Der Hamburger Richter Andreas Buske würde gerne unter einer englischen Gerichtsperücke Recht sprechen. Da die hamburgischen Justizvorschriften eine solche Amtstracht jedoch nicht vorsehen, hat er sich anders beholfen und der Natur ihren Lauf gelassen. Mit barocker Haartracht sitzt er der Zivilkammer 24 des Landgerichts Hamburg vor, während die ihm anvertrauten Rechtsuchenden um Wahrheitsfindung und Gerechtigkeit ringen. Und es sind ihm viele anvertraut. Daß Andreas Buske einer der wenigen bundesweit namentlich bekannten Richter ist (nicht einmal Bundesrichtern pflegt dies zu widerfahren), liegt nicht an seiner exzentrischen Erscheinung, sondern an der Kombination zweier bemerkenswerter juristischer Ingredienzien (und ein bißchen auch daran, daß ein kritischer Bürger namens Rolf Schälike unermüdlich das Amt eines Gerichtsbeobachters versieht und fortlaufend im Internet unter „Buskeismus“ über die vor der Kammer 24 verhandelten Fälle berichtet).
Zensurkammer mit bundesweiter Berufung
Bemerkenswert ist zum einen, daß Buskes Kammer, die sogenannte Pressekammer des Landgerichts Hamburg, ein feines Gespür für Ehre und Persönlichkeitsrechte hat, während sie – ihrem Namen zum Trotz – ein eher reserviertes Verhältnis zur Presse- und Meinungsfreiheit pflegt. Kurz: Die Kammer 24 ist nicht nur als Pressekammer, sondern auch als Zensurkammer bekannt. Ihr Ruf eilt ihr so weit voraus, daß wo immer in Deutschland ein Bedürfnis entsteht, eine Presseveröffentlichung verbieten zu lassen, der Gang nach Hamburg erste Wahl ist.
Daß der Schlachtruf „Il y a des juges à Hambourg“ überhaupt so große Geltung erlangen konnte, liegt an der zweiten Zutat: dem „fliegender Gerichtsstand“. Mit diesem Stichwort ist die bisherige Auslegungspraxis zu § 32 ZPO im Zusammenhang mit Klagen wegen Rechtsverletzungen durch Veröffentlichungen gemeint. Die unscheinbare Vorschrift („Für Klagen aus unerlaubten Handlungen ist das Gericht zuständig, in dessen Bezirk die Handlung begangen ist.“), wurde bereits unabhängig von dieser Konstellation erheblich erweiternd ausgelegt: Unter dem Bezirk, in dem die „Handlung begangen“ wurde, wird auch jeder Bezirk verstanden, in dem ein Erfolg dieser Handlung eingetreten ist. Danach war es nur ein kleiner Schritt, bei Presseäußerungen einen Gerichtsstand überall dort anzunehmen, wo das Presseerzeugnis bestimmungsgemäß verbreitet wird (BGH, 3.5.1977 – VI ZR 24/75). Gegen bundesweit verbreitete Zeitungen und Zeitschriften kann deshalb nach dieser Auslegung bei jedem Gericht in Deutschland geklagt werden. Und der Kläger, der seine Sache mit der nötigen Ernsthaftigkeit betreibt, wäre dumm, wenn er die Klage nicht bei einem Gericht einreicht, das bekanntermaßen Presse- und Meinungsfreiheit gerne hintansetzt.
Die Hamburger Pressekammer ist aber auch eine Internetkammer: Auch in Bezug auf reine Internetveröffentlichungen steuern Buske und seine Beisitzer das Grundrechtsniveau für ganz Deutschland. Es ist deshalb nicht verwunderlich, daß die Kammer 24 anfing, unter der Last der Verbotsanträge zusammenbrechen. Deshalb hat ihr in den letzten Jahren die Nachbarkammer 25 unter die Arme gegriffen. Diese übernahm teilweise alle Internet-Ehrenschutzsachen, teilweise die jeweils ersten 16 eines Monats (erst mit dem diesjährigen Geschäftsverteilungsplan ist die Kammer 24, von anderen Spezialzuständigkeiten entlastet, wieder allein zuständig für den deutschlandweiten Ehrenschutz). Inhaltlich setzte diese Kammer die Linie, für die das Landgericht Hamburg bekannt ist, nahtlos fort.
Den Bogen überspannt von Hamburg nach Regensburg?
So war es auch die Kammer 25 unter dem Vorsitz von Harald Schulz, die vorletzte Woche ein aufsehenerregendes Verbot erlassen hat: Das Bistum Regensburg hatte gegen das zehn Fahrminuten entfernt betriebene journalistische Internetmagazin regensburg-digital.de in Hamburg geklagt. Es ging um einen Beitrag mit der Überschrift „Aufklärung auf katholisch“ über einen 12 Jahre zurückliegenden Kindesmißbrauchsfall, in dem die Kirche der Familie des Opfers eine Entschädigung gezahlt und mir ihr Stillschweigen vereinbart hatte. Der Bischof hat den Journalisten von der Kammer 25 verbieten lassen, in diesem Zusammenhang das Wort „Schweigegeld“ zu verwenden (Urteil vom 11.3.2011 – 325 O 153/10).
Daß der Streit der beiden Regensburger Parteien in Hamburg verhandelt wurde, ist nach dem vorstehenden nicht überraschend. Der Anwalt des Bistums hätte seine Arbeit nicht ordentlich gemacht, wenn er für diese Klage – und die aus den gleichen Gründen erhobene Klage gegen den Spiegel Verlag (324 O 107/10; 324 O 274/10) – von den über 1000 in Frage kommenden Gerichten nicht dasjenige ausgewählt hätte, das schon aufgrund seiner Spruchpraxis das erfolgversprechendste ist. Hinzu kommt, daß der Anwalt vielleicht besonders systematisch vorgegangen ist und in einer Urteilsdatenbank recherchiert hat nach Gerichten, die früher einmal schon Meinungen verboten haben, in denen das Wort „Schweigegeld“ vorkommt. Dann wäre er nämlich auf das Urteil der Buske-Kammer vom 15.9.2006 – 324 O 163/06 – gestoßen, in dem der Hamburger Morgenpost verboten wurde, über ein Zitat des CSU-Abgeordneten Bernd Posselt zu berichten, der im Zusammenhang mit dem Wechsel von Altbundeskanzler Gerhard Schröder in die russische Staatsindustrie von einem „Schweigegeld für den Völkermord in Tschetschenien und die schrittweise Strangulierung von Freiheitsrechten in Russland“ gesprochen hatte.
Das gute an dem aktuellen Urteil des LG Hamburg ist, daß es hinsichtlich der Zuständigkeitsfrage besonders kraß ist. Mit krassen Urteilen dieser Art überspannen die Gerichte den Bogen der problematischen Auslegung von § 32 ZPO, bis er bricht. Risse hat er jetzt schon. Seit einigen Jahren bekommt eine Gegentendenz von den Gerichten immer mehr Zulauf, die zumindest die Exzesse der Lehre von der Allzuständigkeit aller Gerichte eindämmen will. Einen guten Überblick hierüber bietet ein Beitrag von Rechtsanwältin Verena Rigtering.
Regensburg und New York
Den Anstoß hierzu hat sicherlich der Umstand gegeben, daß durch das Internet das bisherige Presseproblem ein allgemeines wurde und sich außerdem verschärft hat, denn Internetinhalte sind in der Regel ohne jedes Zutun des Veröffentlichenden weltweit zugänglich. Deshalb sind die diskutierten Lösungsansätze häufig darauf beschränkt, für die Internetkonstellationen die Allzuständigkeit zurückzuschrauben. Hervorzuheben ist die bekannte Grundsatzentscheidung des BGH vom 2.3.2010 – VI ZR 23/09, die für eine Klage gegen die New York Times die Zuständigkeit deutscher Gerichte bejaht hat, wenn sich jemand, der in Deutschland lebt, durch einen Artikel verleumdet fühlt. Der BGH hat hier unmittelbar § 32 ZPO ausgelegt, da diese Vorschrift nicht nur für die örtliche, sondern auch für die internationale Zuständigkeit einschlägig ist (außer wenn der Beklagte in der EU ansässig ist – dann gilt Art. 5 EuGVVO – oder völkerrechtliche Verträge wie das LGVÜ eingreifen).
In dieser Entscheidung hat der BGH speziell für Internetdelikte einen Richtungswechsel in der Auslegung von § 32 ZPO vorgenommen. Er entwickelt hier ein „Kollisionsmodell“ für die Begründung der internationalen Zuständigkeit. Nicht auf die bestimmungsmäßige „Verbreitung“ der Internetseiten komme es an, sondern darauf, wo die Interessen der Streitparteien in besonderem Maße in Kollision geraten. Die Voraussetzungen einer solchen Kollision bleiben in der BGH-Entscheidung sehr vage, aber eines ist klar: Es handelt sich um den Versuch eines Paradigmenwechsels. In einigen Besprechungen (Staudinger, NJW 2010, 1754; Feldmann, AnwZert 2010, 9) ist die Entscheidung so verstanden worden, daß sie auf eine einfachere Bejahung der Zuständigkeit als bisher angelegt sei, ja daß sie sogar eine Privilegierung von Presseerzeugnissen gegenüber Internetveröffentlichungen darstelle. Ich bin der Meinung, das Gegenteil ist der Fall.
In seiner Entscheidung hat der BGH verschiedene Lösungsmöglichkeiten (Rn. 12-15) diskutiert und, nachdem er sich für das „Kollisionsmodell“ entschieden hat (Rz. 16-20), darunter subsumiert und die deutsche Zuständigkeit bejaht (Rn. 21-24). Der Erörterung des BGH ist aber meines Erachtens zu entnehmen, daß er sie im vorliegenden Fall auch bei einer Subsumtion unter jede der anderen Lösungsmöglichkeiten bejaht hätte. Das einzige ernstzunehmende Konkurrenzmodell ist dasjenige, das parallel zu reinen Presseerzeugnissen an die zielgerichtete Bestimmung des Internetauftritts anknüpft. Und dieses hätte hier zum selben Ergebnis geführt, da der BGH, anders als die Vorinstanzen, als einen tragenden Gesichtspunkt (wenn auch für die Bejahung der Voraussetzungen seines eigenen Lösungsmodells) ausdrücklich ansieht, daß die New York Times „ein international anerkanntes Presseerzeugnis [ist], das einen weltweiten Interessentenkreis ansprechen und erreichen will.“ (Rn. 22). Außerdem legt er dem Umstand Bedeutung bei, daß sich 14.484 Internetnutzer aus Deutschland bei der New York Times registriert haben.
Nach dem „Zielrichtungsmodell“ gäbe es also für einen „New York Times“-Fall in Deutschland eine Zuständigkeit ganz unabhängig davon, ob der Kläger in Deutschland ansässig ist. Dieses Modell als globales gedacht, würde es für einen Streitfall überall eine Zuständigkeit geben, auch etwa in Frankreich oder in Polen. Das „Kollisionsmodell“ ist hingegen entscheidend enger, da es doch im wesentlichen an den Wohnort oder eine ähnliche handfeste Interessenverortung anknüpft.
Was hat das alles mit der örtlichen Zuständigkeit der Amts- und Landgerichte innerhalb Deutschlands zu tun, was hat es mit Buske zu tun? Die internationale Zuständigkeit, über die der BGH geurteilt hat, ist im deutschen Recht nichts anderes als eine Frage der Auslegung der Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit. Der BGH hat nichts anderes gemacht, als § 32 ZPO auszulegen, der ja in erster Linie den Gerichtsstand innerhalb Deutschlands betrifft. Die Ausführungen des BGH gelten deshalb im Ausgangspunkt eins zu eins auch für diese Frage. Jeder Begründungsschritt des BGH kann und sollte so gelesen werden, daß jeweils das Wort „Inland“ durch das Wort „Gerichtsbezirk“ ersetzt wird. Das schließt nicht aus, daß die beiden Konstellationen der örtlichen und internationalen Zuständigkeit in einzelnen Punkten doch auseinanderlaufen, doch in jedem Fall setzt dies eine tragfähige Begründung voraus. Insoweit hat sich etwa das Amtsgericht Berlin-Charlottenburg in seinem ausführlich begründeten Urteil vom 16.11.2010 – 226 C 130/10 – maßgeblich auf das „New York Times“-Urteil des BGH gestützt, als es für die Klage eines bundesweit bekannten Komikers aus Nordrhein-Westfalen gegen ein in Rheinland-Pfalz angesiedeltes Internet-Unternehmen (1&1) wegen einer Internetveröffentlichung keine Zuständigkeit in Charlottenburg erkennen konnte. Eine zutreffende Entscheidung, auch wenn sie leider argumentativ manchmal etwas ins Schlingern gerät, etwa wenn das Gericht sich fragt, ob die BGH-Abgrenzung auf § 32 ZPO übertragbar sei (§ 32 ZPO auf § 32 ZPO übertragbar?).
Besonders bezeichnend ist übrigens, daß im Streitfall vor dem AG Berlin-Charlottenburg die Klägerseite vor der Verneinung der Zuständigkeit ausdrücklich mit dem Argument gewarnt hatte, daß durch eine Übernahme der BGH-Entscheidung eine Privilegierung von Internetinhalten gegenüber Presseerzeugnissen eintreten würde – also genau das Gegenteil von dem, was dem BGH von den oben zitierten Entscheidungsbesprechungen entgegengehalten wurde, die in ihr eine Privilegierung der Presse gegenüber dem Internet sahen.
Es geht ums Ganze
Die BGH-Entscheidung könnte demnach ein entscheidender Schritt in der Eindämmung des ungezügelten fliegenden Gerichtsstands sein. Der Paradigmenwechsel könnte den Punkt darstellen, an dem die Karten in der Frage der örtlichen Zuständigkeit für Presse- und Internetäußerungen gänzlich neu gemischt werden, indem er Anlaß gibt für eine grundlegende Neubesinnung, was Zweck und Reichweite des § 32 ZPO betrifft.
Erinnern wir uns, daß § 32 ZPO seinem knappen Wortlaut nach eine eng gefaßte Ausnahmevorschrift ist. Sie ist von der Rechtsprechung immer weiter ausgedehnt worden, bis die Rechtsprechung nun sagt: „Huch, das ist aber ganz schön weitgehend.“ Dieser Schreck lautet in der Sprache des BGH (Rn. 17) so, daß es bei dem bisherigen weiten Verständnis
„zu einer uferlosen Ausweitung der Gerichtspflichtigkeit des Beklagten [kommt], die den zuständigkeitsrechtlichen Leitprinzipien der Vermeidung beziehungsarmer Gerichtsstände, der Reduzierung konkurrierender Zuständigkeiten und der Vorhersehbarkeit und präventiven Steuerbarkeit der potentiellen Gerichtspflichtigkeit eklatant zuwiderliefe.“
Daß der BGH diese klaren Worte nur bezogen auf ein verworfenes Lösungsmodell beim „Problemfall Internet“ verwendet ohne offen auszusprechen, daß damit für Pressesachen der Ist-Zustand beschrieben wird, ändert nichts an der Eindringlichkeit der Stellungnahme.
In der Tat läßt sich das Problem gar nicht spalten in ein Presseproblem, für das sich eine bewährte und sachgerechte Lösung herausgebildet hätte und in ein Internetproblem, für das die Lösung noch im Werden ist. Nichts ist beim fliegenden Gerichtsstand für Pressesachen bewährt oder sachgerecht. Die Idee vom „Erfolgsort“ einer bundesweit verbreiteten deliktischen Äußerung in jedem Gerichtsbezirk ist nicht und war nie rechtfertigungsfähig. Es handelt sich schlicht um eine juristische Spitzfindigkeit (ähnlich dem Modell einer „juristischen Sekunde“ in anderen Zusammenhängen), die nur soweit eine Berechtigung hat, wie sie notwendig oder nützlich ist. Eine Notwendigkeit oder gar ein Nutzen ist hier aber beim besten Willen nicht nachweisbar. Ausgangspunkt ist doch, daß der Grund für den besonderen Gerichtsstand des § 32 ZPO im Gedanken der Sachnähe liegt, nämlich daß Sachaufklärung und Beweiserhebung jeweils am besten am Tatort erfolgen. Dieser Grund muß auch für jede Form einer erweiternden Auslegung tragfähig sein. Und tragfähig ist § 32 ZPO zwar allemal für das Ergebnis, daß der in seiner Ehre sich verletzt fühlende Kläger an seinem Wohnort klageberechtigt ist, nicht aber daß dies an jedem beliebigen Ort der Fall sein soll, wo durch Verbreitung der Äußerung das Ansehen des Klägers – meßbar oder nicht meßbar – herabgesetzt ist. Denn an diesen Orten kommt doch ernsthaft keine Beweiserhebung in Betracht, die eine Heranrückung des Gerichtsort gerade dorthin zweckdienlich machen würde.
Die Lösung steht im Gesetz
Was bleibt, ist lediglich eine völlig ungerechtfertigte Besserstellung des Klägers im Gefüge der Waffengleichheit und ein gleichsam den Marktgesetzen folgender Wettlauf aller Kläger an den jeweils restriktivsten Gerichtsort. In manchen Köpfen hat sich diesbezüglich eine Pseudorechtfertigung eingenistet, die dahin geht, daß der Kläger als „Opfer“ einer Ehrverletzung ruhig einen gewissen Vorsprung haben dürfte und seine freie Wahl unter vielen (oder hier: allen) Gerichtsständen einen gewissen Ausgleich dafür darstellt, daß ja der Beklagte durch seinen Angriff auf die Ehre „als erster geschossen“ hat. Dies ist ein Zirkelschluß par excellence. Ob es eine Ehrverletzung gab oder nicht, ist eine Frage der Begründetheit der Klage und kann hinsichtlich der Zulässigkeit keinen Ausschlag für einen Vorweg-Bonus geben. Richtig ist zwar, daß für zahlreiche Fragen der Zulässigkeit einer Klage tatsächlich von dem bloßen Vorbringen des Klägers auszugehen ist, weil umgekehrt die Begründetheit einer Klage nicht vor ihrer Zulässigkeit geprüft werden kann. Doch darum geht es hier nicht. Nicht darum, ob das Klägervorbringen im konkreten Einzelfall als richtig zu unterstellen ist, geht es hier, sondern darum, ob auf der Ebene der Gesetzesauslegung die Kläger- und Beklagtenstellung schon als solche ein hinreichendes Element ist, die eine Partei strukturell und systematisch zu bevorzugen. Und das ist sie ganz bestimmt nicht. Wer der „Böse“ im Spiel ist, der Kläger oder der Beklagte, das zeigt erst das Ergebnis des Rechtsstreits. Es kann durchaus der Kläger sein, indem er einen ungerechtfertigten Angriff auf die Presse- und Meinungsfreiheit unternimmt, einen Angriff, der selbst dann wirksam ist, wenn Antrag und Klage abgewiesen werden. Denn der Einschüchterungseffekt und die Bindung von Zeit und Ressourcen werden dadurch nicht oder nur teilweise rückgängig gemacht.
Die Auslegung des § 32 ZPO, die zu der Praxis des fliegenden Gerichtsstands geführt hat, hat keine Berechtigung und hat sie nie gehabt. Dies zu erkennen ist einfach, wenn man nur bereit ist, die Altlasten einer verfehlten Rechtsprechungsentwicklung wegzuräumen. Man sollte hoffen können, daß die Rechtsprechung selbst in der Lage wäre, dies zu tun. Die Norm selbst ist seit jeher unverändert denkbar eng formuliert. Es war die Rechtsprechung, die in diesem Punkt eine völlig unnötige und schädliche Ausweitung vorgenommen hat. Es ist die Rechtsprechung, die sie auch zurücknehmen sollte.
Doch dies ist leider ein unerfüllbarer Wunsch. Denn so vielversprechend die neue Rechtsprechung des BGH ist (siehe auch seinen gleichgelagerten Vorlagebeschluß vom 10.11.2009 – VI ZR 217/08 – an den EuGH zur Auslegung von Art. 5 EuGVVO) – dieser ist machtlos, die Rechtsanwendung hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit zu steuern. § 545 Abs. 2 ZPO schneidet ihm rigoros die Möglichkeit ab, auf dieser Ebene eine Neuausrichtung des Verständnisses von § 32 ZPO auf den Weg zu bringen. Selbst den Berufungsgerichten sind die Hände gebunden, wenn das erstinstanzliche Gericht seine Zuständigkeit bejaht hat (§ 513 Abs. 2 ZPO). Die Amtsgerichte und Landgerichte haben insoweit eine undurchdringliche „Kompetenz-Kompetenz“. Es ist zwar unverkennbar, daß die Instanzgerichte mehr denn je sensibilisiert sind, daß also viel guter Wille da ist. Doch wie viele auch zu einer Auslegungsänderung bereit sind – es ist vergebens, werden doch gerade diejenigen Gerichte, die sich einen Namen gemacht haben als Anlaufstelle für schnell erlangbare Verbote, zu einer Selbstbeschränkung am wenigstens gesinnt sein.
Abhilfe kann deshalb nur der Gesetzgeber schaffen, wozu krasse Auswüchse wie der Regensburger Fall den letzten Ausschlag geben könnten. Hierfür stehen eine kleine und eine große Lösung bereit. Die kleine Lösung könnte darin bestehen, daß er die Entmachtung der Rechtsmittelgerichte punktuell dort zurücknimmt, wo sich die größte Mißbrauchsgefahr gezeigt hat. Er könnte in § 513 Abs. 2 ZPO und § 545 Abs. 2 ZPO eine Rückausnahme aufnehmen („mit Ausnahme des besonderen Gerichtsstands des § 32“) und dadurch den Impuls geben, daß die Rechtsprechung aus eigener Kraft eine konsistente Lösung hervorbringt. Vorzugswürdig wäre jedoch die große Lösung, die schlicht darin besteht, jedenfalls für Äußerungsdelikte selbst eine klare und sachgerechte Zuständigkeitsabgrenzung in § 32 ZPO hineinzuschreiben. Der Aufwand, eine solche zu finden, ist nicht all zu groß: Es genügt schon ein Blick in eine andere große Prozeßordnung. § 7 Abs. 2 StPO bestimmt, daß für strafrechtliche Ehrenschutzklagen mit Pressebezug genau zwei Gerichte zuständig sind: Das, wo die Publikation erschienen ist und das, wo der Kläger wohnt oder sich aufhält.