Es ist gut, daß es in Karlsruhe Richter gibt. Wenn die einschlägig bekannten Kammern gewisser Landgerichte wie in Hamburg, Berlin oder Köln, gedeckt von ihren übergeordneten Oberlandesgerichten, wieder einmal einen Schlag gegen die Presse- und Meinungsfreiheit ausgeführt haben (aufgrund ihrer sicherlich grundrechtsfreundlich-gutgemeinten, aber doch irrigen Vorstellungen von Ehrenschutz), dann ist es gut, daß nicht ihre Maßstäbe gelten, sondern die der Richter des VI. Zivilsenats des BGH und des 1. Senats des BVerfG und dann ist es gut, daß ihre Entscheidungen in Karlsruhe aufgehoben werden.
Von dieser Faustregel könnte die vorgestern verkündete Eva-Herman-Entscheidung des BGH (VI ZR 262/09) eine Ausnahme sein.
Eva Herman ist die ehemalige Tagesschausprecherin, die im Jahr 2007 ein Buch mit dem Titel „Das Prinzip Arche Noah“ veröffentlichte, das ein leicht vorsintflutliches Frauen- und Familienbild propagierte. Heikel genug. In das Auge des Medienorkans aber kam sie, als sie auch noch im Rahmen einer Buchvorstellung auf den Nationalsozialismus zu sprechen kam. Diese Äußerungen und ihre Wiedergabe im Hamburger Abendblatt waren Gegenstand des Rechtsstreits, in dem Herman nun vor dem BGH unterlegen ist, nachdem sie noch vor dem LG Köln und OLG Köln Recht bekommen hatte (mit zugesprochenen Entschädigungssummen von zunächst 10.000 und dann 25.000 Euro).
Es ging um folgende Äußerung von ihr:
Wir müssen den Familien Entlastung und nicht Belastung zumuten und müssen auch ’ne Gerechtigkeit schaffen zwischen kinderlosen und kinderreichen Familien. Wir müssen vor allem das Bild der Mutter in Deutschland auch wieder wertschätzen, das leider ja mit dem Nationalsozialismus und der darauf folgenden 68er-Bewegung abgeschafft wurde. Mit den 68ern wurde damals praktisch alles das – alles was wir an Werten hatten – es war ’ne grausame Zeit, das war ein völlig durchgeknallter hochgefährlicher Politiker, der das deutsche Volk ins Verderben geführt hat, das wissen wir alle – aber es ist eben auch das, was gut war – das sind die Werte, das sind Kinder, das sind Mütter, das sind Familien, das ist Zusammenhalt – das wurde abgeschafft. Es durfte nichts mehr stehen bleiben.
Daraus war in der Zeitungsdarstellung folgendes geworden:
In diesem Zusammenhang machte die Autorin einen Schlenker zum Dritten Reich. Da sei vieles sehr schlecht gewesen, zum Beispiel Adolf Hitler, aber einiges eben auch sehr gut. Zum Beispiel die Wertschätzung der Mutter. Die hätten die 68er abgeschafft, und deshalb habe man nun den gesellschaftlichen Salat. Kurz danach war diese Buchvorstellung Gott sei Dank zu Ende.
War Herman dadurch falsch dargestellt worden? Die Kölner sagten ja, sogar in einem Maße, daß eine deftige Entschädigungszahlung fällig sei. Nun zeichnet sich die – nennen wir es einmal plakativ – „Presse- und Meinungsfeindlichkeit“ mancher Gerichte oft dadurch aus, daß sie einer Äußerung gerade diejenige Deutung von mehreren möglichen geben, die die größte Handhabe für ein Verbot bietet. Der BGH und das BVerfG setzen dann an dieser Stelle an und heben die Entscheidung mit dem Argument auf, daß mehrere Deutungen möglich seien und daß, bitte schön, diejenige genommen werden solle, die in Hinsicht auf Presse- und Meinungsfreiheit schonender ist (vgl. BVerfG, Beschluß vom 25.10.2005 – 1 BvR 1696/98). Auch wenn dieses Muster im wesentlichen eingreift, wenn es um die Deutung des Presseberichts selbst geht (im Unterschied zu Äußerungen, die die Presse wiedergibt), so wäre es nicht überraschend gewesen, wenn der BGH hier zu Lasten von Herman etwa so entschieden hätte: Sie habe eine Äußerung getan, die mehrere Deutungsmöglichkeiten zuließ. Wenn sie aber gegenüber Journalisten vermeidbar in so unscharfer Weise formuliert, hat sie es sich selbst zuzuschreiben, wenn ihre Worte in einem Sinn wiedergegeben werden, der ihr nicht lieb ist.
So oder so ähnlich hätte der BGH die Klage abweisen können. Die Überraschung ist, daß er sich für den gegenteiligen Ansatz entschieden hat: Für den BGH waren die Worte Hermans nicht unklar, sondern vollkommen klar. Er schreibt in der Pressemitteilung:
Die Äußerung lässt im Gesamtzusammenhang betrachtet gemessen an Wortwahl, Kontext der Gedankenführung und Stoßrichtung nur die Deutung zu, die die Beklagte ihr beigemessen hat.
Bei aller Sympathie für die Linie des BGH: Mit seinem interpretatorischen Durchblick wird er dem Fall nicht gerecht. Sobald es um Äußerungen über den Nationalsozialismus geht, kann nur noch mit Präzisionswerkzeugen gemessen werden. Jede kleinste tendenzielle Andeutung in der Wiedergabe einer NS-bezogenen Äußerungen kann für Prominente zum bürgerlichen Tod führen. Die Wahrnehmungsmuster sind hier nun einmal – leider – so, daß eine solche Äußerung zunächst einen Generalverdacht einer NS-Sympathie mit sich bringt (gerade wenn sie, wie hier, im Zusammenhang mit einem gesellschaftspolitischen Anliegen fällt). Und dieser Generalverdacht kann nur entkräftet werden, wenn sie mit anerkannten Distanzierungsäußerungen einhergeht.
Meiner Meinung nach hat der Zeitungsbericht ein falsches Bild von der Äußerung Hermans gezeichnet. Der Leser bekommt den Eindruck, als wäre es Hermans Anliegen gewesen, darauf hinzuweisen, daß die nationalsozialistische Politik insoweit, als sie „die Wertschätzung der Mutter“ betraf, ein Vorbild sein könnte. Und daß man dies nur wegen „der 68’er“ heute nicht mehr wahrhaben würde. Dieser vermittelte Eindruck paßt wunderbar in das Schema „Es war nicht alles schlecht“, der fast klischeehaften Einleitung zu einer Rehabilitierung des Nationalsozialismus. Unter diesem Gesichtspunkt ist die Wendung „vieles sehr schlecht gewesen, zum Beispiel Adolf Hitler“ gerade keine Distanzierung, sondern folgt dem Klischee eines „blondchen-dummen“, oberflächlichen Gesichtsbilds.
Das Originalzitat hingegen lese ich so, daß es die 68’er selbst zum Mittelpunkt hat, die für Herman offenbar ein Feindbild sind. Diese hätten das von ihr, Herman, gewünschte Mutterbild diskreditiert, indem sie es als Charakteristikum des Nationalsozialismus ausgegeben hätten. Dadurch hätten sie das Kind mit dem Bade ausgeschüttet, denn in Wirklichkeit handele es sich ja um ein „natürliches“ Mutterbild, daß es zu allen Zeiten gegeben hätte und das vom Nationalsozialismus unglücklicherweise ideologisch aufgeladen worden sei („… leider ja mit dem Nationalsozialismus …“).
Wie dem auch sei, jedenfalls erscheint es mir abenteuerlich, Herman allein aufgrund des obigen Zitats besondere Sympathien für den Nationalsozialismus zuzuschreiben. Der BGH mag meinen: Aber das tut der Pressebericht ja auch nicht. Doch darin liegt der Irrtum: Auch wenn man – quasi mit Vektorpfeilen – zwischen jedem Wort in der Pressedarstellung und dem Originalzitat einen Bezug herstellen kann, ändert das nichts daran, daß die Tendenz auf die Unterstellung einer Sympathie geht. Es ist wie mit dem schon erwähnten „Es war nicht alles schlecht“. Natürlich war nicht alles schlecht, was während des Nationalsozialismus eingeführt wurde (siehe die treffenden Betrachtungen von Broder anläßlich des Herman-Falls), doch das ändert nichts daran, daß dieser Satz zu einer Chiffre geworden ist für unverbesserliche NS-Apologeten.
Nachdem Herman einmal in diese Ecke gestellt war, war es um sie als öffentliche Person bald geschehen. Es mag sein, daß sie durch einen unglücklichen Umgang mit dem entstandenen Skandal – zum Beispiel durch ein Interview in der Bild-Zeitung – sich in der Folge noch weiter um Kopf und Kragen geredet hat, obwohl sie durch Klarstellungen die Sache noch hätte retten können. Doch interessant ist ihr Auftritt in der Talkshow „Kerner“, der wohl die entscheidende öffentliche Hinrichtung war, weil sie – der Wahrnehmung nach – aus dieser hinausgeworfen wurde, nachdem sie scheinbar endgültig ihre NS-Nähe offenbart hatte. Aber was sie in dieser Sendung getan hatte, war nichts weiter als die ihr gebaute goldene Brücke abzulehnen, die darin bestand, daß sie sich entsprechend anerkannter Medieninszenierungen für ihren Fehltritt entschuldigt und als gerettete Sünderin wieder aufgenommen wird. Statt dessen verfolgte sie die medientechnisch höchst ungeschickte Strategie, darauf zu beharren, daß sie falsch dargestellt wurde und daß sie nie in der Ecke war, in die sie hingestellt wurde (zu dem Auftritt: Niggemeier, Broder, Hildebrandt auf welt.de). Und dieselbe konsequente Strategie hat sie auch auf dem Rechtsweg verfolgt, hatte damit zweimal Erfolg und ist nun endgültig vor dem BGH gescheitert.
Endgültig? Vielleicht nicht. Und das ist das über den Fall hinausreichende Problem. Es wurden bei der juristischen Aufarbeitung so viele Fehler gemacht, daß es nicht überraschend wäre, wenn das Pendel für Herman noch einmal günstig ausschlägt – vor dem BVerfG.
In dem Fall wurden bisher nur Extreme vertreten. Es fängt an mit der Ungeschicktheit des Anwalts von Herman, der allen Ernstes ihrer Äußerung den Inhalt unterschieben wollte, es handelte sich um die reinste Verurteilung des Nationalsozialismus. Dann ist da das hohe Pokern des OLG Köln, das nicht nur eine Rechtsverletzung bejahte, sondern dem auch die vom LG Köln zugesprochenen 10.000 Euro zu gering erschienen. Denn: „Die geschehene Persönlichkeitsrechtsverletzung der Klägerin ist nicht nur als schwerwiegend, sondern es ist auch das Verschulden der Beklagten als hoch anzusiedeln.“ Es scheint, als wollte sich das OLG nicht die Gelegenheit entgehen lassen, dem pressefeindlichen Ruf, den der Gerichtsbezirk Köln hat, gerecht zu werden. Und jetzt der BGH, der es nun ganz genau weiß und als erster auf die richtige Auslegung des Herman-Zitats und des Presseberichts kommt, und das obwohl die Auslegung von Erklärungen nicht zu den typischen Aufgaben eines Revisionsgerichts gehört.
Die richtige Lösung dürfte in der Mitte liegen: Der Pressebericht stellt eine Persönlichkeitsrechtsverletzung dar. Nicht weil Herman Sympathie für den Nationalsozialismus unterstellt wurde. Das kann der Presse nicht verboten werden, wenn es als eigene Analyse des Journalisten kenntlich gemacht wird. Sondern weil die Worte Hermans ohne Kennzeichnung so umgeschrieben und umarrangiert wurden, daß der Leser den Eindruck bekommen konnte, er lese die Worte Hermans selbst und könnte sich so ein eigenes Urteil bilden (siehe zu dieser Differenzierung bereits die Kurzanmerkung von Petring). Über die Feststellung einer Persönlichkeitsrechtsverletzung und der Zuerkennung eines Gegendarstellungsanspruchs hinaus erfordert der Fall jedoch keine Geldentschädigung, da die besonderen Voraussetzungen hierfür (vgl. BGH, Urteil vom 15. November 1994 – VI ZR 56/94) nicht gegeben sind. Wenn ein Medienprofi, als der Herman gelten muß, aus freien Stücken in das Wespennest NS-Zeit sticht und auch noch durch besondere Unschärfe der Äußerungen zu Interpretationen einlädt, dann wird er durch einen Formverstoß in einem Medienbericht (fehlende Trennung zwischen Zitat und Bewertung) nicht so tiefgreifend in seinen Rechten verletzt, daß eine Geldentschädigung erforderlich wäre.
Weil der BGH sich hier so weit aus dem Fenster gelehnt hat, ist es gut möglich, daß seine Entscheidung auf eine etwaige Verfassungsbeschwerde hin vom BVerfG aufgehoben wird (Beispiel für einen Fall, in dem das BVerfG rügt, daß der BGH ein Falschzitat als solches nicht erkannt hat: Beschluß vom 8. Mai 2007 – 1 BvR 193/05). Die Gefahr, die damit verbunden ist, ist nicht, daß damit ein falsches BGH-Urteil aus der Welt geschafft würde, sondern, daß dies an die Instanzgerichte ein fatales Signal aussenden könnte, nämlich daß die Rechtsprechung ab jetzt ruhig ein bißchen pressefeindlicher sein darf.
Bisher liegt zu der BGH-Entscheidung allerdings nur die Pressemitteilung vor. Vielleicht schafft es der BGH ja, in seiner Urteilsbegründung, die nachgereicht wird, dem Fall eine Lösung zu geben, nach der die in der Pressemitteilung genannte Lösung ein obiter dictum ist.
Nachtrag vom 27. November 2012
Das BVerfG hat mit heute veröffentlichtem Beschluß vom 25. Oktober 2012 – 1 BvR 2720/11 – eine Grundrechtsverletzung Hermans verneint. Anders als der BGH, der in der angegriffenen Entscheidung vom 21. Mai 2011 den Presseartikel als zutreffende Tatsachenbehauptung gewertet hatte, sieht das BVerfG den Artikel als Meinungsäußerung an, die vom Grundgesetz geschützt sei. Das BVerfG kommt zu diesem Ergebnis aufgrund einer Textanalyse, die bisher in keiner der drei zivilgerichtlichen Instanzen eine Rolle gespielt hatte.