De legibus-Blog

15. Februar 2014

Kreditwesengesetz am Rande des Nervenzusammenbruchs

Thomas Fuchs

In meinem die Strafprozessordnung betreffenden Editionsbericht vom 20. Mai 2013 sprach ich davon, das Kreditwesengesetz als Fingerübung zum nächsten größeren Projekt einschieben zu wollen. Es hat ja schließlich nur 65 und ein paar Buchstabenparagrafen.

Das war weit gefehlt! Das Kreditwesengesetz ist eines der umfangreichsten und grausamsten Gesetze, das mir als Konsolidierer je untergekommen ist. Das Gesetz ist unübersichtlich, weil die Paragrafen viel zu lang sind. Der verwendete Sprachstil, der von Anglizismen nur so strotzt, ist furchtbar. Der Text wird unaufhörlich geändert. Alle Fassungen etwa des § 1 KWG hintereinander ergeben bei mir 747 DIN A4-Seiten. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie sich jemand, der damit arbeiten muss, überhaupt darauf einstellen können soll. Jeden, der damit zu tun hat, kann ich nur bedauern.

Mit den kompliziert gestaffelten Inkrafttretensregelungen der zahlreichen, derzeit aus 103 Stück bestehenden Änderungsgesetze kommt inzwischen nicht einmal mehr das Bundesamt für Justiz zurecht, das mit seinem „Kompetenzzentrum Rechtsinformationssystem (CC-RIS)“ für Gesetze im Internet zuständig ist. Das Bundesamt konsolidierte anscheinend zunächst nach Verkündungsreihenfolge und nicht nach Inkrafttreten. Da das zu einer katastrophal falschen Konsolidierung führte, wird stattdessen inzwischen einfach eine zeitlich überholte Fassung angeboten. Vor dieser wird nur mit einem dürren Hinweis, dass Änderungen durch die Gesetze vom 7. und 28. August 2013 (BGBl. I 2013 S. 3090, S. 3395) „noch nicht berücksichtigt“ seien, gewarnt. Der ahnungslose Durchschnitts-Rechtsunterworfene wird daher einen krass irreführenden Text befolgen. Die Unterschiede gehen aus meiner Synopse hervor; links ist meine Fassung, rechts die „amtliche“. Ich bin mir dabei sicher, dass meine Konsolidierung richtig ist, weil sie mit der von Daniel Liebig übereinstimmt.

Auf die Idee, diesen Witz von einer Gesetzeswiedergabe aus dem Verkehr zu nehmen, kam beim Bundesamt für Justiz jedoch noch niemand. Das ist unverantwortlich. Kein Wunder, dass wir eine Finanzkrise haben, wenn schon die Gesetze falsch sind.

Im Übrigen besteht selbst bei der richtig konsolidierten Fassung erneut inhaltlicher Reparaturbedarf, weil die letzten beiden Änderungsgesetze handwerklich fehlerhaft waren (zum Beispiel Verschiebung der §§ 25f—25m ohne eine einzige Verweisanpassung). Die Änderungsorgie geht also weiter. Ich frage deshalb erneut: Wer soll das noch beachten und Ernst nehmen?

Nachtrag vom 25. Februar 2014

Seit kurzem findet sich vor der vom Kompetenzzentrum angebotenen Fassung des Kreditwesengesetzes folgender ominöser „Hinweis“:

Die Änderungen durch Art. 1 u[nd] 8 [des] G[esetzes] v[om] 28. [August] 2013 [BGBl.] I [S.] 3395 (Nr. 53) sind [laut] BMF vor den Änderungen durch Art. 2 u[nd] 3 [des] G[esetzes] v[om] 7. [August] 2013 [BGBl.] I [S.] 3090 (Nr. 47) zu berücksichtigen.

Das ist zunächst die Bestätigung dafür, dass es im Kompetenzzentrum offenbar an der Kompetenz fehlte, die Regelungen über das Inkrafttreten nach Artikel 5 des Gesetzes vom 7. August 2013 (BGBl. I 2013 S. 3090; künftig „RiskAbschG“) und Artikel 10 des Gesetzes vom 28. August 2013 (BGBl. I 2013 S. 3395; künftig „CRDIVUG“) intellektuell zu bewältigen. Aber auch der Hinweis des Bundesministeriums der Finanzen ist falsch. Richtig ist folgende Reihenfolge:

  1. Artikel 1 CRDIVUG tritt nach Artikel 10 Absatz 1 CRDIVUG am 1. Januar 2014 in Kraft, jedoch mit Ausnahme der in Artikel 10 Absatz 1 CRDIVUG genannten Vorschriften des Artikel 1 CRDIVUG, die bereits am 4. September 2013 in Kraft treten.
  2. Artikel 3 RiskAbschG tritt nach Artikel 5 Absatz 2 Halbsatz 2 RiskAbschG am 2. Januar 2014 in Kraft.
  3. Artikel 2 RiskAbschG tritt nach Artikel 5 Absatz 2 Halbs. 1 RiskAbschG am 31. Januar 2014 in Kraft.
  4. Artikel 8 CRDIVUG ist mangels einer Bekanntmachung im Bundesgesetzblatt durch das Bundesministerium der Finanzen darüber, dass die Europäische Kommission einen Bericht nach Artikel 508 Absatz 2 der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 darüber vorgelegt hat, ob und wie die Anforderungen an die Liquiditätsdeckung auf Wertpapierfirmen Anwendung finden, wie sie in Artikel 10 Absatz 3 CRDIVUG vorgesehen ist, noch gar nicht in Kraft getreten.

Mit Hilfe meines Gesetzeskalenders lässt sich das alles haarklein nachvollziehen.

Zitiervorschlag für diesen Beitrag:
https://blog.delegibus.com/3830

Rückverweis URL