In den letzten Wochen hat der Bundestag mit der Asylrechtsänderung und der Vorratsdatenspeicherung gleich zwei kontroverse Gesetzgebungsvorhaben abgearbeitet. Ein weiteres heißes Eisen aus dem Koalitionsvertrag von 2013 zwischen CDU, CSU und SPD, von dem man jetzt wahrscheinlich vermehrt hören wird, ist das geplante Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG), ein Herzensprojekt vor allem von CDU und CSU (Bayernkurier: „Deutschland darf nicht das Bordell Europas sein“) und Projektionsfläche für allerlei Grundsatz- und Richtungsfragen (Thomas Fischer: „Amnesty International fordert die weltweite Legalisierung der Prostitution. Die deutsche Moralgemeinde ist verwirrt – sie war gerade auf dem Weg in die Gegenrichtung.“).
Nach zwei Jahren Uneinigkeit zwischen den Koalitionsparteien wurde im Februar 2015 der Durchbruch gemeldet: Man hatte sich auf die Grundlinien des Gesetzes geeinigt. Ende Juli wurde der Referentenentwurf des SPD-geführten Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend für das Gesetz vorgelegt („Gesetz zur Regulierung des Prostitutionsgewerbes sowie zum Schutz von in der Prostitution tätigen Personen“ als Mantelgesetz mit dem ProstSchG als Artikel 1). Seine Grundzüge: Die Prostitution soll einem Überwachungsregime – angelehnt an das der Gewerbeordnung – unterstellt werden. Für Prostituierte wird eine Anmeldepflicht, verbunden mit der Pflicht, zu Beratungsgesprächen zu erscheinen, eingeführt. Für andere Prostitutionsgewerbetreibende – etwa Bordellbetreiber – wird eine Erlaubnispflicht (mit Zuverlässigkeitsprüfung) eingeführt. Neben den Registrierungspflichten soll es auch einige konkrete Anforderungen an die Prostitution geben, etwa was die Ausgestaltung der Räumlichkeiten betrifft. Nicht zu vergessen eine Kondompflicht.
Der großkoalitionäre Kompromiß ist umstritten. Der Deutsche Juristinnenbund ist skeptisch („repressives Gewerberecht schafft einen erheblichen illegalen Sektor“), die Deutsche Aids-Hilfe und der Deutsche Frauenrat warnen. Der Berufsverband der Prostituierten ist sowieso dagegen. Seit ein paar Wochen formiert sich ernstzunehmender Widerstand: Die Grünen, im Bundestag majorisiert, versuchen einen Fuß in die Tür zu bekommen, um den Gesetzesinhalt noch zu beeinflussen. Man hat den Gesetzentwurf abgeklopft und will herausgefunden haben: Er ist im Bundesrat zustimmungspflichtig. Die große Koalition könnte demnach nicht „durchregieren“, sondern müßte mit den Ländern, darunter grün (mit)regierten, verhandeln. In den Regierungen der Länder gibt es ein erstaunlich breites Meinungsspektrum zum Thema, jenseits der Parteizuordnung. Die Sozialministerin von der SPD im grün-rot regierten Baden-Württemberg würde am liebsten die Prostitution ganz verbieten. Sie ist für das Gesetz, es geht ihr nur nicht weit genug. Die Mehrheit der Fachminister, nicht nur die grünen Ressortchefs in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Bremen, hat sich hingegen in einer Umfrage des Tagesspiegels deutlich gegen den Gesetzentwurf ausgesprochen, weil er ihnen zu weit geht.
Vor dem Hintergrund der Meinungsvielfalt in den Ländern hier die gute Nachricht: Auf die ins Spiel gebrachte Frage der Zustimmungsbedürftigkeit des Gesetzes im Bundesrat dürfte es nicht ankommen. Der Bund ist für das geplante Gesetz aller Voraussicht nach überhaupt nicht zuständig. Er dürfte inkompetent, um nicht zu sagen impotent sein.
Die Kompetenzfrage ist, soweit ersichtlich, bislang noch nicht ernsthaft behandelt worden. Auch im Referentenentwurf ist sie nur oberflächlich angesprochen worden. Dies entspricht den hergebrachten Spielregeln im deutschen politischen Betrieb: Mit Kompetenzvorschriften des Grundgesetzes muß man es nicht so genau nehmen, wenn nur der politische Wille stark genug ist. Ein Kommentator in der FAZ brachte es, wenn auch in etwas anderem Zusammenhang, auf den Punkt: „Wer für welche Aufgaben eigentlich zuständig ist, interessiert in der politischen Praxis keinen mehr. Dass das Grundgesetz sorgfältig die Aufgaben von Bund, Ländern und Kommunen trennt, wird freundlich lächelnd ignoriert. Wo kein Kläger ist, da ist auch kein Beklagter. Wenn alle sich einig sind, läuft das.“
Doch das politische Urvertrauen in diese eingeübte Spielregel sollte spätestens seit dem 21. Juli 2015 einen Dämpfer erhalten haben. Das BVerfG war zu früheren Zeiten ein verläßlicher Partner, wenn es darum ging, das politische Primat über die Kompetenznormen des Grundgesetzes zu stellen und die ohnehin im Grundgesetz üppig angelegten Bundeszuständigkeiten auf den Gebieten der Gesetzgebung und Verwaltung durch eine Laissez-faire-Rechtsprechung immer weiter auszudehnen. Das Prinzip „Zum Bunde drängt, am Bunde hängt doch alles“, das – aus welchen Gründen auch immer – das politische Leben in Deutschland beherrscht, ist nicht ohne zaghafte Gegenbewegungen gewesen und so kam es sukzessive, zuletzt mit der Föderalismusreform von 2006, zu einem kleinen Rückbau bei den Kompetenznormen des Grundgesetzes. Das BVerfG hat mit seinem Urteil vom 21. Juli 2015 – 1 BvF 2/13 -, in dem es das Betreuungsgeldgesetz wegen eines Kompetenzverstoßes für nichtig erklärte, gezeigt, daß es ihm durchaus ernst ist, das für die Gesetzgebung der Länder zurückgewonnene Terrain zu schützen und nicht wieder in die alte Routine zu verfallen. Anders offenbar die bundespolitischen Akteure: Obwohl die Senatsentscheidung vom 21. Juli 2015 in ihrer ausführlichen Bekräftigung der Kriterien der Kompetenznorm des Art. 72 Abs. 2 GG nahezu Grundsatzcharakter trägt und obwohl das Gewicht der Entscheidung durch ihre Einstimmigkeit unterstrichen wird, scheint man sie nur unter der politischen Überschrift „Betreuungsgeld gescheitert“ wahrgenommen zu haben und nicht als Entscheidung, die für die Gesetzgebung insgesamt an die geänderten Spielregeln erinnert. Anders ist nicht zu erklären, warum drei Monate nach dieser Entscheidung immer noch niemand gemerkt hat, daß ihre Grundsätze ebenso auf die geplante Prostitutionsgesetzgebung Anwendung finden.
Mißt man dieses Gesetzgebungsvorhaben an der Rechtsprechung des BVerfG zu Art. 72 Abs. 2 GG, so ist sehr wahrscheinlich, daß es einer verfassungsgerichtlichen Prüfung nicht standhalten würde – es sei denn, man führt wieder die Regel ein, ein breiter politischer Konsens (über die Bundeszuständigkeit, nicht unbedingt über den Inhalt der Regelung) habe kompetenzschaffende Kraft.
Der Gesetzentwurf zum ProstSchG stützt sich auf mehrere Kompetenztitel: Neben dem Recht der Wirtschaft (Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG) werden vor allem die Maßnahmen gegen gemeingefährliche oder übertragbare Krankheiten bei Menschen (Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG) und die öffentliche Fürsorge (Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG) genannt. Eine solche Heranziehung einer „Mosaik-Kompetenz“ ist nicht ungewöhnlich, hat aber lediglich die Bedeutung, daß jede Einzelregelung des Gesetzes kompetentiell besonders betrachtet werden kann und muß. So läßt sich eine Regelung wie die Kondompflicht dem Kompetenztitel Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG zuordnen. Tragend für das Gesetz und seine Gesamtkonzeption soll jedoch – so auch ausdrücklich der Referentenentwurf – der Kompetenztitel des Rechts der Wirtschaft sein.
Schon die Tragfähigkeit dieses Kompetenztitels ist nicht selbstverständlich, sondern diskussionsbedürftig. Anknüpfungsfähig ist hier eine Formulierung aus dem Entwurf zur Gesetzgebungskompetenz. Dort heißt es: „Da sexuelle Kontakte gegen Entgelt nach bisherigem Verständnis gerade nicht Regelungsgegenstand des Rechts der Gaststätten oder der Schaustellung von Personen sind, fallen die Regelungen des Prostituiertenschutzgesetzes nicht in die nach Nummer 11 der Landesgesetzgebung zugeordneten Bereiche.“ Dieser Argumentation läßt sich hören, denn gerade bei der Auslegung der Kompetenznormen des Grundgesetzes hat nach der Rechtsprechung des BVerfG das historisch gewachsene Verständnis der Rechtsgebiete besonderes Gewicht (BVerfG, Urteil vom 19. Oktober 1982 – 2 BvF 1/81 – , BVerfGE 61, 149). Das „nach bisherigem Verständnis gerade nicht“ hätte der Entwurf dann aber auch im Hinblick darauf problematisieren müssen, daß die Prostitution nach hergebrachtem Verständnis dem allgemeinen Polizeireicht zugeordnet wurde und gerade nicht als eine Materie des Wirtschaftslebens gesehen wurde (vgl. die Ablehnung des BVerfG, das Spielbankrecht entgegen der historischen Sichtweise dem Wirtschaftsrecht zuzuordnen: Beschluß vom 18. März 1970 – 2 BvO 1/65 -, BVerfGE 28, 119). Allein der rechtsgestaltende Wille des Bundesgesetzgeber, Prostitution als Wirtschaftsphänomen zu sehen, kann für die Einordnung in die Kompetenztitel nicht ausschlaggebend sein, wenn man dem einfachen Gesetzgeber nicht die Verfügungsgewalt über die verfassungsrechtlichen Begriffe geben will.
Die Hürde, an der der Gesetzentwurf jedenfalls scheitern dürfte, ist aber Art. 72 Abs. 2 GG. In ihrer seit 2006 geltenden Fassung bestimmt die Vorschrift für ausgewählte Rechtsgebiete (Kompetenztitel des Art. 74 Art. 1 GG), daß dort der Bundesgesetzgeber nicht ohne weiteres für Regelungsanliegen zuständig ist, sondern nur unter bestimmten materiellen Voraussetzungen. Es gilt dort also die Vermutung, daß diese Materien bei der Landesgesetzgebung besser aufgehoben sind, wenn nicht belegt ist, daß eine bundeseinheitliche Regelung erforderlich ist. Eines dieser Rechtsgebiete ist das Recht der Wirtschaft.
Nach Art. 72 Abs. 2 GG hat der Bund nur dann eine Gesetzgebungszuständigkeit, wenn mindestens eine der folgenden drei Voraussetzungen erfüllt ist:
- Die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet macht im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich,
- die Wahrung der Rechtseinheit macht im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich oder
- die Wahrung der Wirtschaftseinheit macht im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich.
Das BVerfG handhabt diese drei Voraussetzungen nicht etwa „Pi mal Daumen“, sondern hat zu ihnen genaue Kriterien entwickelt und unterzieht bei einer Normenkontrolle das in Frage stehende Gesetz einer eingehenden Analyse. Die Ergebnisse der bislang wichtigsten Verfahren, in denen es um den Maßstab des Art. 72 Abs. 2 GG ging, lassen sich schaubildartig so darstellen:
Jahr | Aktenzeichen | Gegenstand | Lebensverhältnisse | Rechtseinheit | Wirtschaftseinheit |
---|---|---|---|---|---|
2002 | 2 BvF 1/01 | Altenpflege | (-) | (-) | (+) |
2004 | 1 BvR 636/02 | Ladenschluß | (-) | (-) | (-) |
2004 | 2 BvF 2/02 | Juniorprofessur | (-) | (-) | (-) |
2005 | 2 BvF 1/03 | Studiengebühren | (-) | (-) | (-) |
2014 | 2 BvR 1561/12 | Filmförderung | (-) | (-) | (+) |
2014 | 1 BvL 21/12 | Erbschaftsteuer | (-) | (+) | (+) |
2015 | 1 BvF 2/13 | Betreuungsgeld | (-) | (-) | (-) |
Der Referentenentwurf des ProstSchG ignoriert in seinen Ausführungen zur Gesetzgebungskompetenz (S. 37) die vom BVerfG entwickelten Anforderungen vollständig und beläßt es dabei, mit einigen oberflächlichen Wendungen zu behaupten, alle drei Voraussetzungen seien erfüllt.
Die „Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse“ ist unter den drei Zielvorgabe die anspruchsvollste. In seiner Entscheidung zum Betreuungsgeld hat das BVerfG die Anforderungen wie folgt ausformuliert:
Eine Bestimmung ist zur „Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse“ nicht schon dann erforderlich, wenn es nur um das Inkraftsetzen bundeseinheitlicher Regelungen oder um eine allgemeine Verbesserung der Lebensverhältnisse geht. Die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse ist aber dann bedroht und der Bund zum Eingreifen ermächtigt, wenn sich die Lebensverhältnisse in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland in erheblicher, das bundesstaatliche Sozialgefüge beeinträchtigender Weise auseinanderentwickelt haben oder sich eine derartige Entwicklung konkret abzeichnet (vgl. BVerfGE 106, 62 [144]; 111, 226 [253]; 112, 226 [244]). Ein rechtfertigendes besonderes Interesse an einer bundesgesetzlichen Regelung kann auch dann bestehen, wenn sich abzeichnet, dass Regelungen in einzelnen Ländern aufgrund ihrer Mängel zu einer mit der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse unvereinbaren Benachteiligung der Einwohner dieser Länder führen und diese deutlich schlechter stellen als die Einwohner anderer Länder (vgl. BVerfGE 106, 62 [153 f.]; 112, 226 [244 f.]).
Dementsprechend ist es nicht überraschend, daß – wie das Schaubild zeigt – das BVerfG in keinem der bislang strittigen Fällen den Bund insoweit für zuständig erklärt hat. Auch für das ProstRegG ist das nicht zu erwarten. Wie immer Prostitution auch geregelt wird – sei es mehr Liberalisierung oder mehr Repression – eine Auswirkung auf das „bundesstaatliche Sozialgefüge“ ist damit nicht verbunden. Selbst wenn man eine Korrelation zwischen „Prostitutionsgrundversorgung“ und Lebensqualität herstellen würde, würde dies noch nicht die Schwelle der im bundesweiten Sozialgefüge angelegten Makrobetrachtung erreichen. In seiner Entscheidung zu den Studiengebühren hat das BVerfG nicht einmal durch unterschiedliche Regelungsmodelle ausgelöste Wanderungsbewegungen der Empfänger der „Leistung Hochschulausbildung“ als ausreichend, oder ausreichend nachgewiesen, angesehen.
Die Zielvorgaben „Wahrung der Rechtseinheit“ und „Wahrung der Wirtschaftseinheit“ hat das BVerfG in seiner jüngsten Entscheidung so beschrieben und abgegrenzt:
Eine bundesgesetzliche Regelung ist zur Wahrung der Rechtseinheit erforderlich, wenn und soweit die mit ihr erzielbare Einheitlichkeit der rechtlichen Rahmenbedingungen Voraussetzung für die Vermeidung einer Rechtszersplitterung mit problematischen Folgen ist, die im Interesse sowohl des Bundes als auch der Länder nicht hingenommen werden kann (vgl. BVerfGE 125, 141 [155]). Sie ist zur Wahrung der Wirtschaftseinheit erforderlich, wenn und soweit sie Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit des Wirtschaftsraums der Bundesrepublik ist, wenn also unterschiedliche Landesregelungen oder das Untätigbleiben der Länder erhebliche Nachteile für die Gesamtwirtschaft mit sich brächten (vgl. BVerfGE 106, 62 [146 f.]; 112, 226 [248 f.]; BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 17. Dezember 2014 – 1 BvL 21/12 -, juris, Rn. 109). Die Gesichtspunkte der Wahrung der Rechts- und der Wirtschaftseinheit können sich überschneiden, weisen aber unterschiedliche Schwerpunkte auf (vgl. BVerfGE 106, 62 [146]; BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 17. Dezember 2014 – 1 BvL 21/12 -, juris, Rn. 109). Während die Wahrung der Rechtseinheit in erster Linie auf die Vermeidung einer das Zusammenleben erheblich erschwerenden Rechtszersplitterung zielt (vgl. BVerfGE 106, 62 [145]), geht es bei der Wahrung der Wirtschaftseinheit im Schwerpunkt darum, Schranken und Hindernisse für den wirtschaftlichen Verkehr im Bundesgebiet zu beseitigen (vgl. BVerfGE 106, 62 [146 f.]; 125, 141 [155 f.]). Das Merkmal der Erforderlichkeit einer bundesgesetzlichen Regelung zur Erreichung der in Art. 72 Abs. 2 GG genannten Zwecke wird durch den Bezug auf das „gesamtstaatliche Interesse“ in besonderer Weise geprägt. Die Regelung durch Bundesgesetz muss danach nicht unerlässlich für die Rechts- oder Wirtschaftseinheit in dem normierten Bereich sein. Es genügt vielmehr, dass der Bundesgesetzgeber andernfalls nicht unerheblich problematische Entwicklungen in Bezug auf die Rechts- oder Wirtschaftseinheit erwarten darf (vgl. BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 17. Dezember 2014 – 1 BvL 21/12 -, juris, Rn. 109 f.).
Es liegt nahe, ein Gesetz, das sich auf den Kompetenztitel der Wirtschaft stützt, vornehmlich am Maßstab der „Wahrung der Wirtschaftseinheit“ zu messen. Auch hier ist es gerade nicht ausreichend, daß sich durch ein Gesetzgebungsvorhaben allgemeine Verbesserungen in einzelnen Wirtschaftsbereichen einstellen, sondern Bezugspunkt ist die Gesamtwirtschaft, von der Nachteile abgewendet werden sollen. Die „Funktionsfähigkeit des Wirtschaftsraums der Bundesrepublik“ ist die Warte, von der auf das Tätigwerden des Bundes zu blicken ist. Hier gibt der Gesetzentwurf selbst die Auskunft, daß die Gesamtwirtschaft eher unberührt bleibt von der Regelung der Prostitution: „Betroffen ist damit lediglich ein gesamtwirtschaftlich recht schmaler Sektor der Wirtschaft, der überwiegend dem Bereich der kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) zuzurechnen sein dürfte. Die Wirtschaft insgesamt und die Allgemeinheit der Bürger und Bürgerinnen werden nicht belastet.“ (S. 2). Dabei dürften für die Bereiche der Wirtschaft, die eine Nähe zu denjenigen Bereichen eines direkten Kontakts von Personen haben, die nach der Neufassung von Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG ganz auf die Ebene der Landesgesetzgebung übertragen wurden (der Gesetzentwurf spricht diese Nähe selbst an, siehe oben), die Anforderungen an die Bejahung der Erforderlichkeit von vornherein sogar noch höher sein.
Wenn es bei der „Wahrung der Wirtschaftseinheit“ als zentrales Element um die Beseitigung von „Schranken und Hindernisse für den wirtschaftlichen Verkehr im Bundesgebiet“ geht, dann verfehlt das ProstSchG diese Zielvorgabe schon im Ansatz, denn es ist in seiner repressiven Ausrichtung kein Freizügigkeitsermöglichungs- sondern ein Freizügigkeitsbehinderungsgesetz. Daß es für die Prüfung nach Art. 72 Abs. 2 GG auf den konkreten Regelungsinhalt der beabsichtigen Rechtssetzung, nicht auf die ergebnisoffene Regelungsfähigkeit eines Gebietes ankommt, ist in der Entscheidung zum Betreuungsgeld vom BVerfG durchdekliniert worden. Ein Gesetz, das gegenüber dem bisherigen Rechtszustand seiner Haupttendenz nach Beschränkungen der erwerbstätigen Handlungsfreiheiten bringt (Thomas Stadler: „Das Gesetz ist also ganz ersichtlich ein Prostitutionserschwerungsgesetz.“), lokal und grenzüberschreitend (Pflicht zur Mehrfachmeldung bei verschiedenen Gemeinden), ist kein Gesetz, das zur Wahrung der Wirtschaftseinheit erforderlich ist. Es mag ein Gesetz sein, das zur Bekämpfung von Gefahren in dem nunmehr erweitert verstandenen Wirtschaftsleben für erforderlich angesehen wird, aber dies löst den „Erfordernisfall“ des Art. 72 Abs. 2 GG gerade nicht aus, sondern ist und bleibt Sache der Landesgesetzgebung.
Die geplanten Prostitutionsregelungen lassen sich auch nicht aufgrund ihrer (erklärten) Nähe zum herkömmlichen, in der Gewerbeordnung bundeseinheitlich geregelten Gewerberecht als Teil einer umfassenden wirtschaftlichen Rahmenordnung rechtfertigen. Die Anlehnung an gewerberechtliche Strukturen ändert nichts daran, daß der Rechtsrahmen hier, anders als dort, nicht dem Wirtschaften dient, sondern umgekehrt Anreize zu seiner Beendigung schaffen soll (Entwurf, S. 31: „Zielsetzung […] den Ausstieg aus der Prostitution zu erleichtern“).
Ist die Gesamtwirtschaft schon nicht betroffen, kommt es auf die weitere Voraussetzung, daß die (eingetretenen, oder – wie hier – vorsorglich abzuwehrenden) Nachteile „erheblich“ sein müssen und ein „gesamtstaatliches Interesse“ betreffen, nicht mehr an.
Abseits der gesamtwirtschaftlichen Betrachtungsweise läßt sich das ProstSchG auch nicht mit der Zielvorgabe „Wahrung der Rechtseinheit“ rechtfertigen. In seiner Entscheidung zu den Juniorprofessuren hat das BVerfG speziell hierzu präzisiert, nachdem es daran erinnerte, daß im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung das Grundgesetz eine Rechtsvielfalt prinzipiell zuläßt:
Einheitliche Rechtsregeln können in diesen Bereichen aber erforderlich werden, wenn eine unterschiedliche rechtliche Behandlung desselben Lebenssachverhalts unter Umständen erhebliche Rechtsunsicherheiten und damit unzumutbare Behinderungen für den länderübergreifenden Rechtsverkehr erzeugen kann. Um dieser sich unmittelbar aus der Rechtslage ergebenden Bedrohung von Rechtssicherheit und Freizügigkeit im Bundesstaat entgegen zu wirken, kann der Bund eine bundesgesetzlich einheitliche Lösung wählen (vgl. BVerfGE 106, 62 [146]).
In Sachen Prostitution gibt es derzeit faktisch eine weitgehende bundesweite Rechtseinheit, nämlich durch Fehlen von Regelungen. Sollte irgendeinmal die einsetzende, vom Grundgesetz vorausgesetzte föderale Vielfalt von Regelungskonzepten dazu führen, daß Probleme unter den genannten Gesichtspunkten dieser Zielvorgabe auftreten, so wären diese vom Bundesgesetzgeber auszuwerten und auf einen Handlungsbedarf zu hinterfragen. Solange es diese Probleme nicht einmal gibt, stellt sich die Frage ihres Ausmaßes nicht (dazu, daß die Frage der Erforderlichkeit immer wieder neu stellen kann: BVerfG, Urteil vom 26. Januar 2005 – 2 BvF 1/03 -, Studiengebühren).
Das ProstSchG ist der nächste Prüfstein für Art. 72 Abs. 2 GG. Bleibt das BVerfG bei seiner erst kürzlich bekräftigten Linie, wird es das Gesetz aller Voraussicht nach kippen, falls es verabschiedet werden sollte. Anders als beim Betreuungsgeld steht hier zur gerichtlichen Klärung nicht nur die abstrakte Normenkontrolle (auch auf Antrag jedes Landesparlaments, Art. 93 Abs. 1 Nr. 2a GG), sondern auch für jeden Betroffenen die Verfassungsbeschwerde zur Verfügung.