De legibus-Blog

10. Dezember 2012

Interview zum Fall Mollath: Eine Rekonstruktion der Hauptverhandlung

Oliver García

Herr Westenrieder, Sie haben in dem Strafverfahren gegen Gustl Mollath als Schöffe mitgewirkt. Mollath ist seit fast sieben Jahren in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht und spätestens seit ein paar Wochen mehren sich die Anzeichen, daß er dort nicht hingehört. Sie selbst haben sich bereits mehrfach in diesem Sinne zu Wort gemeldet.

In Ihren bisherigen Stellungnahmen gegenüber Medien haben Sie klargestellt, daß Sie an das Beratungsgeheimnis (§ 45 Abs. 1 Satz 2, § 43 DRiG) gebunden sind, aber daß dies Sie nicht daran hindert, sich zu den Vorgängen in der öffentlichen Hauptverhandlung zu äußern. Das sehe ich auch so. Ich danke Ihnen, daß Sie bereit sind, über den Verlauf der Hauptverhandlung im Falle Mollath genaueres zu berichten. Ich möchte unser Gespräch bewußt nicht beschränken auf Dinge, die juristisch relevant sind, sondern auch die Chance nutzen, vermittelt zu bekommen, wie dieser für das weitere Leben von Gustl Mollath einschneidende Gerichtstermin verlaufen ist.

Zunächst aber: Ich nehme an, es war nicht Ihre erste Verhandlung als Schöffe? Wie oft etwa haben Sie schon Erfahrungen sammeln können?

Ich habe an insgesamt rund 60 Verhandlungen vor der Großen und Kleinen Strafkammer und dem Schwurgericht teilgenommen.

Auch schon in der Kammer des Vorsitzenden Richters Brixner?

Auch in dieser Kammer. Dort hatte ich schon an einer Hauptverhandlung teilgenommen.

Wie ist Ihr Eindruck von der Justiz in Nürnberg insgesamt?

Mein Eindruck von der Nürnberger Justiz ist durchaus sehr positiv. Ich habe, wenn man mal Richter Brixner wegläßt, nur Berufsrichter kennengelernt, die sich sehr intensiv des jeweiligen Falles angenommen haben, die Angeklagten zur Wort kommen ließen und die auch bei Deals, die ja zum Beispiel in Rauschgiftverfahren an der Tagesordnung sind, sehr darauf geachtet haben, daß Geständnisse nicht nur abgegeben werden, um einen Strafrabatt auszuhandeln. Da wurde sehr sorgfältig gearbeitet, soweit ich es erlebt habe. In einer verhältnismäßig kleinen Berufungssache, einer Verkehrssache, wurden vom Vorsitzenden sogar drei Termine angesetzt, um feststellen zu können, ob die Vorwürfe gerechtfertigt sind.

Die Verhandlung im Fall Mollath fand am 8. August 2006 statt, einem Dienstag. Wann begann sie und wie lange dauerte sie?

Sie begann um 9 Uhr und endete um 16.10 Uhr, mit Mittagspause und Verhandlungsunterbrechungen.

So genau wissen Sie das noch?

Das weiß ich noch genau, weil ich mir die Daten jeweils notiert habe.

Sie haben noch Notizen aus dieser Zeit?

Ja.

Sie haben also als Schöffe mitgeschrieben und diese Notizen über die Jahre als eine Art Andenken aufbewahrt?

So ist es. Ich habe an sämtlichen Terminen, an denen ich teilgenommen habe, Notizen gemacht.

Gab es denn Zuschauer, erinnern Sie sich daran?

Ja, es waren nach meiner Aufzeichnung 30 bis 40 Zuschauer im Saal.

Das ist aber enorm im Vergleich zu dem, was sonst an Landgerichten üblich ist. Das ist Ihnen aufgefallen?

Ja, das war – mit Ausnahme beispielsweise von Schwurgerichtsverhandlungen – sicherlich ungewöhnlich.

Mollath war zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung bereits vorläufig untergebracht. Er wurde aus dem Bezirkskrankenhaus Straubing in den Gerichtssaal gebracht. Haben Sie davon etwas mitbekommen?

Er wurde mit Bauchfesseln in den Saal geführt.

Mit Bauchfesseln?

Mit Bauchfesseln. Er hat gebeten, daß ihm die Fessel hinten entfernt wird, weil es schmerzt. Es wurde dann vom Vorsitzenden Richter auch genehmigt.

Bauchfessel heißt: ein Gürtel und die Hände waren daran befestigt?

Ein Gürtel mit einer Vorrichtung am Rücken, die von den Begleitpersonen zusammengedreht werden kann, so daß der Betroffenen immer fest im Griff ist.

Eine Art Zwangsjacke?

Das will ich damit nicht sagen.

Wo befanden sich seine Wärter?

Es war Justizpersonal da. Ob es Psychiatriemitarbeiter waren, weiß ich nicht. Die Angeklagten werden ja üblicherweise vom Vorführdienst in den Saal gebracht.

Welchen Eindruck hatten sie von der Verfassung Mollaths?

Er kam mir schon etwas verwirrt vor. Er war dessen ungeachtet in der gesamten Hauptverhandlung sehr ruhig, kein einziges Mal aggressiv. Aber der verwirrte Eindruck ist im Nachhinein – was ich jetzt weiß – schon nachvollziehbar.

Arbeitete er denn aktiv an der Sachverhaltsaufklärung mit?

Hm… Das kann man, mit Einschränkungen, schon sagen. Er war bemüht, zu Vorwürfen Stellung zu nehmen, auch wenn er – wie gesagt – einen etwas wirren Eindruck gemacht. Hat auch seine Frau, seine Ex-Frau, mit „Sie“ angesprochen. Er hat auch erklärt, er trete aus dem Rechtsstaat aus. Es hat schon einen etwas verwirrten Eindruck gemacht. … Wobei, wenn jeder, der einen verwirrten Eindruck macht, in die Psychiatrie eingeliefert würde, was wäre dann?

Sie haben bereits bei früherer Gelegenheit von der Verhandlungsführung durch Brixner gesprochen. Wie haben Sie sie wahrgenommen?

Mich hat die Verhandlungsführung von Herrn Brixner eigentlich nicht so sehr gewundert. Ich kannte ihn ja aus einem weiteren Verfahren. Insofern war es für mich nicht ungewöhnlich, daß er verhältnismäßig aggressiv reagiert hat, daß er den Beschuldigten Mollath angeschrien und ihm das Wort verboten hat, wenn Mollath über Schwarzgeldverschiebungen erzählen wollte. Daß er auch abgelehnt hat, Unterlagen anzunehmen, die Mollath ihm vorlegen wollte.

Wann hat denn Mollath versucht, Unterlagen vorzulegen?

Während der Hauptverhandlung.

Wurde Brixner nur laut, wenn Mollath sich zu dem Schwarzgeld äußerte oder durchgehend?

Auch bei anderen Dingen. Wenn Mollath Fragen an seine Ex-Frau gestellt hat.

Da wurden ihm einzelne Fragen verboten? Die dürften aber auch mit dem Schwarzgeld zu tun gehabt haben?

Im einzelnen erinnere ich mich nicht. Ich hatte auch den Eindruck, daß Mollath seine Frau aushorchen wollte, wann und wohin sie mit ihrem damaligen Freund, heutigen Mann, unterwegs war. Dinge, die durchaus für jemanden, der die Akten kennt, als Teil eines Rosenkrieges erscheinen konnten.

Daß hier ein Rosenkrieg zugrunde lag, kam Ihnen auch damals so vor?

Nein! Den Ausdruck Rosenkrieg benutze ich erst jetzt, im Nachhinein. Daß einige Fragen von Mollath im Zusammenhang mit seiner Scheidung standen, die er offenbar nicht so richtig bewältigt hatte, schon. Aber Rosenkrieg nicht.

Nachdem Brixner die Annahme der Unterlagen abgelehnt hatte, fiel die Äußerung Mollaths vom Austritt aus dem Rechtsstaat?

Die fiel irgendwann am Nachmittag zu einem Zeitpunkt, als die Verhandlung schon ein paar Stunden gedauert hat. In welchem Zusammenhang, kann ich nicht mehr sagen. Es war auf jeden Fall nach den Vorwürfen Briefdiebstahl, Reifenstecherei etc.

Wurde denn Brixner von Mollath provoziert?

Nein.

Hat Brixner von der Richterbank aus allein die Verhandlung bestimmt oder haben auch die beisitzende Richterin und die Schöffen Fragen gestellt?

In einer Verhandlungspause habe ich den Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft gefragt, warum wegen der Schwarzgeldbehauptungen des Angeklagten keine Ermittlungen aufgenommen wurden.

Und was hat er gesagt?

Die Darstellungen seien zu pauschal, da könne nicht ermittelt werden.

Wie war die Verhandlung gegliedert? Aus dem Urteil kann man entnehmen, daß auf die Aufklärung der Reifenstecherei viel Mühe verwandt wurde, auf die Anklagepunkte Körperverletzung und Freiheitsberaubung offenbar weniger.

Zur Reifenstecherei gab es zwei Zeugen… Moment, ich sehe gerade: jede Menge Zeugen. [Es folgt eine Aufzählung von Zeugen mit Angaben, wie viele Reifen jeweils beschädigt wurden]

Sie lesen jetzt von Ihren Notizen ab?

Ja.

Das heißt, es gab eine Schar von Zeugen, die aussagten, daß ihnen Reifen zerstochen wurden, aber nicht von wem?

Richtig.

Der Beweis der Täterschaft wurde dann wodurch geführt?

Der Polizist […] hat über eine Videoüberwachung ausgesagt und über eine Hausdurchsuchung, die dann bei Mollath durchgeführt wurde. Dort wurde Kleidung aufgefunden, die der ähnelte, die auf der Aufnahme zu sehen war.

Aber die Aufnahme selbst wurde nicht vorgeführt?

Sie wurde nicht vorgeführt.

Zur Beweiserhebung im einzelnen: In der Beweiswürdigung des schriftlichen Urteils ist mir eine Stelle besonders aufgefallen. Dort heißt es (Seite 18), daß Mollath die Angabe seiner geschiedenen Frau nicht konkret (Hervorhebung dort) bestritten haben. Er habe lediglich ausgesagt, daß es oft Streit gegeben und sie ihn geschlagen habe. Das macht mich stutzig, denn immerhin ging es bei den Angaben der Ex-Frau um Angriffe brutalster Art, solche die das Gericht im Urteil denn auch als lebensgefährliche beurteilte. Trotzdem äußerte sich Mollath hierzu nicht?

Dazu kann ich leider nichts mehr sagen. Ich habe mir auch nichts aufgeschrieben.

Brixner verlas ein Attest der Allgemeinmedizinerin Dr. Reichel, das die genannten schweren Verletzungen dokumentierte. Verlas er Ihrer Erinnerung nach auch das Datum dieses Attests? Es war ja, wie man im schriftlichen Urteil nachlesen kann (allerdings an zwei weit auseinanderstehenden Stellen: Seite 10 und Seite 17), fast ein Jahr nach dem Vorfall ausgestellt worden.

Nein, das Datum verlas er nicht.

Auch sonst wurde diese zeitliche Lücke in der Hauptverhandlung nicht thematisiert?

Nein.

Und der Umstand, daß zwischen der Ausstellung des Attests und der Anzeige bei der Polizei noch einmal ein großer Zeitraum lag (fünf Monate)?

Auch nicht.

Entscheidend für den Ausgang des Prozesses und das Schicksal von Mollath waren die Ergebnisse, zu denen der psychiatrische Gutachter Dr. Leipziger kam. Wie lange dauerte der mündliche Vortrag von Dr. Leipziger?

Das weiß ich nicht mehr.

Hat er nur abgelesen?

Das kann ich nicht genau sagen. Ich glaube aber, er hat auch frei gesprochen.

Wurden Fragen gestellt?

Das weiß ich nicht mehr.

Dem Urteil entnehme ich, daß Mollath sich von Leipziger nicht untersuchen lassen wollte. Wie ausführlich stellte Leipziger die Grundlagen seiner Schlußfolgerungen dar? Berief er sich allein auf das Aktenstudium oder muß ich es mir so vorstellen, daß er sich in den Aufenthaltsraum der geschlossenen Abteilung gesetzt und Mollath beobachtet hatte, vielleicht an mehreren Tagen ein paar Stunden lang?

Auch dazu habe ich leider keine Erinnerung mehr. Ich habe notiert: „nach Aktenlage“.

Dr. Leipziger stellte bei Mollath eine krankhafte seelische Störung in den Jahren 2001 und 2002 fest, obwohl er sich nur auf Untersuchungen in den Jahren 2005 und 2006 sowie auf Schriftstücke von frühestens Ende 2003 stützen konnte. Wurde mit ihm erörtert, auf welche Weise es ihm gelang, den Gesundheitszustand Mollaths auf die Tatzeitpunkte zurückzuberechnen?

Auch das weiß ich nicht mehr. Aber zu diesem Punkt gibt es ja auch jetzt etliche Psychiater, die Leipzigers Gutachten zerpflücken. Was ich hier noch in meinen Notizen stehen habe: „Schwaches Gutachten“.

Aber Sie haben mit psychiatrischen Gutachten sicher nicht viele Erfahrungen?

Ich habe mit psychiatrischen Gutachten schon Erfahrungen, sowohl aus Hauptverhandlungen als auch aus anderen Bereichen.

Sie waren Klinikdirektor, habe ich gelesen.

Ja, aber nicht als Arzt, sondern als Verwaltungsmensch.

Über den „Schwarzgeldkomplex“ und Brixners „allergische“ Reaktion darauf sprachen wir vorhin schon. Konnte denn die Ex-Frau Mollaths in ihrer Zeugenvernehmung überhaupt zu irgendeiner Äußerung hierzu gebracht werden, z.B. durch den Verteidiger Mollaths?

Ich kann nach meiner Erinnerung, die mich durchaus trügen kann, nur sagen, daß sie zur Schwarzgeldaffäre überhaupt nicht befragt wurde.

Aber jedenfalls Mollath hat versucht das Thema anzusprechen, wie Sie vorhin schon sagten. Hat er versucht klarzumachen, daß dieses Thema ein Motiv für die Anschuldigungen der Frau darstellen könnte oder zumindest für die Eskalation des Ehekonflikts?

So einen Eindruck habe ich nicht gewonnen.

Es klang also so bei ihm, als wäre es eine „ganz andere Baustelle“?

Hmm [zögert lange]. Ich kann aus der Erinnerung nicht mehr sagen, ob er dies als ein Motiv gesehen hatte.

Wurde denn in der gesamten Hauptverhandlung der Umstand angesprochen, daß die Ex-Frau ihre Stelle bei der Bank verloren hatte?

Nein.

Das wissen Sie noch genau?

Ja. Zumindest weiß ich sicher, daß nicht gesagt wurde, daß sie ihre Stelle verloren hat. Ob sie eventuell gesagt hat, daß sie nicht mehr bei der Bank ist, das weiß ich nicht mehr.

Es gab bei Mollath während des Ermittlungsverfahrens eine Hausdurchsuchung durch ein Großaufgebot von 12 Polizisten, weil seine Frau ihn wegen illegalen Waffenbesitzes angezeigt hatte. Gefunden wurde außer einem erlaubnisfreien, verrosteten Luftgewehr nichts. Ich komme auf das Thema, weil es im Urteil heißt, die Ex-Ehefrau, als einzige Belastungszeugin, habe keinen Belastungseifer. Ist die von der Frau initiierte Hausdurchsuchung in der Hauptverhandlung zur Sprache gekommen?

Nein. Wenn das in der Hauptverhandlung bekannt gewesen wäre, dann hätte sich die Frage der Glaubwürdigkeit der Ex-Ehefrau ganz anders gestellt. Das ist auch der Grund, warum ich seit letztem Jahr sage: Das ist ein Fehlurteil.

Etwas Verwirrung herrscht hinsichtlich der Umstände der Festnahme Mollaths zur vorläufigen Unterbringung: Im Urteil steht, daß er sich auf dem Dachboden seines Hauses versteckt habe und dort festgenommen worden sei. Ein Polizeiprotokoll belegt aber, daß er sich selbst bei der Polizei gestellt hat. Kam dazu etwas in der Hauptverhandlung zur Sprache?

Ja. Der Polizist […] hat ausgesagt, er habe Herrn Mollath wegen des Unterbringungsbeschlusses festgenommen und er hätte sich auf dem Dachboden hinter irgendeinem Verschlag versteckt. Das ist, wie wir jetzt wissen, falsch. Die Festnahme im Dachgeschoß ist offensichtlich erfolgt, als Mollath das erste Mal zur Begutachtung in die Psychiatrie eingeliefert werden sollte. Nicht bei der Vollstreckung des Unterbringungsbeschlusses der Kammer.

Hat es denn eine Bedeutung, bei welcher Festnahme Mollath sich zu verstecken versuchte?

Wenn in der Hauptverhandlung nicht nur dieser Polizist ausgesagt hätte, sondern auch die beiden Polizisten, bei denen sich Mollath zur Vollstreckung des Unterbringungsbeschlusses freiwillig gestellt hatte – an der Lorenzkirche in Nürnberg -, dann hätte das ein ganz anderes Bild vom Geisteszustand Mollaths gezeigt. Ich weiß nicht, wer die Auswahl der jeweiligen Zeugen getroffen hat, die Staatsanwaltschaft oder der Vorsitzende.

Jetzt verstehe ich Sie. Sie meinen, daß der Polizist, der zu der „Dachbodenverhaftung“ ausgesagt hatte, geladen wurde, um den Geisteszustand Mollaths zu unterstreichen?

Nein, nein. So weit will ich nicht gehen, da bin ich vorsichtig und ich will hierzu auch keine Verschwörungstheorien aufstellen, um Gottes willen. Aber die Aussage dieses Polizisten hat den Eindruck verstärkt, daß Mollath wirr ist oder nicht alle Tassen im Schrank hat, um es so auszudrücken.

Kommen wir zu einer weiteren Person in dieser Hauptverhandlung, dem Pflichtverteidiger Mollaths, RA Dolmany. Es gibt eine Verwirrung bezüglich der Frage, wieso er überhaupt in der Hauptverhandlung auftrat, obwohl seine Beiordnung aufgehoben worden war oder dies zumindest von allen Beteiligten beantragt worden war. Ist dazu in der Verhandlung irgend etwas zur Sprache gekommen?

Nein. Was die Gerüchte betrifft, daß er sich von seinem Mandanten weggesetzt und auf die Seite der Staatsanwaltschaft gesetzt hätte, dazu habe ich keinerlei Erinnerung. Das kann ich nicht bestätigen.

Das wäre aber wohl so ungewöhnlich, daß Ihnen so etwas in Erinnerung geblieben wäre.

Ja, genau.

Gegenüber der SZ sagt RA Dolmany nun, daß Mollath sich ihm gegenüber nicht geöffnet habe. Haben denn in der Hauptverhandlung Mollath und sein Anwalt miteinander geredet? Haben Sie dazu etwas beobachtet?

Kann ich aus der Erinnerung heraus nicht sagen.

Wie aktiv war RA Dolmany? Hat er Beweisanträge gestellt?

Dazu ist mir überhaupt nichts erinnerlich. Ich habe dazu auch nichts in meinen Notizen. Was Dolmany betrifft, so ist er mir auch in anderen Verfahren begegnet und er ist bei mir vom Namen her durchaus nicht negativ besetzt. Ich denke schon, daß er als Strafverteidiger gut war in Fällen, wo ich ihn erlebt habe. Da kann ich nichts Nachteiliges sagen.

Worauf hat er abschließend plädiert?

Da gibt es jetzt auch Angaben, daß er auf Unterbringung plädiert habe. In meinen Unterlagen habe ich: „Staatsanwaltschaft: Freispruch + Unterbringung in Psychiatrie. Rechtsanwalt: Freispruch“ – Also, ich habe nur Freispruch notiert.

Das ist auffällig.

Wenn er auch Unterbringung beantragt hätte in seinem Plädoyer, dann hätte ich es notiert.

Dann ist es ja…

Ich habe auch notiert: „Urteil: Freispruch + Unterbringung“. Dann hätte ich es beim Anwalt auch notiert. Ich kann das, was verschiedentlich behauptet wird, nicht bestätigen.

Was war denn Mollaths letztes Wort? Haben Sie etwas dazu aufgeschrieben?

Nein.

Nachdem sich das Gericht zur Beratung zurückgezogen hatte – zur Beratung selbst stelle ich natürlich keine Frage -, wie lange dauerte es etwa, bis es zur Urteilsverkündung wieder in die Verhandlung eintrat?

Das kann ich auch nicht sagen, habe ich nicht notiert.

Gab es auf das Urteil eine besondere Reaktion der Beteiligten oder des Publikums?

Dazu kann ich mich nicht erinnern. … Zumindest kann ich sagen, daß Herr Mollath nicht „herumgeplärrt“ hat. Das hätte ich mir gemerkt.

Auch im nachhinein ist die Bauchfessel also nicht nötig gewesen.

Nein. Die ist ihm in der Hauptverhandlung ja aber auch abgenommen worden.

Wir haben nun vom 8. August 2006 gesprochen. Wann haben Sie danach zum ersten Mal wieder vom Fall Mollath etwas gehört?

Letztes Jahr. Nach der Presseberichterstattung von Michael Kasperowitsch in den Nürnberger Nachrichten.

Der im Fall Mollath investigativ tätig geworden ist.

Ja. Daraufhin habe ich Herrn Kasperowitsch angerufen und ihm gesagt: Hören Sie zu, der Herr Mollath hat aber schon einen wirren Eindruck hinterlassen.

Das heißt, Sie wollten dem Eindruck entgegenwirken, daß hier ein völlig gesunder Mensch nur wegen Schwarzgeldvorwürfen weggeschlossen wurde.

So ist es. Daraufhin habe ich Unterlagen bekommen, nicht von Herrn Kasperowitsch, sondern von allen möglichen Seiten. Und erst dann bin ich zu dem Ergebnis gekommen: Fehlurteil. Insbesondere wegen der heute für mich erkennbaren Unglaubwürdigkeit der Zeugin.

Haben Sie dann auch die schriftliche Urteilsbegründung zum ersten Mal gesehen?

Ja.

Gab es denn – bezogen auf den äußeren Hergang der Verhandlung, insbesondere die Beweiserhebung – Punkte, in denen Sie überrascht waren über die nachträgliche Darstellung im Urteil?

Nein, da gab es keine. Daß vom Datum her zwei Fehler drin sind, ja, aber das sind Flüchtigkeitsfehler. Aber immerhin. … Und dann ist mir natürlich schon aufgefallen ist, daß das Urteil nur vom Vorsitzenden unterschrieben ist, weil die andere Berufsrichterin in Urlaub war.

Das ist aber nicht ungewöhnlich.

Es ist rechtlich korrekt, aber es hat mich erstaunt.

Herr Westenrieder, haben Sie vielen Dank für dieses Gespräch.


Die Fragen stellte Oliver García.

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