliegenden Abschnitt beschriebenen tumultartigen Menschenansammlungen; dies unbeschadet dessen, ob sich im Fortgang der Ermittlungen jedem einzelnen Beschuldigten konkrete Handlungsweise zuordnen lassen.

Gegenwärtig lassen sich einige solche zusammenstellen, wie im Falle von Joaquim Forn, dessen am 11. Oktober 2017 getätigten Äußerungen oben bereits wiedergegeben wurden.

Was die amtliche Zurückweisung des nach Katalonien verlegten Polizeikontingents betrifft, so kam sie, wie von der Staatsanwaltschaft in der Anklageschrift dargestellt, von Seiten Josep Rulls dadurch zum Ausdruck, daß er am 21. September auf seinem persönlichen Twitter-Konto schrieb: „Stimmt, wir haben sie nicht anlegen lassen“ (https://cronicaglobal.elespanol.com/politica/palamos-impide-atracar-ferri-policia_88610_102.html). Mit Bezug auf die in den Häfen von Barcelona und Tarragona untergebrachten Beamten der Zentralregierung veröffentlichte derselbe Conseller am folgenden Tag einen zweiten Tweet, in dem er die täglichen Kosten für die Fährschiffe auf 300.000 € schätzte und hinzufügte „Für Repression gibt es keine eingefrorenen Konten und keine Grenzen für das Staatsdefizit“ (http://www.elnacional.cat/es/politica/josep-rull-coste-barcos-policia_194451_102.html). Im selben Sinne erklärte er am 27. September in elnacional.cat: „Die testosterongeschwängerte Polizeipräsenz im Hafen beeinträchtigt das Exportgeschäft“, und führte aus, daß die Präsenz die gewöhnliche Hafentätigkeit erschwere und in der katalanischen Wirtschaft Verluste verursache

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(http://www.elnacional.cat/es/politica/rull-policia-puerto-exportaciones_195582_102.html).

Frau Bassa ließ in Bezug auf den [gewerkschaftlichen] Aufruf zum Generalstreik für den Zeitraum vom 2. Oktober bis 13. Oktober 2017 im Namen der Arbeits-, Sozial- und Familienbehörde der Regierung der Generalitat eine streikfreundliche Pressemitteilung folgenden Inhalts herausgeben: „Die Regierung hat sich dem Generalstillstand für den morgigen 3. Oktober angeschlossen (…). Den Beschäftigten, die teilnehmen und der Arbeit fernbleiben, entstehen hieraus keine gehaltsmäßigen Einbußen." (http://www.abc.es/espana/catalunya/abci-generalitat-favorece-funcionarios-hagan-huelga-este-martes-sin-ningun-descuento-salarial-201710022121_noticia.html).

Und was die ebenfalls von allen Beschuldigten geleugnete Haushaltsuntreue betrifft, so beschloß die Consellera de Gobernació, Administracions Públiques i Habitatge, Meritxell Borràs i Solè die Maßnahmen, die auf die Mittelerlangung zur Durchführung des Referendums gerichtet waren, indem sie den Rahmenbeschluß zur Beschaffung von Urnen für die Wahlen zum Parlament von Katalonien, Volksbefragungen und andere Formen von Bürgerbeteiligungen erließ, im Rahmen des [folgen Gesetzesgrundlagen und Fundstelle].

4. Da somit die ersten im Gesetz vorgesehenen Voraussetzungen vorliegen, ist nun zunächst zu prüfen, ob mit der beantragten Maßnahme der Untersuchungshaft eines der gesetzlich vorgezogenen Zwecke erreicht werden kann und, wenn ja, ob die mit der Untersuchungshaft einhergehende Freiheitsentziehung in Bezug auf diesen Zweck oder diese Zwecke als angemessen angesehen werden kann, was von der Bedeutung derselben abhängt sowie davon, ob es

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andere weniger schwerwiegende aber gleich wirksame Maßnahmen zur Sicherstellung der Erreichung ebendieser Ziele gibt (Verhältnismäßigkeit im strengen Sinne).

Nach Art. 503 Abs. 1 Nr. 3 LECr muß mit der Untersuchungshaft einer der folgenden Ziele verfolgt werden:

[Abstrakte und nicht fallbezogene Beschreibung der Haftgründe]

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Im zu prüfenden Fall ist in erster Linie für die Bewertung der Fluchtgefahr hervorzuheben die Relevanz der Schwere der den Beschuldigten vorgeworfenen Straftaten und der Strafen, die sie nach sich ziehen, wobei zu berücksichtigen ist, daß der Anreiz zur Flucht umso höher eingeschätzt werden muß, je schwerer Tat und Strafe sind. Die Beschuldigten sehen sich Strafen ausgesetzt, die 25 Jahre Gefängnis für Rebellion erreichen können, 15 Jahre Gefängnis für Auflehnung und 8 Jahre für Haushaltsuntreue, bzw. 10 Jahr hierfür, wenn es zu Rechnungsführungsfälschung gekommen ist. Bei alldem handelt es sich, wie bereits im Beschluß vom 31. Oktober über die Zulassung der Anklage angesprochen, um eine vorläufige Einschätzung, namentlich was die Qualifikation der Taten als Straftat der Rebellion betrifft.

Des weiteren hat besondere Bedeutung, daß alle Beschuldigten eine hervorgehobene Rolle aus ihren öffentlichen Ämtern heraus einnahmen, ohne welche der independentistische Prozeß nicht hätte vorangetrieben werden können.

Tatsächlich stellte sich das Handeln der Beschuldigten als wohlüberlegt und perfekt vorbereitet und abgestimmt dar, unter fortlaufender und systematischer Nichtbeachtung der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs über mehr als zwei Jahre hinweg. Zwar sind Herr Turul und Herr Forn erst am 14. Juli 2017 in die Regierung eingetreten, aber die Vielzahl der Handlungen in Ausführung des Unabhängigkeitsprozesses, die zwischen diesem Zeitpunkt und dem 27. Oktober vorgenommen werden, können nicht unbeachtet bleiben.

Des weiteren nahmen die Beschuldigten eine aktive Rolle ein, als sie den minutiös geplanten souveränistischen Prozeß vorantrieben und dabei alle möglichen Hindernisse, die sie von ihrem Endziel hätten abbringen können, aus dem Weg räumten.

Auch nicht außer Acht bleiben darf, daß die Beschuldigten vermögend sind, was es ihnen leichtmacht, spanisches Gebiet zu verlassen und im Ausland ihr Auskommen zu haben. Insoweit genügt der Hinweis, daß einige Beschuldigten sich bereits in andere Länder begeben und sich so ihrer möglichen strafrechtlichen Verantwortung entzogen haben.

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Außerdem operieren die Beschuldigten innerhalb einer hochgradig organisierten Personengruppe und unterstützt durch souveränistische Vereinigungen, die die Mittel und die Fähigkeit haben, ihnen bei einer möglichen Flucht vor der Justiz Hilfe zu leisten. Einige von ihnen sind sogar, wie bereits ausgeführt, Mitglieder von ANC und Òmnium, die eine entscheidende Rolle im souveränistischen Prozeß gespielt haben.

Es besteht auch eine hohe Wahrscheinlichkeit, daß die Beschuldigten Beweisquellen verdunkeln, verändern oder vernichten können, wenn man die Ämter bedenkt, die sie bis vor wenige Tage in den wichtigsten Institutionen der Regierung der Generalitat innehatten.

Schließlich besteht auch eine hohe Wiederholungsgefahr, wenn man bedenkt, daß die in diesem Beschluß beschriebenen strafbaren Handlungen von den Beschuldigten, mit Ausnahme der beiden genannten Beschuldigten, über zwei Jahre geplant und bewußt ins Werk gesetzt wurden, indem sie fortlaufend und immer aufs Neue gegen Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs verstießen, die den Beschuldigten persönlich und direkt bekannt waren.

Aufgrund all dessen ist derzeit die Maßnahme der UNTERSUCHUNGSHAFT OHNE KONTAKTSPERRE UND OHNE AUSSETZUNG GEGEN SICHERHEITSLEISTUNG für Oriol Junqueras i Vies, Jordi Turul i Negre, Raül Romeva i Rueda, Josep Rull i Andreu, Dolors Bassa i Coll, Meritxell Borràs i Solé, Joaquim Forn i Chiariallo, Carles Mundó i Blanch zu beschließen.

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Nachtrag vom 23. November 2017

Am 9. November 2017 haben über 100 an spanischen Hochschulen unterrichtende Strafrechtler eine Erklärung abgegeben, in der sie das Vorgehen der Staatsanwaltschaft und der Untersuchungsrichterin verurteilen. Eine strafrechtliche Verantwortung sei zwar im vorliegenden Fall wahrscheinlich, keineswegs könnten jedoch die Straftatbestände Rebellion und Auflehnung bejaht werden. Darüber hinaus sei die Maßnahme der Untersuchungshaft offensichtlich unverhältnismäßig.

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