De legibus-Blog

28. Februar 2011

Vergleichsbefristung erneut beim Bundesarbeitsgericht

Thomas Fuchs

Die bisherige Auslegung der Befristungsgründe nach § 14 Abs. 1 TzBfG durch das Bundesarbeitsgericht wird derzeit, worauf ich bereits vor Kurzem hinwies, stark in Frage gestellt. Das dort geregelte System der Rechtfertigung von Befristungen durch sachliche Gründe muss sich nämlich am Maßstab des § 5 Nr. 1 Buchst. a der Rahmenvereinbarung im Anhang der Richtlinie 1999/70/EG messen lassen. Der zuständige 7. Senat des Bundesarbeitsgerichts selbst stellte deshalb im vierten Quartal des Jahres 2010 mit zwei Vorlagebeschlüssen Fragen zur Auslegung dieser Vorschrift an den Europäischen Gerichtshof. Im ersten Beschluss ging es um die Haushaltsbefristung nach § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 7 TzBfG (BAG, Beschluss vom 27. Oktober 2010 – 7 AZR 485/09 [A]) und im zweiten um die Vertretungsbefristung nach § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 TzBfG (BAG, Beschluss vom 17. November 2010 – 7 AZR 443/09 [A]).

Unter dem Aktenzeichen 7 AZR 734/10 ist inzwischen ein weiterer Rechtsstreit beim Bundesarbeitsgericht anhängig, in dem die Vergleichsbefristung nach § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 8 TzBfG auf dem Prüfstand steht. Streitgegenstand ist ein Vergleich nach § 278 Abs. 6 S. 1 Alt. 1 ZPO. Danach unterbreiten die Parteien dem Gericht einen schriftlichen Vergleichsvorschlag und das Gericht stellt das Zustandekommen und den Inhalt des Vergleichs durch Beschluss fest. Das Arbeitsgericht Zwickau und das Landesarbeitsgericht Chemnitz wiesen die Klage auf Feststellung der Entfristung ab (LAG Chemnitz, Urteil vom 4. November 2011 – 4 Sa 262/10). Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin (Thomas Fuchs, Revisionsbegründung zum BAG vom 26. Februar 2011 – 7 AZR 734/10).

Nach der einschlägigen 50-jährigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts beruht eine Befristung auf einem gerichtlichen Vergleich, wenn ein offener Streit über die Wirksamkeit der Befristung vorliegt (zuletzt BAG, Urteil vom 22. Oktober 2003 – 7 AZR 666/02, Rdnr. 14) und das Gericht beim Zustandekommen des darüber geschlossenen Vergleichs ordnungsgemäß mitwirkt (zuletzt BAG, Urteil vom 23. November 2006 – 6 AZR 394/06, Rdnr. 55). Der Begriff „ordnungsgemäß“ wird dabei rein formal verstanden, weshalb der Befristungsgrund „gerichtlicher Vergleich“ inhaltlich nicht mehr überprüfbar ist.

Der Europäische Gerichtshof kam demgegenüber in den letzten fünf Jahren unter anderem in den Entscheidungen Adeneler, Del Cerro Alonso, Angelidaki und Zentralbetriebsrat der Landeskrankenhäuser Tirols zusammenfassend zu folgendem Ergebnis: § 5 Nr. 1 Buchst. a der Rahmenvereinbarung steht der Verwendung aufeinander folgender befristeter Arbeitsverträge entgegen, die allein damit gerechtfertigt wird, dass sie in einer allgemeinen Rechtsvorschrift eines Mitgliedstaats vorgesehen ist. Vielmehr verlangt der Begriff „sachliche Gründe“, dass der in der nationalen Regelung vorgesehene Rückgriff auf diese besondere Art des Arbeitsverhältnisses durch konkrete Gesichtspunkte gerechtfertigt wird, die vor allem mit den Besonderheiten der betreffenden Tätigkeit und den Bedingungen ihrer Ausübung zusammenhängen.

Die Revision stellt ausgehend davon fest, dass § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 8 TzBfG in der bisherigen Auslegung des Bundesarbeitsgerichts das durch § 5 Nr. 1 Buchst. a der Rahmenvereinbarung festgelegte Ergebnis, den Missbrauch durch aufeinander folgende befristete Arbeitsverträge zu verhindern, nicht erreicht. Eine Befristung, die auf einem gerichtlichen Vergleich nach bisherigem Verständnis beruht, ist nicht durch objektive Faktoren gerechtfertigt, die mit den Besonderheiten der betreffenden Tätigkeit und den Bedingungen ihrer Ausführung zusammenhängen. § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 8 TzBfG lässt aufeinander folgende befristete Arbeitsverträge vielmehr relativ allgemein und abstrakt zu. Zwischen einem bloßen, nicht weiter qualifizierten richterlichen Mitwirken und einer durch Gesetz allgemein und abstrakt zugelassenen Befristung besteht kein erkennbarer Unterschied. Durch die ihnen eigentümliche Heilungsmöglichkeit unwirksamer Befristungen leisten gerichtliche Vergleiche dem allgemeinen Missbrauch befristeter Arbeitsverhältnisse sogar geradezu Vorschub.

Nach von der Revision näher ausgeführter unionsrechtskonformer Auslegung des § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 8 TzBfG ist deshalb eine qualifizierte Mitwirkung des Gerichts zu verlangen. Die Befristung muss das Ergebnis eines gerichtlichen Verfahrens sein. Dieses Verfahren muss gekennzeichnet sein durch

  • den schlüssigen und substanziierten Vortrag der Parteien,
  • die gründliche Aufklärung des Sachverhalts durch gerichtliche Fragen,
  • die erschöpfende Erörterung der Sach- und Rechtslage der Parteien mit dem Gericht,
  • das Erteilen entsprechender rechtlicher Hinweise von Seiten des Gerichts,
  • den auf der vorläufigen Einschätzung der Sach- und Rechtslage beruhenden und gegenüber den Parteien entsprechend begründeten gerichtlichen Vergleichsvorschlag,
  • die intensive vorbeugende Missbrauchskontrolle durch das Gericht und
  • die das Überprüfen dieses Verfahrens (nachträgliche Missbrauchskontrolle) ermöglichende gerichtliche Protokollierung.

Prozessual lassen sich diese materiellen Anforderungen nicht nur ohne Weiteres umsetzen, sondern das arbeitsgerichtliche Verfahren zielt, wie die Revision ebenfalls im Einzelnen darlegt, eigentlich auch geradezu darauf ab.

Dem Landesarbeitsgericht Chemnitz entgingen die Zeichen der Zeit komplett dadurch, dass es in seinem Urteil im Wesentlichen aus einer vier Jahre alten Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Köln abschrieb (LAG Köln, Urteil vom 19. Dezember 2007 – 3 Sa 1123/07; Synopse im Anhang der Revisionsbegründung). Herr Guttenberg lässt grüßen.

Nachtrag, an die Adresse der Bundesagentur für Arbeit: Mit einer Verhandlung ist erst im Jahr 2012 zu rechnen; den Termin werde ich gegebenenfalls im De legibus-Blog bekannt geben.

Zitiervorschlag für diesen Beitrag:
https://blog.delegibus.com/604

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