De legibus-Blog

14. August 2022

Die richterliche Unabhängigkeit zwischen Verfassungswunsch, Rechtskultur und Verfassungswirklichkeit

Carsten Schütz

In Baden-Württemberg wird geprüft, ob gerade ein Sturm im Wasserglas das Potential zum Justizskandal hat: Es geht um die Besetzung des Amtes des Präsidenten des OLG Stuttgart. Um zu verstehen, dass hier entgegen manch schwerer verbaler Geschütze nur politische Peinlichkeiten im Raum stehen, aber keinerlei Unabhängigkeitsproblematik der dritten Gewalt, muss man sich das Verfahren zur Richterbestellung in Baden-Württemberg vergegenwärtigen.

Exekutive Personalherrschaft über die deutsche Justiz

Die Übertragung von Richterämtern (außer bei den Verfassungsgerichten) wird im deutschen Justizsystem durch die Exekutive vorgenommen. Dies steht zwar nicht so ausdrücklich im Grundgesetz, war aber im Parlamentarischen Rat ein derart selbstverständlicher Konsens, dass darüber nicht ernsthaft gesprochen wurde. Vielmehr bedurfte es harter Arbeit, insbesondere für Georg-August Zinn als Vorsitzenden des Ausschusses für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege, um letztlich wenigstens die Option eines Richterwahlausschusses für die Landesrichter in Art. 98 Abs. 4 GG zu verankern.

Die Frage der Richterwahl war 1949 äußerst umstritten und wurde auf der Grundlage eines Vorschlags von Zinn, der sich insoweit stark an der bereits seit 1. Dezember 1946 in Kraft befindlichen Hessischen Verfassung orientierte, diskutiert. Er sah zur vorläufigen und endgültigen Anstellung aller Bundes- und Landesrichter jeweils die gemeinsame Entscheidung der obersten Justizbehörde und eines Richterwahlausschusses vor. Dies verlangten auch die OLG-Präsidenten der Westzonen in ihrer Entschließung am 18. Oktober 1948 und schon zuvor der richterliche Sachverständige des Rechtspflegeausschusses Ruscheweyh in einer Veröffentlichung. Hiergegen formierte sich vor allem bayerischer Widerstand, der durch den CSU-Landtagsabgeordneten Laforet in seiner kompromisslosen, bayerisch-zentrierten Art artikuliert wurde. Er erklärte die Frage der Richterwahl zur „Existenzfrage“ für Bayern und den Vorschlag Zinns als „Bruch der Justizhoheit“. Unterstützung bekam er von Seiten des badischen Justizministers, Abg. Fecht, und dem Abg. Becker, die beide die alleinige Verantwortlichkeit des Justizministers gegenüber dem Parlament für die Einstellung der Richter betonten. Diese würde bei einer Mitbestimmung durch einen Ausschuss verwischt, was undemokratisch sei – das, was die Richterverbände heute als „demokratisch“ fordern, wurde 1949 als das Gegenteil bewertet. Gleiches vertrat der Abg. Thomas Dehler (als Bamberger OLG-Präsident das einzige Mitglied des Parlamentarischen Rates im Statusamt eines Richters, der jedoch ebenfalls keine Justizkarriere hinter sich hatte, sondern zuvor als Anwalt tätig war) im Hauptausschuss, wo der Abg. Katz sodann den Vorschlag der Umwandlung in eine Kann-Vorschrift für die Länder machte, die in der Fassung des Allgemeinen Redaktionsausschusses vom 16. Dezember 1948 letztlich als Art. 98 Abs. 4 GG Gesetz wurde. Demnach sind in den Ländern Richterwahlausschüsse zulässig, die allerdings nur „gemeinsam“ mit dem Landesjustizminister über die Anstellung der Richter entscheiden dürfen. Ohne die Zustimmung des Justizministers dürfen Richterämter nicht übertragen werden.

Gleichzeitig ist in den Ländern durch § 75 des Deutschen Richtergesetzes (DRiG) die Beteiligung des so genannten „Präsidialrats“ als „Richtervertretung“ immer dann vorgeschrieben, wenn ein Richteramt oberhalb des Eingangsamtes übertragen werden soll. Dabei ist gem. § 74 DRiG für jeden Gerichtszweig ein Präsidialrat zu bilden, der aus dem Präsidenten eines Gerichts als Vorsitzendem und aus Richtern besteht, von denen mindestens die Hälfte durch die Richter zu wählen sind.

Baden-Württembergische Sonderheiten (wie sie eigentlich sein sollten)

In Umsetzung dieser Vorgaben werden gem. § 34 Abs. 1 des Landesrichter- und -staatsanwaltsgesetzes (LRiStAG) alle neun Mitglieder des Präsidialrats der ordentlichen Gerichtsbarkeit durch deren gesamte Richterschaft gewählt. Der Präsidialrat ist gem. § 32 Abs. 1 Nr. 3 LRiStAG zu beteiligen bei der „Übertragung eines Richteramts mit höherem Endgrundgehalt als dem eines Eingangsamts an einem Gericht“, also auch bei der Auswahl eines OLG-Präsidenten.

Sodann findet sich in § 43 Abs. 4 – 6 LRiStAG ein in der Bundesrepublik singuläres, gestuftes System der Mitwirkung bzw. Personalauswahl:

(4) In den Fällen des § 32 Absatz 1 Nummer 1 bis 3 sind dem Präsidialrat die Bewerbungen aller Bewerber mitzuteilen sowie die Teildatenbestände für dienstliche Beurteilungen, mit Zustimmung der Bewerber auch ihre vollständigen Personalaktendaten, ferner die von der obersten Dienstbehörde etwa eingeholten Besetzungsvorschläge zu übermitteln. Satz 1 gilt auch bei einer Versetzung (§ 32 Absatz 1 Nummer 4), wenn die Vorauswahlentscheidung nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung getroffen wurde. Der Präsidialrat gibt eine schriftlich oder elektronisch begründete Stellungnahme über die persönliche und fachliche Eignung des Bewerbers ab, den die oberste Dienstbehörde ernennen oder zur Ernennung vorschlagen will. Er kann auch zu anderen Bewerbern Stellung nehmen und im Rahmen der Bewerbungen Gegenvorschläge machen.

(5) Spricht sich der Präsidialrat in seiner Stellungnahme gegen die von der obersten Dienstbehörde beabsichtigte Maßnahme aus und erklärt sich diese nicht bereit, einem etwaigen Gegenvorschlag des Präsidialrats zu folgen, so ist die Angelegenheit zwischen dem für den Gerichtszweig zuständigen Minister oder seinem ständigen Vertreter und dem Präsidialrat mit dem Ziel einer Einigung mündlich zu erörtern. Die Einigungsverhandlung soll innerhalb eines Monats nach dem Eingang der Stellungnahme des Präsidialrats stattfinden.

(6) Führt die mündliche Erörterung nach Absatz 5 zu keiner Einigung, so entscheidet über die Berufung in ein Richteramt (Anstellung, Übertragung eines Richteramts mit höherem Endgrundgehalt als dem eines Eingangsamts) sowie über eine Versetzung, mit Ausnahme der Versetzung im Interesse der Rechtspflege (§ 31 des Deutschen Richtergesetzes) und der Versetzung wegen Veränderung der Gerichtsorganisation (§ 32 des Deutschen Richtergesetzes) der zuständige Minister gemeinsam mit einem Richterwahlausschuss. Die Entscheidung des Richterwahlausschusses ist unverzüglich herbeizuführen.

Zunächst entscheidet sich also das Justizministerium für einen der Bewerber, zu dem dann der Präsidialrat eine Stellungnahme betreffend die persönliche und fachliche Eignung abgibt. Ihm ist zudem ausdrücklich erlaubt, auch zu nicht vom Ministerium ausgewählten Bewerbern seine Auffassung zu äußern und aus dem Kreis der Bewerber „Gegenvorschläge“ zu der gefällten Personalentscheidung zu machen (§ 43 Abs. 4 S. 4 LRiStAG).

Sind sich Minister und Präsidialrat einig, kommt es zur Ernennung. Macht der Präsidialrat einen Gegenvorschlag, den das Ministerium akzeptiert, so kann dieser Bewerber ernannt werden. Andernfalls ist der Dissens in einem Einigungsgespräch zwischen Minister und Präsidialrat zu erörtern (§ 43 Abs. 5 LRiStAG). Kommt es hier zu einer Einigung, folgt die Ernennung.

Erst wenn es auch hier bei einem Dissens bleibt, entsteht die Entscheidungskompetenz des Richterwahlausschusses gem. § 43 Abs. 6 LRiStAG, der dann gemäß den Vorgaben in Art. 98 Abs. 4 GG gemeinsam mit dem Justizminister entscheidet. Dies erfolgt erneut in einem mehrstufigen Verfahren. Die Ministerin hat das primäre Vorschlagsrecht für die Personalauswahl; zur Zustimmung für den vorgeschlagenen Bewerber ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit erforderlich, § 58 Abs. 3 LRiStAG; wird diese Mehrheit nicht erreicht, ist der Richterwahlausschuss ausdrücklich berechtigt, einen anderen Bewerber (mit Zwei-Drittel-Mehrheit) zu wählen (§ 58 Abs. 2 S. 2 LRiStAG).

Ergibt sich ein Konsens von Ministerin und Richterwahlausschuss, entweder weil der Wahlausschuss dem Ministervorschlag gefolgt ist oder die Ministerin der davon abweichenden Wahl doch zustimmt, so hat sie gem. § 61 Abs. 1 LRiStAG die „weiteren Maßnahmen“ zu treffen, also die Ernennung vorzunehmen. Findet kein Bewerber die qualifizierte Mehrheit im Wahlausschuss oder lehnt die Ministerin die Ernennung des vom Richterwahlausschuss mit qualifizierter Mehrheit gewählten Bewerbers ab, so beginnt das Ernennungsverfahren gem. § 61 Abs. 2 LRiStAG von vorn, indem die Ministerin dem Präsidialrat einen neuen Vorschlag unterbreitet oder die Stelle gänzlich neu ausschreibt.

Wichtig ist noch zu wissen, dass der Richterwahlausschuss aus acht Richtern, die allein von den Richtern im Landesdienst gewählt werden, sechs vom Landtag aus seiner Mitte zu wählenden Abgeordneten und einem ebenfalls vom Landtag auf Vorschlag der Rechtsanwaltskammer zu wählenden Rechtsanwalt – insgesamt also 15 Personen – besteht, wobei die richterlichen Mitglieder die Mehrheit bilden und ihre Legitimation allein von den baden-württembergischen Richtern ableiten, diese also nicht bzw. sehr mittelbar auf das Volk zurückführbar ist. Die Ministerin ist Vorsitzende des Richterwahlausschusses, besitzt aber kein Stimmrecht (§§ 46 bis 48, 50 LRiStAG).

Insgesamt kann man dieses System von checks and balances durchaus als gewaltenteilungsspezifisch gelungen, wenn nicht gar vorbildlich bezeichnen. Die Gewalten als solche – zunächst die Exekutive (Ministerin) und die Judikative (Präsidialrat), im Richterwahlausschuss hinzutretend die Legislative – müssen zusammenwirken und keine Staatsgewalt kann „seine“ Entscheidung ohne die andere(n) durchsetzen.

Baden-württembergische Sonderlichkeiten (wie sie sind)

Die aktuelle Justizposse spielt nun in dem Verfahrensstadium nach dem Einigungsgespräch zwischen Ministerin Marion Gentges (CDU) und Präsidialrat (§ 43 Abs. 4 LRiStAG), der die von der Ministerin als künftige OLG-Präsidentin vorschlagene Ministeriums-Abteilungsleiterin Beate Linkenheil abgelehnt und statt ihrer gem. § 43 Abs. 4 S. 4 LRiStAG einen Gegenvorschlag aus dem Bewerberfeld gemacht hat, nämlich den Stuttgarter LG-Präsidenten Andreas Singer. Nun stünde „eigentlich“ die Entscheidung des Richterwahlausschusses an, dessen Entscheidung „unverzüglich“ durch seine Vorsitzende, also die Ministerin (§ 46 Abs. 2 LRiStAG), herbeigeführt werden müsste. Die fällt aber erstmal aus, weil die Ministerin gegen den Präsidialrat vor dem VG Stuttgart vorgeht und ihm vorwirft, mit dem Gegenvorschlag seine Kompetenzen überschritten zu haben; er sei verpflichtet, ihrem Vorschlag zu folgen. Es ist also eine Art Organstreit vom Zaun gebrochen worden. Basis dafür bildet § 19 LRiStAG, der „Rechtsstreitigkeiten aus der (…) Tätigkeit der Richtervertretungen“ (deklaratorisch) den Verwaltungsgerichten zuweist und dafür „die Vorschriften des Arbeitsgerichtsgesetzes über das Beschlussverfahren“ für entsprechend anwendbar erklärt. Im ersten Moment klingt diese Rechtsweg- und Verfahrensrechtszuweisung etwas überraschend für den vorliegenden Fall. Zudem war eine Feststellungsklage spezifisch für das Beteiligungsverfahren der Präsidialräte im ursprünglichen Entwurf des LRiStAG vorgesehen. Doch erklärte Gentges Amtsvorgänger Stickelberger in einem Schreiben an alle Richter des Landes vom 8. Januar 2013, dass er diesen Vorschlag wegen der verbreiteten Kritik nicht weiterverfolgen werde. Dies nährt zumindest eine historische Auslegung, die gegen die Justitiabilität der Stellungnahmen des Präsidialrats spricht. Allerdings dürfte die doch sehr weite Fassung des § 19 Abs. 1 LRiStAG eine Subsumtion des vorliegenden Streits unter diese Norm zulassen.Dies ist für sich schon ein Vorgang, der – euphemistisch formuliert – Verwunderung auslöst. Wir alle wissen auch ohne Bernd Rüthers, dass die Auslegung grundsätzlich unbegrenzt ist. Wie man allerdings in Bezug auf die Kompetenzen des Präsidialrats den Satz in § 43 Abs. 4 S. 4 LRiStAG:

„Er kann auch zu anderen Bewerbern Stellung nehmen und im Rahmen der Bewerbungen Gegenvorschläge machen.“

einer Auslegung zugänglich machen kann, die einen Gegenvorschlag des Präsidialrats als Kompetenzüberschreitung darstellt, bedarf doch reichlich Phantasie. Oder plastisch formuliert: Wie kann man auf so eine Idee kommen?!

Auskunft gibt die Antwort von Justizministerin Gentges vom 19. Juli 2022 auf einen Berichtsantrag des Landtags (LT-Drs. 17/2769). Hiernach macht sie folgendes geltend:

  1. Die Entscheidungskompetenz des Richterwahlausschusses sei nur dann eröffnet, „wenn das vorgelagerte personalvertretungsrechtliche Beteiligungsverfahren rechtmäßig durchgeführt wurde“, was hier nicht der Fall sei, da der Präsidialrat seine Befugnisse überschritten habe. Er haben nämlich nicht nur die Auswahlentscheidung des Ministeriums „kontrolliert“, sondern habe eine eigenständige Beurteilung der Bewerber vorgenommen. Die Einberufung des Richterwahlausschusses zum jetzigen Zeitpunkt sei daher rechtswidrig.
    Unter Berufung auf die Gesetzesbindung der Verwaltung aus Art. 20 Abs. 3 GG leitet sie das Recht ab, die Tätigkeit des Präsidialrats gerichtlich kontrollieren zu lassen. Gleichzeitig macht sie sich zur Sachwalterin „ihrer“ ausgewählten Bewerberin, deren Anspruch „auf ein rechtmäßiges Bewerbungs- und Auswahlverfahren sowie auf Zugang zum angestrebten Amt ausschließlich am Maßstab von Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung aus Art. 33 Abs. 2 i. V. m. Art. 19 Abs. 4 GG“. Sei erst einmal die Entscheidungskompetenz des Richterwahlausschusses eröffnet, komme eine wirksame verwaltungsgerichtliche Kontrolle nicht mehr in Betracht, da dieser seine geheime Entscheidung nicht zu begründen brauche.
     
  2. Die Beschränkung auf eine bloße „Kontrollfunktion“ des Präsidialrats anstelle eines Auswahlermessens leitet die Ministerin auf §§ 32 Abs. 1, 43 Abs. 1, 4 LRiStAG ab und beruft sich insoweit auf eine Entscheidung des auch nun letztinstanzlich zuständigen VGH Baden-Württemberg vom 1. Juni 2012 – 4 S 472/12 -, in der dem Präsidialrat „eine Kontrollfunktion, aber kein eigenes Auswahlermessen“ zugesprochen wird. Letztlich dürfe der Präsidialrat der Ernennung der ministeriellen Kandidatin nur widersprechen, wenn die Auswahlentscheidung rechtswidrig sein, weil „aus unsachlichen Gründen“ getroffen.
    Dahinter stehe das „Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip“ in Gestalt der Regierungsverantwortung für Personalentscheidungen. Dagegen fehle dem Präsidialrat die Parlamentsverantwortlichkeit, was seiner Entscheidungsgewalt Grenzen setze, so dass die Verantwortlichkeit der Regierung „keine substantielle Einschränkung erfahren“ dürfe. Der Präsidialrat dürfe daher nur eine Stellungnahme mit dem „Charakter einer Empfehlung an die zuständige Dienstbehörde“ abgeben. Gleichwohl soll der Präsidialrat aber die Entscheidung auf „Rechtsfehler“ kontrollieren dürfen.

Das klingt heroisch: Die Justizministerin als Verteidigerin von Demokratie, Rechtsstaat und des grundrechtsgleichen Rechts aus Art. 33 Abs. 2 GG gegen die Feinde dieser Prinzipien in Robe. Im Ausgangspunkt hat sie gar nicht mal Unrecht, wie oben bereits dargelegt worden ist. Ihr badischer Vorgänger und Mitglied des Parlamentarischen Rates, Fecht, wird sicher gemeinsam mit manchem Münchener im Himmel „frohlocken“. Dennoch werden hier nur potemkinsche Dörfer errichtet, die mit hochtragend verfassungsrechtlichen Fassaden die Missachtung des einfachen Rechts des LRiStAG verdecken sollen.

Natürlich entspricht es den Vorgaben des Grundgesetzes, dass ohne die Zustimmung eines Ministers kein Mensch in eine deutsches Richteramt außerhalb der Verfassungsgerichte kommen darf. Dies ist Ausdruck ebenjener Parlamentsverantwortlichkeit der Regierung – so jedenfalls die noch herrschende Auffassung der deutschen Staatsrechtslehre, die insoweit auch in Art. 95 Abs. 2, 98 Abs. 4 GG ihren Niederschlag gefunden hat. Daraus folgt aber, anders als die Ministerin insinuiert, nicht, dass jeder Mensch, den eine Ministerin aussucht, deshalb auch zwingend gegen jedes gesetzliche Beteiligungsrecht anderer Gewalten bei der Ämterbesetzung durchsetzbar sein muss. Vielmehr steht es dem Landesgesetzgeber frei, Blockadenmöglichkeiten zu normieren. Dieser Umstand verweist die vorliegende Problematik von der verfassungsrechtlichen auf die einfachgesetzliche Ebene. Es geht also nicht um die hehre Verfassungsprinzipien, die die Minsterin zu verteidigen meint, sondern um schlichte Gesetzesauslegung. Und diese gibt nichts her für die ministerielle Sichtweise. Denn wenn die Position der Ministerin zutreffend wäre, würde das baden-württembergische Richterernennungssystem sinnlos. Die Ministerin verteidigt daher nicht die Verfassung, sondern missachtet ihre Gesetzesbindung.

Nimmt man die Ministerin beim Wort, so soll der Präsidialrat ein bloßes „Kontrollgremium“ sein, das nur „Ausreißer“ des Ministeriums verhindern darf, wenn es aus „unsachlichen Gründen“ eine Person ausgewählt hat. Leider findet sich dazu nichts im Gesetzeswortlaut. Sie zitiert dazu aus einer Entscheidung des BVerwG vom 11. Februar 1981 – 6 P 44.79 – zum Persionalvertretungsrecht, die sich auf § 82 Nr. 1 des baden-württembergischen Landespersonalvertretungsgesetzes in der damaligen Fassung bezog und der ausdrücklich eine Verweigerung nur bei Gesetzesverstößen (u. ä.) vorsah. Solches findet sich gerade nicht in § 43 Abs. 4 LRiStAG, vielmehr ist der Präsidialrat (nur) verpflichtet, eine Stellungnahme zu der „die persönliche und fachliche Eignung“ des von dem Minister vorgeschlagenen Bewebers abzugeben. Ausdrücklich wird er auch ermächtigt, zu allen anderen Bewerbern ebenfalls Stellung zu nehmen und: Er darf „Gegenvorschläge“ machen. Diese Ermächtigung des Gesetzgebers hat die Ministerin zu respektieren, denn auch sie ist an das Gesetz gebunden (Art. 20 Abs. 3 GG). Die Ministerin meint nun aber offensichtlich, dass ein solches Gegenvorschlagsrecht nur dann bestehe, wenn ihr Vorschlag aus „unsachlichen Gründen“ erfolgt sei, sprich: sie nach Auffassung des Präsidialrats eine grob rechtswidrige Auswahlentscheidung getroffen hat. Woraus sich das ableiten soll, bleibt unerfindlich; so wird in dem Bericht an den Landtag die Kompetenz zu „Gegenvorschlägen“ auch an keiner Stelle thematisiert. Sie übersieht auch, dass zwischen der Beteiligung eines Personalrats und derjenigen eines Präsidialrats, auch wenn er als Richtervertretung kreiert ist, ein deutlicher Unterschied besteht: Mit dem Präsidialrat treten gerade auch Gewaltenteilungsaspekte hinzutreten, nicht nur soziale Angelegenheiten, wie sie durch die Richterräte vertreten werden. Die Präsidialräte repräsentieren bei der Personalauswahl (auch) die dritte Gewalt des jeweiligen Gerichtszweigs. Daher ist das, was für Personalräte gilt, noch lange nicht auf Präsidialräte übertragbar.

Auch findet sich eine doch sehr einseitige Interpretation des von der Ministerin zitierten Beschlusses des VGH Baden-Württemberg vom 1. Juni 2012 – 4 S 472/12. Richtig ist, dass sich hier (Rn. 18) die zitierte Formulierung findet, dass der Präsidialrat

„eine Kontrollfunktion, aber kein eigenes Auswahlermessen“

habe; in der selben Randnummer wird aber auch klargestellt, dass selbst im Stadium der Mitwirkung des Richterwahlausschusses dem Minister kein „Letztentscheidungsrecht“ zustehe. Noch fundementaler gegen die Ministerin aber schreibt der VGH in Rn. 12 seiner Entscheidung:

„Die Beteiligung des Präsidialrats ist zwingend; eine ablehnende Haltung des Präsidialrats kann nicht über seine Nichtbeteiligung oder die Feststellung, seine Stellungnahme sei unbeachtlich, überwunden werden, sondern nur auf dem gesetzlich vorgesehenen Weg, wobei die Regelung in § 43 Abs. 4 und 5 LRiG zeigt, dass eine Personalmaßnahme gegen den Präsidialrat nicht durchsetzbar ist (…).“

Genau die Feststellung der Unbeachtlichkeit der Stellungnahme des Präsidialrats begehrt nun die Ministerin; sie will dessen „ablehnende Haltung“ überwinden und zwar außerhalb des „gesetzliche vorgesehenen“ Weges über den Richterwahlausschuss nach gescheitertem Einigungsgespräch. Wie auch immer die Verneinung eines „Auswahlermessens“ gemeint sein soll: Es kann nicht bedeuten, dass der Präsidialrat keinen Bewerber als besser geeignet einstufen darf, denn ansonsten machte das Gegenvorschlagsrecht keinen Sinn. Was soll ein Gegenvorschlag bringen, der am Maßstab des Art. 33 Abs. 2 GG von vornherein scheitern muss? Natürlich muss daher auch der Präsidialrat für sich eine Auswahlentscheidung treffen, die dann in einen Gegenvorschlag münden kann – ebenso selbstverständlich ist das dann kein Auswahlermessen, wie es dem Minister zusteht.

Zentral steht aber ungeachtet all dessen die Frage im Raum: Was soll das?

Letztlich macht die Ministerin einen Anspruch auf Zustimmung zu ihrem Personalvorschlag geltend. Das ist schlicht ausgeschlossen und würde die Beteiligung des Präsidialrats grundsätzlich überflüssig machen. Mit Recht nennt daher Fabian Wittreck, Uni Münster, die Argumentation des Ministeriums „aberwitzig“. Das muss auch der Ministerin einleuchten.

Aber was will die dann Ministerin damit erreichen? Oder vielleicht eher die hinter ihr stehenden Spitzenbeamten? Selbst wenn der Gegenvorschlag gegen jede Wahrscheinlichkeit isoliert als rechtswidrig eingestuft würde, fehlt es an der Zustimmung des Präsidialrats und wäre die Kompetenz des Reichterwahlausschusses aktiviert. Dessen Wahlfreiheit ist in keiner Weise von einem (rechtmäßigen) Gegenvorschlag des Präsidialrats abhängig; vielmehr kann er gem. § 58 Abs. 1, 2 LRiStAG aus allen Bewerbern einen Kandidaten wählen, also auch einen solchen, den weder Ministerin noch Präsidialrat favorisiert haben.

Baden-Württembergische Reaktionen – wie sie „eigentlich“ geboten wären

Der auf diese Weise vor Gericht gezerrte Präsidialrat wird sicher mit Kopfschütteln reagieren, dürfte aber gelassen bleiben. „Angepiekst“ sind nachvollziehbar auch die Richterverbände, weil das von ihnen bestückte Organ Präsidialrat düpiert und sinnlos vor Gericht gezerrt wird. Primär wäre es aber geboten, schlicht den politischen Affront zu benennen und die Peinlichkeit des ministeriellen Vorgehens dem allgemeinen Schmunzeln preiszugeben. Jeder blamiert sich eben, so gut er kann.

Baden-Württembergische Reaktionen – wie sie sind

Doch sowohl die Neue Richtervereinigung (NRV) und noch mehr der Richterbund (DRB) haben schweres Geschütz aufgefahren: Sie sehen einen Verfassungsbruch. Die richterliche Unabhängigkeit ist mit Füßen getreten worden. Das ist – letztlich – völlig übertrieben und kann im Kern nur mit einem Grundproblem deutscher Richterbefindlichkeit erklärt werden: Was richterliche Unabhängigkeit bedeutet, ist irgendwie ein Gefühl; eine Subsumtion unter Art. 97 Abs. 1 GG, Art. 65 Abs. 2 Verf BW findet regelmäßig nicht statt – wobei dies nicht nur die richterliche Sichtweise betrifft. Daran krankte auch bis zuletzt die Bewertung der Causa Schulte-Kellinghaus, ein baden-württembergisches Justizdrama mit Alleinstellungsmerkmal, das im Gegensatz zu dem jetzigen Vorgang ein wirklicher Justizskandal ist, zu dem aber insbesondere seitens des DRB keine auch nur im Ansatz vergleichbare Kritik zu vernehmen war. Das Gefühl stand dem wohl entgegen.

In seiner Pressemitteilung vom 27. Juni 2022 konstatiert der DRB Baden-Württemberg „in großem Umfang Fassungslosigkeit und Empörung“ in der Richterschaft, die entsetzt sei „über diesen Angriff auf die Gewaltenteilung und die Unabhängigkeit der Justiz“. Die baden-württembergischen Präsidialratsverfassung vereine „die unabhängige Stellung der Justiz im System der Gewaltenteilung mit dem Prinzip der demokratischen Legitimation durch die Beteiligung von Präsidialrat und Richterwahlausschuss“. Die nunmehr gewählte Vorgehensweise stelle „einen empfindlichen Rückschlag für die institutionelle Unabhängigkeit der baden-württembergischen Justiz von der Exekutive dar“. Starker Tobak!

Mit Recht zurückhaltender formuliert die NRW Baden-Württemberg in ihrer Pressemitteilung vom 28. Juni 2022 „Verwunderung“ und leichtes „Befremden“. Der Präsidialrat sei „das von der Richterschaft demokratisch gewählte Gremium, das die Exekutive bei der Besetzung von Richterstellen kontrollieren und verhindern soll, dass politisch genehmes und nicht hinreichend qualifiziertes Personal Karriere in der Justizhierarchie macht“. Das verzweifelte Vorgehen der Ministerin beruhe auf ihren geringen Erfolgsaussichten im Richterwahlausschuss, die aufgrund „der Stimmenverteilung und der politisch pluralen Besetzung (…) im Vergleich zum Ministerium“ zu prognostizieren seien.

Letzteres dürfte eine treffende Analyse der Handlungsmotive sein. Aber stehen dahinter auch rechtliche Implikationen?

Gefühlte Unabhängigkeit von heute

Was hat das alles mit richterlicher Unabhängigkeit zu tun? Wenig. Mit Gewaltenteilung? Schon gar nichts.

Die Gewaltenteilung in der Bundesrepublik hat jenseits ihrer konkreten Ausprägungen keine eigenständige Bedeutung erlangt. Sie existiert „nur“ als Prinzip, wie es in Art. 20 Abs. 2 GG plastisch formuliert wird. Praktisch hat sie als solche keine Relevanz in Gestalt von über die Konkretisierungen hinausgehender Rechtsfolgen erhalten. Dies gilt gerade für die Rechtsprechung, werden doch insbesondere Art. 92 und 97 GG als konkretisierender Ausdruck der Gewaltenteilung und demzufolge die richterliche Unabhängigkeit als in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG ebenfalls gewährleistet angesehen. Darin liegt ein sprachlicher »Kunstgriff«“ des Bundesverfassungsgerichts in Form der Gleichsetzung von Rechtsprechung, Unabhängigkeit und Gewaltenteilung (so Michael Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, 1997, S. 81 f.) hat, der jeden eigenständigen Gehalt des Gewaltenteilungsprinzips gegenüber Art. 97 GG von vornherein ausgeschaltet hat. Einerseits konnte sich so keine weitergehende Dogmatik entwickeln, die der Exekutive über die individuelle Unabhängigkeit des Richters hinaus Beschränkungen gegenüber der rechtsprechenden Gewalt als solcher auferlegt. Andererseits geriet die Funktion der Gewaltenteilung in Gestalt der gegenseitigen Kontrolle der Gewalten völlig aus dem Fokus. Letzteres führte dazu, dass heute allzu unreflektiert und jederzeit die Kontrolle von Richtern durch eine exekutive Dienstaufsicht als Verstoß gegen die Gewaltenteilung und nicht als deren Folge bewertet wird. Aber gerade vor dem Hintergrund des Verhältnisses von Art. 92, 97 GG als Konkretisierung des (allgemeinen) Prinzips der Gewaltenteilung muss klar werden, dass letzteres als Argument für die Unabhängigkeit der Gerichte und Richter nur sehr begrenzt tauglich ist, da es ihnen aus dogmatischen Gründen nicht mehr Unabhängigkeit verschaffen kann als seine Konkretisierungen. Denn die Gewaltenteilung ist im Grundgesetz „nicht rein verwirklicht“ (BVerfGE 34, 52 [59]) und hat unbeschadet ihrer Rationalisierungs- und Schutzfunktion hinsichtlich der Ausübung der Staatsgewalt auch eine Mäßigungs-, allem voran aber eine zwischen den Staatsorganen gegenseitig wirkende Kontrollfunktion (BVerfGE 7, 183 [188]; 9, 268 (279 f.); 67, 100 [130]; 95, 1 [15]). Nicht absolute Trennung gilt nach dem Gewaltenteilungsprinzip für die Rechtsprechung, sondern grundsätzlich das Gebot der „Kontrolle, Hemmung und Mäßigung“ durch Legislative und Exekutive mittels „Gewaltenverschränkung und -balancierung“ (BVerfGE 34, 52 [59]).

Wenn sodann Art. 92, 97 GG den Trennungscharakter hinsichtlich der Rechtsprechung betonen, besitzen sie zwar hinsichtlich Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG konkretisierende Wirkung mit dem typischen Vorrang einer lex specialis. Dies erfolgt jedoch nicht in einem das Gewaltenteilungsprinzip als Ganzes vertiefenden und spezifizierenden Sinne, sondern geradezu als (Teil-)Ausnahme, indem die Mäßigungs- und Kontrollwirkungen der Gewaltenteilung ein Stück weit zurückgenommen und sogar aufgehoben werden. Nicht nur sind infolge Art. 92, 97 GG Akte der Rechtsprechung durch die beiden anderen staatlichen Gewalten ausgeschlossen, sondern auch deren Abänderung oder gar Kassation durch Organe der Exekutive oder Legislative wäre ausnahmslos verfassungswidrig (faktische Missachtung dieses Fundamentalgrundsatzes aber durch das „Gesetz zur strafrechtlichen Rehabilitierung der nach dem 8. Mai 1945 wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen verurteilten Personen“ [BGBl. I 2017, S. 2443]). Die als selbstverständlich wahrgenommeine Alltagstätigkeit jedes Verwaltungs- oder (in natürlich beschränkterem Maße) Verfassungsrichters, nämlich die Aufhebung von Akten einer anderen Gewalt (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO; § 78 BVerfGG), kommt in umgekehrter Richtung von Verfassungs wegen nicht in Betracht. Denn eine laufende oder repressive „Kontrolle“ des nach Art. 92, 97 GG unabhängigen Handelns der Judikative im Rahmen der Gewaltenteilung existiert nicht; lediglich präventiv kann der Gesetzgeber durch Legislativakt die Rechtsprechung zu steuern und eine Entscheidung contra oder praeter legem zu verhindern versuchen, weil der Richter an das Gesetz gebunden ist (zum wiederholten Scheitern dieses Versuchs etwa im Krankenhausvergütungsrecht siehe schon: Law Wars Episode III: Der Gesetzgeber schlägt zurück). Mit der Verkündung im Gesetz- und Verordnungsblatt endet jedoch diese einzige Form der Kontrolle, und die richterliche Gewalt wird, wenn überhaupt, nur noch innerhalb ihrer selbst kontrolliert; insofern ist die Kontrollkomponente der Gewaltenteilung aufgehoben, weil eine Intergewaltenkontrolle nicht (mehr) stattfinden kann. Dies gilt nicht nur in sachlicher, sondern gem. Art. 97 Abs. 2 GG auch in personeller Hinsicht jedenfalls für Richter auf (Lebens-)Zeit, die nur durch Judika­tiv­akt von der Rechtsprechung ausgeschlossen werden können. Denn das letzte Wort über das, „was im konkreten Fall rechtens ist“, hat immer ein Richter (BVerfGE 103, 111 [137]).

Die richterliche Unabhängigkeit ist damit zwar einerseits Ausdruck der Gewaltenteilung hinsichtlich der Trennung der Gewalten, indem die personalen Träger der anderen Gewalten – freilich mit der nicht ungewichtigen Ausnahme der Gerichtsverwaltung – von der Ausübung der Rechtsprechungsfunktion ausgeschlossen werden. Sie steht aber gleichzeitig in Widerspruch zur Gewaltenteilung, soweit diese eine Kontrolle der Gewalten bezweckt. Damit verliert der Verweis auf das Prinzip der Gewaltenteilung als Argument für die (Vergrößerung der) Unabhängigkeit der Richter, aber auch der Gerichte, fast jede Überzeugungskraft, weil der Unabhängigkeitsaspekt nur einen Teil des Gesamtprinzips betrifft. Die Gewaltenteilung als Strukturprinzip des Rechtsstaats lässt sich aber auch für die Rechtsprechung nicht im Sinne der „Rosinentheorie“ verwerten. Wer Gewaltenteilung sagt, muss auch für die Judikative gegenseitige Kontrolle der Gewalten wollen. Mit Art. 92, 97 GG wird durchaus in besonderem Maße die Funktion der Gewaltentrennung für die Rechtsprechung betont, nur ist dies eben nicht (schon) dem Gewaltenteilungsprinzip immanent. Zwar besitzt die Garantie der richterlichen Unabhängigkeit in Art. 97 GG teilweise nur deklaratorischen Charakter. Dies gilt aber nicht hinsichtlich ihres Kontrollausschlusscharakters gegenüber Legislative und Exekutive außerhalb der Gesetzesform. Dieser folgt noch nicht aus dem Wortlaut des Art. 20 GG, sondern ist erst Ausdruck der leges speciales im IX. Abschnitt des Grundgesetzes. Daher kann die Gewaltenteilung als Prinzip den Richtern wie den Gerichten nicht mehr Unabhängigkeit geben, als ihnen nach Art. 92 und 97 GG zukommt. Rechtsfolgen zugunsten judikativer Unabhängigkeit, die sich nicht aus diesen Konkretisierungen herleiten lassen, können demnach auch nicht aus dem übergeordneten Prinzip gewonnen werden, sofern es überhaupt als solches existiert. Trefflich formuliert daher Horst Dreier (Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, 1991, S. 175): „Das Gewaltenteilungsprinzip ist dem Grundgesetz unbekannt.“ (Hervorh. im Original).

Daher ist das, was die Richterverbände wollen, seinerseits vor dem Hintergrund der Gewaltenteilung de lege lata ohne verfassungsrechtliches Fundament. Sie wollen, dass sich die Dritte Gewalt per Kooptation weithin selbst ergänzt. Da aber dann, wenn ein Richter einmal im Amt ist, keine der anderen Gewalten mehr seine Entscheidung beeinflussen kann, ist eine Kontrolle der rechtsprechenden Gewalt nach der Ernennung ausgeschlossen. Wenn es also überhaupt eine Kontrolle der Rechtsprechung durch eine andere Gewalt geben kann – und diese gegenseitige Kontrolle ist Wesenskern des Gewaltenteilungsprinzips –, dann bei der Ernennung.

Vor diesem Hintergrund ist auch der verwendete Demokratiebegriff äußerst problematisch. So wird die Beteiligung von Präsidialrat und Richterwahlausschuss gern als Vermittlung demokratischer Legitimation interpretiert. Dies ist aber ungeachtet einer (auch) ansonsten unspezifisch verwendeten Demokratie-Begrifflichkeit (z.B. „innerbetriebliche Demokratie“) in dem hier entscheidenden Bereich des Staatstheoretischen unzutreffend. Zwar werden die richterlichen Mitglieder des Richterwahlausschusses und der gesamte Präsidialrat nach dem Mehrheitsprinzip bestimmt, das ein Wesensmerkmal des Demokratieprinzips darstellt (plakativ: Art. 2 Abs. 2 S. 2 der Bayerischen Verfassung). Aber nicht überall, wie Mehrheitsabstimmungen stattfinden, ist auch die Demokratie zu Hause. Denn sie meint nicht die Herrschaft irgendeiner Mehrheit, sondern der des Volkes. Die Richter sind aber eine Gruppe und Staatsorganen und nicht das Volk. Mit dem Präsidialrat wird also Staatsorgan-Legitimation vermittelt, nicht die des Volkes und damit auch keine „demokratische“. Dasselbe gilt in Baden-Württemberg auch für den Richterwahlausschuss, der Mehrheitlich von den Richtern und damit nicht „vom Volk“ besetzt ist. Und die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit für seine Wahlentscheidungen ist nur mit Hilfe richterlicher Stimmen zu erreichen; die für die Richterwahl wirklich demokratisch legitimierten Mitglieder (sechs Landtagsabgeordnete und ein ebenfalls vom Landtag gewählter Rechtsanwalt) können mangels entsprechender Mehrheiten allein keine Legitimation vermitteln. Daher hat der unter den Staatsrechtlern mit Abstand am besten ausgewiesene Analytiker der Justizorganisation, Fabian Wittreck aus Münster, die Zusammensetzung des Richterwahlausschusses in Baden-Württemberg auch als verfassungswidrig bezeichnet. Mit nur von Richter gewählten Personalentscheidern ist also keine Demokratie zu machen.

Überhaupt haftet dem Duktus, mit dem immer wieder seitens der Richterschaft die Besetzung von Richterämtern durch Justizminister kritisiert wird, eine eher befremdliche demokratiekritische Sichtweise an. Die Richterschaft etwa, die die Präsidialräte der Republik wählt, haben sich niemals dem Volk zur Abstimmung gestellt. Das Volk dürfte im Gegenteil nicht einmal die Inhaber höchster Richterämter des Landes auch nur beim Namen nennen können. Wie man auf die Idee kommen kann, dass diese Personen mehr demokratische Legitimation vermitteln können als Minister und Parteien, die sich alle vier oder fünf Jahre dem Votum des Volkes stellen müssen, leuchtet nicht wirklich unmittelbar ein. Das genaue Gegenteil ist der Fall und war feste Überzeugung der Grundgesetz-Macher.

Noch deutlicher wird das in der noch älteren Verfassung Hessens vom 1. Dezember 1946: Hier ist Mehrheit der elf Verfassungsrichter des Staatsgerichtshofes an den Proporz der Landtagsfraktionen gebunden, und die Dauer ihrer Amtszeit ist abhängig von der Dauer der jeweiligen Legislaturperiode. Ihre Amtszeit endet mit der Auflösung des Landtags vorzeitig. Hintergrund war die Abneigung gegen Richter, gespeist aus deren Willfährigkeit gegenüber dem Nazi-Regime.

Richter als solche fanden auch kein Gehör in den Beratungen des Parlamentarischen Rates, Georg-August Zinn blockte nahezu alles ab, wenn die Richterverbände sich zu Gehör bringen wollten. Etwa lehnte er, durchaus mit Unterstützung des Ausschusses, die Anhörung eines Vertreters der Richter und Staatsanwälte im Lande Nordrhein-Westfalen scharf ab mit den Worten:

„Ich möchte nur wissen, wozu die gehört werden sollen“.
(…)
„Ich frage mich nur, was die Herren sagen wollen. Die Verfassungsgerichtsbarkeit ist keine Angelegenheit, mit der sich der Richterverein zu beschäftigen hat. Die Frage der Unabhängigkeit der Justiz wird wohl auch kein Anlaß sein, sie zu hören. Diese wird ja ohne Sachverständigenzuziehung sogar in der Volksrats-Verfassung (Entwurf für die DDR-Verfassung, C.S.) anerkannt und wird – das werden die Herren wohl nicht bezweifeln – sicher auch hier nicht angetastet werden. Es kann sich also höchstens – wir wollen einmal ganz offen sprechen – um die Frage handeln – das ist wohl der Hintergrund –, ob ihre Beamtenrechte, die sie in der Nazizeit erworben haben, gefährdet sind oder nicht. In dem ganzen Abschnitt »Rechtspflege« ist nur festgelegt, daß es keine Sondergerichtsbarkeit geben soll und daß die Richter unabhängig sind, weiter, daß die Richter auf Lebenszeit angestellt werden sollen und schließlich, daß die Gerichtsverhandlungen grundsätzlich öffentlich sein sollen. Damit hört es dann aber auf.“

(Prot. der Vierten Sitzung des Ausschusses für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege am 27. Oktober 1948; abgedr. bei Deutscher Bundestag/Bundesarchiv (Hrsg.), ParlR, Bd. 13/II, 2002, S. 1223).

Jedenfalls findet sich hier alles andere als ein Beleg für eine unbeschränkte Unabhängigkeit der Richter. Dies zeigen auch die Ausführungen in Zinns Referat im Jahre 1950 auf dem 37. Deutschen Juristentag, in dem er mehrfach auf das notwendige Misstrauen hinweist, das gegenüber der Richterschaft angesichts ihrer Macht auch bestehen müsse.

Diese Sichtweise hat sich in der öffentlichen Wahrnehmung fundamental gewandelt. Wenn Justizminister, die in der Demokratie des Grundgesetzes nunmal allein aus den Parteien rekrutiert werden, eine richterliche Personalentscheidung treffen, wird diese als minderwertig und als diskreditiert angesehen, weil sie parteipolitisch motiviert sei. Mag sein, zumal exekutivem Handeln viel mehr als den richterlichen Selbstverständnissen strategisches Macht-Denken innewohnt; daher sind Motive jenseits von Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung bei der exekutiven Personalauswahl wohl nicht selten anzutreffen, die mittels gezielter Beurteilungsbiographien (langfristig) rechtssicher gegen justitielle Eingriffe abgeschirmt werden. Gleichzeitig dürfte es auch nicht unüblich sein, schon vor einer Ausschreibung die ministeriell erwünschte Person für das Amt bestimmt zu haben. Gerade für Baden-Württemberg hat das VG Karlsruhe diese verbreitete Auffassung im Urteil vom 29. Oktober 2015 – 2 K 3639/14 – plastisch protokolliert:

„Im vorliegenden Fall muss zudem unabhängig hiervon zur Auslegung des objektiven Erklärungswerts der Äußerungen der Präsidentin berücksichtigt werden, dass unter den Richterinnen und Richtern in der baden-württembergischen Justiz die Vorstellung weit verbreitet ist, die Vergabe von Ämtern erfolge in der Regel in einer Weise, dass sich zunächst die Personalverantwortlichen des Justizministeriums zusammen mit den Gerichtspräsidenten auf einen Richter einigten, der eine Stelle erhalten solle und dem Ausgewählten daraufhin mitgeteilt werde, für ihn werde demnächst eine Stelle ausgeschrieben. Erst im Anschluss hieran erfolge die öffentliche Ausschreibung der Stelle. Eine Bewerbung anderer – also nicht bereits durch die Personalverantwortlichen von der Stellenausschreibung in Kenntnis gesetzter – Richter sei für diese regelmäßig nicht ratsam: Einerseits sei eine solche von vornherein ohne Erfolg, weil die im Rahmen des Auswahlverfahrens zu erstellenden Anlassbeurteilungen entsprechend der bereits vor der Ausschreibung getroffenen Auswahlentscheidung erstellt würden, andererseits werde eine nicht zuvor durch die Personalverantwortlichen erbetene Bewerbung regelmäßig mit Nachteilen beim weiteren beruflichen Fortkommen sanktioniert. Begründet wird diese Vorstellung insbesondere mit dem Hinweis darauf, dass bereits im Rahmen der Einführungslehrgänge das Justizministerium neu eingestellten Proberichtern mitteilt, sie sollten sich nicht auf Lebenszeitstellen bewerben, solange ihnen nicht das Ministerium mitgeteilt habe, dass die für sie bestimmte Stelle nun ausgeschrieben sei. Verwiesen wird zudem auch darauf, dass es für die Besetzung von Beförderungsämtern in der Landesjustiz meist nur einen einzigen Bewerber gebe und jeder Richter auch aus eigener Erfahrung – sei es im Rahmen der Lebenszeiternennung oder bei Beförderungen – den Anruf des Ministeriums kenne, es werde nun »für ihn eine Stelle ausgeschrieben«, ohne dass sich dann im Besetzungsverfahren weitere Bewerber zeigten. Schließlich höre man immer wieder von Kolleginnen und Kollegen, die sich informell nach den Möglichkeiten der Bewerbung um eine ausgeschriebene Stelle bei den Personalverantwortlichen erkundigten und denen mitgeteilt worden sei, sie seien für die ausgeschriebene Stelle »nicht vorgesehen«, seien »noch nicht dran« bzw. es bestünden »andere Pläne«.“

Urteil vom 29. Oktober 2015 – 2 K 3639/14

Das VG Karlsruhe klammert sich dann (hoffnungsvoll?) an das Prinzip, dass nicht sein kann, was nicht sein darf, wenn es weiter formuliert:

„Es spricht zwar viel dafür, dass diese Vorstellung jedenfalls nicht in jeder Hinsicht zutreffend sein kann. Gegen ihre Richtigkeit spricht bereits, dass die Beförderungspraxis – würde sie der genannten Vorstellung entsprechen – systematisch gegen Art. 33 Abs. 2 GG verstieße. Denn Art. 33 Abs. 2 GG macht für die Vergabe höherwertiger Ämter eine Bewerberauswahl notwendig. Deswegen muss der Dienstherr Bewerbungen von Beamten oder Richtern um das höherwertige Amt zulassen und darf das Amt nur demjenigen Bewerber verleihen, den er aufgrund eines den Vorgaben des Art. 33 Abs. 2 GG entsprechenden Leistungsvergleichs als den am besten geeigneten ausgewählt hat, wobei der Leistungsvergleich anhand aktueller dienstlicher Beurteilungen vorzunehmen ist (…). Sollte die Stellenbesetzung so ablaufen, wie dies den verbreiteten Vorstellungen in der Richterschaft entspricht, würde die Bewerberauswahl nur formal, nicht aber der Sache nach anhand aktueller dienstlicher Beurteilungen über die einzelnen Bewerber vorgenommen werden. Das Verfahren liefe dann gewissermaßen in umgekehrter Reihenfolge: Nicht die Auswahlentscheidung folgte dem Ergebnis der dienstlichen Beurteilungen, sondern die dienstlichen Beurteilungen folgten dem Ergebnis der Auswahlentscheidung (…).“

Korrektiv sind freilich die Vorgaben aus Art. 33 Abs. 2 GG, die Konkurrentenstreitverfahren möglich machen und damit die Kontrolle der exekutiven Entscheidung durch die Judikative. Ein klassisches Checks-and-balances-System, das aber dann unwirksam wird, wenn die dienstlichen Beurteilungen im Vorfeld strategisch erfolgt sind. Denn die Personalentscheider sind dieselben, die zuvor die Beurteilungen erstellen – und dies noch anhand selbst gefertigter Beurteilungsmaßstäbe. Wenigstens Letzteres dürfte numehr sein Ende finden, nachdem das BVerwG sogar für Beamte angesichts der Bedeutung von dienstlichen Beurteilungen für die allein nach Maßgabe des Art. 33 Abs. 2 GG zu treffende Auswahlentscheidung geurteilt hat, dass die „Vorgaben für die Erstellung von Beurteilungen nicht allein Verwaltungsvorschriften überlassen bleiben“, sondern deren grundlegenden Vorgaben aufgrund des Wesentlichkeitsgrundsatzes „in Rechtsnormen geregelt werden müssen“ (BVerwG, Urteil vom 7. Juli 2021 – 2 C 2/21; in diesem Sinne schon Schütz, Der ökonomisierte Richter, 2005, S. 234). Das muss umso mehr für Richter gelten, so dass die Parlamente gehalten sind, endlich selbst die Grundlagen für dienstliche Beurteilungen zu formulieren und sie nicht der Exekutive zu überlassen – auch wenn dies nichts daran ändert, dass es am Enden einen Letzt-Entscheider gibt, der die Subsumtion niemals losgelöst von seinen subjektiven Wertungen vornehmen kann.

Die Präsidialräte bringen dabei ihre spezifische richterliche Sichtweise ein, die auf die personalpolitische Entscheidung eines Ministers Einfluss nehmen oder – wie in Baden-Württemberg – eine solche auch blockieren können. Demokratische Legitimation können sie aber nicht vermitteln. Entsprechend wird in Art. 98 Abs. 4 GG verlangt, dass kein Richterwahlausschuss allein einen Richter ins Amt befördern kann, sondern die Zustimmung eines Ministers stets erforderlich ist.

Da der Begriff der richterlichen Unabhängigkeit gesetzlich nicht definiert wird, begegnet man in Form der mit dem Gerichts-Begriff verbundenen „institutionelle Unabhängigkeit einer verbreiteten, letztlich aber nur gefühlten, nicht aber verfassungsrechtlich verankerten interpretatorischen Konkretisierung. Sie erfordere als Ausfluss des Gewaltenteilungsgrundsatzes die „organisatorische Trennung der Dritten Gewalt von Legislative und Exekutive“ (so Kissel, § 1 GVG, Rn. 32). Die Rechtsprechungsorgane müssten organisatorisch und personell hinreichend von Verwaltungsbehörden getrennt sein, auch wenn diese Trennung nicht absolut durchführbar sei (Kissel, GVG, Einleitung, Rn. 164, 170). Diese „organisatorische Selbständigkeit“ der Gerichte (Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 97 [197]), Rn. 10, 45) soll zudem durch Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG „so gut wie lückenlos“ festgelegt (ebd. Rn. 45), jedenfalls aber „relativ strikt gewährleistet“ sein (Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG II, Art. 20 [Rechtsstaat] Rn. 69), ihr Fehlen sogar die Gerichtsqualität beseitigen (Bettermann, in: ders./Nipperdey/Scheuner (Hrsg.), Grundrechte III/2, S. 523 [637]). Auch das Bundesverfassungsgericht verlangt eine institutionelle Trennung der Gerichte von der Exekutive, hält aber Überschneidungen, etwa in Form der hergebrachten Betrauung von Richtern mit Aufgaben der „Justizverwaltung“, für unschädlich, andere unter Umständen für zweifelhaft (BVerfGE 4, 331 [346 f.]; s.a. BVerfGE 55, 372 [389]).

Hält man sich dies vor Augen, so erzeugt ein Blick in die Realität Verwunderung. Denn nur das Bundesverfassungsgericht erfüllt diese soeben weitreichend formulierten Anforderungen der organisatorischen Selbständigkeit. Seine nicht-richterlichen Bediensteten unterstehen nicht der Personalhoheit eines Ministers, sondern allein dem Gerichtspräsidenten, die Richter unterstehen keiner Dienstaufsicht und werden nach einem eigenen Gesetz besoldet (Gesetz über das Amtsgehalt der Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts vom 28.2.1964; BGBl I S. 133). Außerdem stellt das Bundesverfassungsgericht seinen Haushaltsbedarf selbst fest. Der unmittelbare Einfluss der anderen Gewalten endet nach der Wahl der Richterinnen und Richter gem. Art. 94 Abs. 2 GG. Nicht die Zugehörigkeit zur Dritten Gewalt, die in der Aufnahme in den IX. Abschnitt des Grundgesetzes zum Ausdruck kommt, ist jedoch hinreichender Grund dieser Selbständigkeit, sondern der Status des Bundesverfassungsgerichts als Gericht sui generis und Verfassungsorgan (§ 1 BVerfGG), der auch nicht von Anfang an bestand, sondern vom Gericht erst erstritten werden musste (s. die Status-Denkschrift des BVerfG-Plenums, abgdr. in JöR NF 6 [1957], S. 144 ff.).

Den übrigen Gerichten, auch den obersten Bundesgerichte gem. Art. 95 GG, fehlt eine Eigenständigkeit, jedenfalls eine solche, wie sie nach den zuvor aufgeführten Schlussfolgerungen aus der Garantie der Gewaltenteilung und der institutionellen Unabhängigkeit zu erwarten wäre. Ihre gesamte Gerichtsverwaltung, die Mehrzahl des Personals sind exekutive Beamte und Angestellte, und selbst das richterliche Personal, erst recht der Gerichtspräsident in seiner Eigenschaft als solcher, wird zur weisungsgebundenen Verwaltungsperson, wenn es gem. § 42 DRiG zu Tätigkeiten der Gerichtsverwaltung herangezogen wird. Die Einstellung aller Beschäftigten, ihre Beurteilung und Beförderung liegt in den Händen der Exekutive. Dies gilt grundsätzlich auch für die Richter, wenn auch hier in den meisten Ländern die Mitwirkung eines Richterwahlausschusses für die Einstellung und bei der Übertragung eines höheren Richteramtes erforderlich ist.

Worin drückt sich nun die „institutionelle Sonderung“ der Gerichte aus? Letztlich gar nicht; sie existiert nicht. Die Gerichte sind als Institutionen nicht von der Exekutive getrennt.

Daran ändert auch die Existenz von Präsidialräten nichts. Sie verleihen Gerichten oder Gerichtszweigen keine institutionelle Selbstständigkeit. Ihre Stimme dient allein der Formulierung richterlicher Personalwünsche, ohne ihnen aber eine Entscheidungskompetenz zuzubilligen.

Bleibt noch die Unabhängigkeit des Richters als solche. Doch kann man das im hiesigen Kontext schnell beenden: Unabhängig ist der Richter, nicht der künftige Richter. Es ist denklogisch ausgeschlossen, dass ein Richter, der sein Amt noch nicht innehat, richterliche Unabhängigkeit besitzt. Ggf. kann ein Bewerber sein grundrechtsgleiches Recht aus Art. 33 Abs. 2 GG gegen die Auswahl eines Konkurrenten geltend machen. Mit richterlicher Unabhängigkeit hat dies aber nichts zu tun.

Völlig problemlos ist das alles freilich nicht: Man braucht nicht erst im vorliegenden Zusammenhang die gern zitierte (angebliche) Äußerung des preußischen Justizministers Leonhardt zu bemühen, dass er gerne zum Zugeständnis richterlicher Unabhängigkeit bereit sei, solange er über die Beförderung zu entscheiden habe. Dies wirft aber ein Schlaglicht auf die zentralste aller richterlichen Amtsanforderungen: Die „innere“ Unabhängigkeit. Deshalb hat es Frank Bleckmann, Sprecher der NRV-BaWü und selbst Mitglied im Präsidialrat der ordentlichen Gerichtsbarkeit, durchaus klug formuliert: „Dabei gehe es aktuell bei der Stellenbesetzung der Gerichte und Staatsanwaltschaften durch die politisch geführte Exekutive kaum um die Befürchtung direkter politischer Einflussnahme, sagt NRV-Sprecher Bleckmann. „In den letzten Jahren ging es für mich persönlich mehr um die Frage der Kultur, die jemand mitbringt. Wurde jemand im Ministerium sozialisiert oder ist er in der Justiz groß geworden? Hat er oder sie eher ein hierarchisch geprägtes Manager- oder ein stärker egalitäres Richter:innenethos?“

Das sind in der Tat gewichtige Auswahlkriterien, die es justizkulturell zu bedenken und zu beachten gilt. Freilich finden sie sich nicht in Art. 33 Abs. 2 GG. Daher darf es als staatspolitisch klug angesehen werden, einen OLG- und Staatsgerichtshofspräsidenten wie Roman Poseck, der zudem ministerielle Erfahrung als Abteilungsleiter hat, zum hessischen Justizminister zu machen, weil er die Gewährt dafür bieten kann, ebenjene Justizkultur „hochzuhalten“. Doch sind das „soft skills“, die, wenn es hart auf hart kommt, nicht justiziabel sind. Das ist im Übrigen ein weiterer Peinlichkeitsaspekt des justizministeriellen Vorgehens in Baden-Württemberg: Das Verfahren vor dem VG Stuttgart unternimmt den Versuch, ein (personal)politisches Verfahren juristischen Kategorien zu unterwerfen. Solche sind aber darauf gerade nicht anwendbar. Es ist ein verzweifelter Versuch, die eigene Personalie zu „retten“, weil es praktisch als ausgeschlossen gelten kann, dass im Richterwahlausschuss mit baden-württembergischer Besetzung die notwendige Mehrheit für Beate Linkenheil erreicht werden kann. Das ist machtpolitisch nachvollziehbar, rechtsstaatlich und politisch aber stillos. Und dass sich die Ministerin zudem noch als fremdnützige Verteidigerin des Art. 33 Abs. 2 GG ausgibt und damit dem Präsidialrat im gleichen Atemzug dessen Verletzung vowirft, ist justizkulturelles Versagen – zumal die Präsidialräte Baden-Württembergs bisher nicht durch sonderliche Gegnerschaft gegenüber ministeriellen Auswahlentscheidungen aufgefallen ist, sondern mancherorts eher als zu unkritisch handzahm gescholten wird (für den Präsidialrat der ordentlichen Gerichtsbarkeit mit Recht am exemplarischen Einzefall sehr krit. Schilling, NRV-Info Baden-Württemberg 3/2020, S. 19 [20 f.])

Letztlich steht auch hinter dieser Posse die Erkenntnis, die der ehemalige Richter des US Supreme Court Felix Frankfurter formuliert hat: „Those who enjoy power are apt to identify its exercise with the public interest.“ Das ist in den Gerichten und in den Regierungen nicht anders. Das Gegenüber von exekutiver Rechtsprechungsverwaltung und rechtsprechenden Richtern ist weithin bestimmt durch die jeweilige Überzeugung, die anstehenden Aufgaben im Einklang mit dem Gemeinwohl, jedenfalls aber besser als die jeweils andere Seite erfüllen zu können. Die Richterschaft ist dabei stets versucht, ihre subjektive Sichtweise durch Bezugnahme auf die Fundamentalprinzipien des Rechtsstaats wie Gewaltenteilung und richterliche Unabhängigkeit zu objektivieren und zu überhöhen. Das hat nicht wenig Berechtigung, doch kann man auch das übertreiben, wofür die aktuellen Reaktionen der Richterverbände Beispiel geben.

Die dritte Gewalt in Gestalt der Richter des VG Stuttgart und dann wohl des VGH Baden-Württemberg haben nun das vorerst letzte Wort; im Kampf zwischen Justizministerin und Präsidialrat bittet erstere die Kollegen des letzten um Entscheidung: Das kann man als politischen Affront empfinden – im System der checks and balances zur Personalauswahl der Richter ist dies rechtspolitisch – wie gezeigt – zutreffend. Dass eine Repräsentantin der zweiten Gewalt im Streit mit der dritten ebenjene dritte Gewalt um Entscheidung ersucht, kann man aber auch als ehrenhaft empfinden.

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