Gestern ist der abgesetzte katalanische Präsident Carles Puigdemont in Schleswig-Holstein verhaftet worden, als er nach einem politischen Vortrag in Finnland nach Belgien zurückreiste. Damit tritt die „Internationalisierung“ des Katalonien-Konflikts, von der ich bereits in meinem Beitrag vom November 2017 – „Katalonien-Krise: Eine Bewährungsprobe für die spanische Justiz“ – schrieb, in eine neue Phase. Denn nun hat auch die deutsche Justiz ihr „Katalonien-Problem“, ein Problem, das eine Reihe schwieriger Fragen nicht nur des Auslieferungsrechts, sondern auch des materiellen deutschen Strafrechts aufwirft.
Der sogenannte Qualitätsjournalismus, der immer wieder für erstaunliche juristische Einordnungen gut ist, hat darin gestern den Vogel abgeschossen, indem er in der Tagesschau verlauten ließ (Nachtrag, 28. März: Der auf der verlinkten Seite eingebettete Videobeitrag ist inzwischen durch einen anderen aus einer späteren Sendung ausgetauscht und enthält die zitierte Aussage nicht mehr):
[…] man kann damit rechnen, denke ich – das ist aber noch im spekulativen Bereich -, daß die deutschen Behörden ihn spätestens morgen an Spanien ausliefern werden.
Diese einerseits als spekulativ gekennzeichnete, andererseits mit genauen Fristen arbeitende („spätestens morgen“) Aussage geht an der tatsächlichen Auslieferungspraxis – selbst für einfach gelagerte Fälle – komplett vorbei. Eine Expreß-Auslieferung käme allenfalls als vereinfachte Auslieferung nach § 41 IRG in Betracht, aber selbst für eine solche wären 24 Stunden unrealistisch. Für eine vereinfachte Auslieferung wäre auch das Einverständnis des Betroffenen (des Verfolgten in der Gesetzessprache) erforderlich, von dem hier aber offensichtlich keine Rede sein kann.
Ich möchte eine andere Voraussage anbieten – und im folgenden begründen –, die natürlich auch spekulativ, aber hoffentlich etwas solider ist: Es wird vor dem OLG Schleswig ein Auslieferungsverfahren geben, das sich – sofern der spanische Untersuchungsrichter nicht „einlenkt“ (wie er es im Fall Belgien schon einmal getan hat) – über Monate hinziehen wird und an dessen Ende die Auslieferung in Bezug auf den Haupttatvorwurf abgelehnt werden wird.
Was bisher geschah
In meinem Beitrag vom November 2017 habe ich den ursprünglichen Beschluß der damaligen Untersuchungsrichterin Carmen Lamela vom zunächst zuständigen Nationalen Gerichtshof (Audiencia Nacional) dargestellt und kommentiert, mit der diese für die Mitglieder der damals gerade abgesetzten katalanischen Regierung den Tatverdacht für die Straftatbestände Rebellion, Auflehnung und Haushaltsuntreue bejahte und Untersuchungshaft anordnete. Im Anhang des Beitrags findet sich die deutsche Übersetzung sowohl dieses Beschlusses als auch der genannten Straftatbestände. Für eine kurze Chronologie und Einordnung der politischen Ereignisse rund um das anlaßgebende Unabhängigkeitsreferendum vom 1. Oktober 2017 sei auf einen Blogkommentar verwiesen. Gegen Carles Puigdemont und die weiteren Mitglieder seiner Regierung, die sich bereits in Brüssel befanden, erließ Richterin Lamela einen Europäischen Haftbefehl.
Das belgische Gericht, dem sich Puigdemont und seine Kollegen zur Verfügung stellten, ließ frühzeitig erkennen, daß es an der Zulässigkeit der Übergabe im geforderten Umfang Zweifel hatte. Es sah auch davon ab, die Verfolgten in Haft zu nehmen; sie blieben unter Meldeauflagen für das weitere Verfahren auf freiem Fuß. Während das belgische Gericht weiter prüfte, trat in Spanien eine Zuständigkeitsveränderung ein. Der Oberste Gerichtshof (Tribunal Supremo) zog das Verfahren an sich und der nunmehr zuständige Untersuchungsrichter Pablo Llarena hob überraschend den Europäischen Haftbefehl bezüglich der in Belgien befindlichen Beschuldigten auf. Er reagierte damit auf die sich verdichtenden Anzeichen, daß die belgischen Gerichte eine Auslieferung wegen Rebellion und Auflehnung ablehnen und sie nur für Haushaltsuntreue bewilligen würden. Wie Llarena in seinem Beschluß ausführte, wollte er damit für die weitere Strafverfolgung ein „hinkendes Verfahren“ vermeiden, in dem ein Teil der Beschuldigten in vollem Umfang, der andere Teil nur in eingeschränktem Umfang angeklagt und ggf. verurteilt werden könnte. Diese Einschränkung wäre Folge des sogenannten Spezialitätsgrundsatzes (Art. 27 des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedsstaaten – RbEuHb -). Man kann aber auch vermuten, daß Llarena eine Blamage vermeiden wollte, da man eine solche Ablehnung zumindest indirekt als Kritik an einer extensiven, mit europäischen Rechtsstaatsvorstellungen unvereinbaren Auslegung von wenig naheliegenden Straftatbeständen lesen könnte. Llarema behielt sich den Erlaß eines neuen Europäischen Haftbefehls für einen späteren Zeitpunkt vor. Er hoffte, zusammen mit der Anklageerhebung auch im Rahmen eines neuen EU-Haftbefehls die Vorwürfe gegen die Beschuldigten so vertiefen und belegen zu können, daß sie auch die kritischen belgischen Richter überzeugen würden.
Diese Anklageerhebung (auto de procesamiento) durch Untersuchungsrichter Llarena erfolgte am vergangenen Mittwoch. Sie bezieht sich nunmehr auf die Straftatbestände Rebellion (Art. 472 des spanischen Strafgesetzbuchs – CP -), Ungehorsam (Art. 410 CP) und Haushaltsuntreue (Art. 432 CP). In der Folge erließ Llarena auch einen neuen Europäischen Haftbefehl. Der hat nun zur Verhaftung Puigdemonts in Schleswig-Holstein geführt.
Beiderseitige Strafbarkeit
Ob und in welchem Umfang Puigdemont ausgeliefert werden kann, richtet sich nach dem Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen, insbesondere §§ 78 ff. IRG, mit denen der RbEuHb in deutsches Recht umgesetzt wurde. Ungehorsam (Art. 410 CP) ist von vornherein kein auslieferungsfähiges Delikt, da es nur mit Geldstrafe bedroht ist und damit aus dem Anwendungsbereich des Rahmenbeschlusses herausfällt (Art. 2 Abs. 1). Bei den beiden übrigen Delikten kommt es – da sie nicht im Katalog des Art. 2 Abs. 2 RbEuHb genannt sind – darauf an, ob es sie auch im deutschen Recht gibt (§§ 3, 81 Nr. 4 IRG). Bei der Haushaltsuntreue (im deutschen Recht von § 266 StGB erfaßt) dürfte dies im Grundsatz leicht zu bejahen sein. Da Richter Llarena aber bereits einmal sinngemäß sagte „Ohne Rebellion will ich ihn gar nicht haben“, spielt die Musik bei diesem Tatbestand.
Rebellion im Sinne von Art. 472 CP (deutsche Übersetzung) begeht, wer „sich gewaltsam und öffentlich erhebt“, u.a. „um die Unabhängigkeit eines Teil des Staatsgebiets zu erklären“. Die Strafe für die Anführer einer Rebellion ist Gefängnis von 15 bis 25 Jahren. Eine entsprechende Norm des deutschen Strafgesetzbuchs findet sich in § 81, als Hochverrat bezeichnet: „Wer es unternimmt, mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt […] den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu beeinträchtigen […], wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder mit Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren bestraft.“ In beiden Fällen steht und fällt der Tatbestand mit der Bejahung von Gewalt.
Der Umstand, daß es auf abstrakter Ebene in beiden Strafrechtsordnungen entsprechende Normen gibt, reicht nicht, um beiderseitige Strafbarkeit zu bejahen. Das vom ersuchenden Staat als strafbar angegebene Verhalten muß im ersuchten Staat tatsächlich auch strafbar sein. Andernfalls wäre der Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit ein reines Lippenbekenntnis und die Rechtsprechung des ersuchenden Staates könnte durch eine extensive Auslegungspraxis auch die Grenzen der Auslieferungsfähigkeit verschieben. Deshalb muß auch bei identischen Formulierungen und Verwendung gleicher Begriffe der ersuchte Staat die strafrechtliche Einordnung nach seinem eigenen Recht vornehmen. Das ist nicht zu verwechseln mit der Prüfung des Tatverdachts, die – wie sich aus § 10 Abs. 2 IRG ergibt – nur ausnahmsweise vorzunehmen ist. Während die tatsächliche Würdigung des Sachverhalts grundsätzlich durch den ersuchenden Staat durchgeführt werden soll, geht es bei der Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit darum, ob die vorgeworfene Tat, als bereits bewiesen gedacht, wirklich auch im ersuchten Staat bestraft werden könnte.
Gewalt? Gewalt!
Auch wenn es in diesem Beitrag um das Auslieferungsverfahrens in Deutschland gehen soll und nicht um eine Besprechung der genannten Anklage vor dem spanischen Obersten Gerichtshof, ist es doch unumgänglich, diese im zentralen Punkt kurz darzustellen. Denn entscheidend ist nach dem Gesagten, ob Richter Llarena einen Sachverhalt schildert, der sich – ungeachtet der Überzeugungskraft seiner Argumentation innerhalb des spanischen Rechts – auch unter § 81 StGB subsumieren läßt.
Worin im Sinne des spanischen Rebellion-Tatbestandes die „Gewalt“ liegen soll, mit der die beschuldigten Mitglieder der bisherigen katalanischen Regierung operiert haben, wird ab Seite 56 (PDF-Seite 57) des Beschlusses ausgeführt. Zeitlicher Anker der Argumentation sind die Ereignisse vom 20. September 2017, die ich im vorherigen Beitrag bereits ausführlich geschildert hatte. An diesem Tag kam es zu zahlreichen kriminalpolizeilichen Durchsuchungsmaßnahmen in Amtsgebäuden und Privatwohnungen. Diese beruhten auf Beschlüssen des damals noch zuständigen örtlichen Gerichts, wo ein Untersuchungsrichter bereits wegen des für den 1. Oktober von der katalanischen Regierung rechtswidrig angesetzten Referendums im Hinblick auf die Straftatbestände Haushaltsuntreue und Ungehorsam tätig war. Bei diesen Durchsuchungen kam es, wie nicht anders zu erwarten, zu Protestversammlungen einer großen Zahl von Menschen (etwa die Hälfte der katalanischen Bevölkerung ist mehr oder weniger unabhängigkeitsbewegt), die faktisch – und wahrscheinlich von Seiten der Anwesenden nicht unerwünscht – für die Ermittlungsbeamten eine Belagerungssituation darstellte. Im Falle eines durchsuchten Ministeriums (dort erreichte laut Beschluß die Menschenansammlung 60.000 Teilnehmer) konnten erst mit mehrstündiger Verzögerung – teilweise über Nebengebäude – das Gebäude verlassen. Es kam auch zu Zerstörungen von Einsatzfahrzeugen. Unmittelbare Gewalt gegen Personen gab es nicht. Die folgenden Tage waren geprägt von wachsender Nervosität aufgrund eines Wetteiferns zwischen der Entschlossenheit der katalanischen Regierung, das Referendum durchzuführen, und der Entschlossenheit der spanischen Regierung, einen Gerichtsbeschluß, der es verbot, durchzusetzen. Letztere verlegte eilig 6000 Bereitschaftspolizisten nach Katalonien (Kosten: 87 Mio. Euro), zum Teil untergebracht in Kreuzfahrtschiffen, womit sie klarmachte, daß auch sie zum Äußersten gehen würde.
Die Argumentation Llarenas lautet nun (Seite 57): Der Umstand, daß die katalanische Regierung das Referendum nicht absagte, sondern an ihm festhielt und die bürgerschaftlichen Kräfte zu seiner Durchführung und die Bürger zur Teilnahme an ihm aufrief, belege vor dem Hintergrund der Ereignisse vom 20. September, daß sie die „Bürgermasse“ („masa ciudadana“) als Kraft zur Erzwingung der Unabhängigkeit einsetzen wollte. Diese Ereignisse habe den Regierungsmitgliedern das Risiko vor Augen geführt („permitió que se representaran el riesgo“), daß künftige Massenkundgebungen in „Episoden mit erheblichem Verletzungspotential umschlagen könnten“ („pudieran estallar con episodios de fuerte lesividad“). Diese Gefahr habe sich dann auch am Referendumstag, dem 1. Oktober, verwirklicht, was die registrierten Verletzungen von Polizeibeamten bei der Schließung von Abstimmungslokalen und Beschlagnahme von Abstimmungsurnen belegten (auch die zahlreicheren Verletzungen von Abstimmungswilligen durch die Polizei werden im Beschluß in einem Nebensatz erwähnt).
Weiter schreibt Llarena (Seite: 59): „Man beschloß, sich die Macht der Masse zunutze zu machen, um sich mit ihr dem Polizeihandeln entgegenzustellen, das, wie sie wußten, das Referendum verhindern sollte, so daß die Abstimmung durchgeführt werden könnte und so der Weg gebahnt würde nicht nur dazu, daß das Ergebnis des Referendums die Ausrufung der Unabhängigkeit erlauben würde (wie im Gesetz 20/2017 vorgesehen), sondern auch, daß der Staat der gewaltsamen Entschlossenheit eines Teils der Bevölkerung, die sich auszubreiten drohte, nachgeben würde.“
Soweit der Kern der Argumentation des Untersuchungsrichters, warum hier ein Fall „gewaltsamer Erhebung“ durch die beschuldigten Regierungsmitglieder zu bejahen sei. Meinen vorigen Beitrag hatte ich geschlossen mit der Zuversicht, daß nach anfänglicher Aufregung die spanische Justiz zur Seriosität in der Anwendung des Strafrechts zurückfinden würde. In der Tat unterscheidet sich der Beschluß Llarenas durch seine Strukturiertheit zunächst wohltuend von dem argumentativen Kunterbunt des zuletzt besprochenen Beschlusses der Richterin Lamela, aus dem der Leser bestenfalls einfühlsam erahnen konnte, wo genau die Verfasserin die tatbestandsmäßigen Handlungen zu sehen meinte. Inhaltlich steht der Beschluß des Richters dem der Richterin jedoch nicht nach insoweit als er – aus gegebenen Anlaß – einen neuen Straftatbestand erfindet: Tathandlung soll dem Beschluß zufolge nicht erst Gewaltausübung oder zumindest Steuerung von Gewaltausübung sein, sondern bereits zurechenbare Gewaltgefahrschaffung. Der Beschluß macht aus dem Rebellionstatbestand ein uferloses politisches Gefährdungsdelikt. Eine solche extensive Interpretation ist schwerlich vereinbar mit der Garantiefunktion des geschriebenen Tatbestands und es ist kein Wunder, daß bis zur symbolischen Erklärung der Unabhängigkeit durch das Parlament Ende Oktober 2018 der Rebellionstatbestand in der öffentlichen Diskussion keine Rolle spielte und auch nicht unter den Tatbeständen war, die zur Anwendung zu bringen die Staatsanwaltschaft in diesem Zeitraum androhte. Ersichtlich war es die Verbitterung darüber, wie weit die Unabhängigkeitsbewegung in ihrer Herausforderung des Rechtsstaats gehen würde, die für ein maximales Zurückschlagen die Idee aufbrachte, man könnte doch den maximalen Tatbestand jetzt einfach besonders weit interpretieren. Ein solches zielgeleitetes Spielen mit dem Strafgesetzbuch ist jedoch seinerseits ein nicht geringerer Anschlag auf den Rechtsstaat, als der Angriff, den man meint, damit abwehren zu können.
Der Bewertung dieser extensiven und kreativen Interpretation innerhalb des spanischen Rechts (aber auch in Bezug auf Art. 7 MRK) braucht für die Auslieferungsfrage nicht weiter nachgegangen werden. Hier reicht es, zu prüfen, ob ein solches Gewaltverständnis auch für § 81 StGB möglich ist. Der Gewaltbegriff ist bekanntlich im deutschen Strafrecht seinerseits schillernd und war immer wieder Gegenstand von Debatten. Das galt vor allem für die Anwendung des Nötigungstatbestands (§ 240 StGB) im Bereich politisch motivierter Aktionen (Stichworte: Sitzblockaden, „vergeistigter Gewaltbegriff“). Der Gewaltbegriff ist jedoch im Strafgesetzbuch kein einheitlicher. Dies hat der BGH im Rahmen des seinerzeit prominenten Strafverfahrens gegen Alexander Schubart, einen der Wortführer der Startbahn-West-Protestbewegung Anfang der 80er Jahre geklärt (Urteil vom 23. November 1983 – 3 StR 256/83): Schubart war von der Vorinstanz wegen versuchter Nötigung von Verfassungsorganen (§ 105 StGB) verurteilt worden für einen Aufruf zur Blockade des Frankfurter Flughafens, um die hessische Regierung zu Zugeständnissen zu zwingen. Der BGH führte aus, daß sowohl für § 105 StGB als auch für den Hochverratstatbestand ein besonderer Gewaltbegriff gelte. Ungeachtet der Frage, was bereits eine Gewalthandlung sein kann, ist das differenzierende Merkmal der Grad der Zwangswirkung, die aus der Gewalt folgt. Nicht die Gewaltausübung selbst ist das entscheidende, sondern der Wirkungskonnex zwischen ihr und dem erstrebten Ziel. Im Schubart-Fall bedeutete dies, daß Gewalt im Sinne des § 105 StGB nur dann zu bejahen gewesen wäre, wenn sie ein Maß hat, das nach wertender Betrachtung geeignet erscheint, eine besonnene Regierung tatsächlich in Zugzwang zu setzen (was der BGH verneinte). Übertragen auf den Hochverratstatbestand, den der BGH ausdrücklich als Modell für diese Lösung nannte (obwohl er im Fall selbst keine Rolle spielte), bedeutet das: Nicht jede, wie auch immer verstandene Gewaltausübung ist ausreichend, sondern es ist erforderlich, daß sie auch im konkreten Fall eine Wirkungsrelevanz gerade für die Erreichung des Ziels Sezession hat. Anders ausgedrückt: Es genügt nicht, die Tatbestandsmerkmale Gewalt und Ziel nebeneinander für sich zu bejahen, sondern entscheidend ist der Relevanzkonnex, der zwischen ihnen besteht. Damit scheiden selbst punktuelle große Ausschreitungen im Rahmen einer Sezessionsbewegung als tatbestandsmäßig aus, wenn ihnen die Eignung fehlt, die Sezession wirklich herbeizuführen. Llarenas „Episoden mit erheblichem Verletzungspotential“ sowie tatsächliche Zusammenstöße zwischen Polizei und Demonstranten, wie sie auch bei sonstigen Demonstrationen vorkommen können, sind demnach unter dem Blickwinkel des deutschen § 81 StGB keine tauglichen Tathandlungen, und dies unabhängig von der fragwürdigen Zurechnungskonstruktion.
Damit ist im Ergebnis eine Auslieferung Puigdemonts nur wegen Haushaltsuntreue bewilligungsfähig, eine Auslieferung, auf die – wie sich bereits gezeigt hat – die spanische Justiz keinen Wert zu legen scheint.
Sollte das OLG Schleswig hingegen eine Strafbarkeit der vorgeworfenen „Gewalttat“ nach deutschem Recht bejahen, wäre die Zulässigkeit der Auslieferung unter einem weiteren Gesichtspunkt fraglich: Ihr könnte ein Auslieferungsverbot wegen unerträglich harter Strafe im konkreten Fall entgegenstehen (vgl. OLG Stuttgart, Beschluß vom 25.02.2010 – 1 Ausl. (24) 1246/09). Selbst wenn Puigdemont im deutschen Sinne ein Hochverräter wäre, so würde das Mindestmaß von 15 Jahren Gefängnis für die im Beschluß beschriebenen Verhaltensweisen – insbesondere im Hinblick auf die Zurechnungskonstruktion – insoweit die Frage des Übermaßverbots des deutschen Rechts aufwerfen, eine Frage, die die Durchführung eines Vorabentscheidungsverfahren beim EuGH nach Art. 267 Abs. 3 AEUV erforderlich machen dürfte.