De legibus-Blog

1. April 2013

NSU-Verfahren: Wer hat im Strafprozeßrecht die Hosen an?

Oliver García

Bis in die 1960er Jahre gab es in Deutschland Gerichtsfernsehen. Verhandlungen durften aufgezeichnet und im Fernsehen gesendet werden. Heute gilt in Deutschland Gerichtsfernsehen unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten als „Teufelszeug“, obwohl es in vielen Ländern praktiziert wird und auch der EGMR seine mündlichen Verhandlungen aufzeichnet und ins Internet stellt. Was war geschehen?

Aufzeichnungen im Gerichtssaal zum Zwecke der Veröffentlichung waren schon länger umstritten, bevor sie durch Gesetz vom 19. Dezember 1964 (BGBl. I S. 1067) gänzlich verboten wurden (§ 169 GVG in der heutigen Fassung). Doch besonders sensibilisiert reagierte die Politik, als es einige „der ihren“ erwischte: Der Bonner Landgerichtsdirektor Helmut Quirini, eine Art „Starrichter“ seiner Zeit mit einer besonderen Medienfreudigkeit („Treten Sie doch näher, bitte ganz nahe ran zu mir. Willkommen bei uns!„), hatte es wohl übertrieben, als er ausgerechnet beim Präsidenten der EWG-Kommission Walter Hallstein, der als Angeklagter vor ihm stand, eine Art Schauprozeß mit Fernsehkameras abhielt. So kam es jedenfalls in der Politik an.

Wenn es bei Walter Hallstein keinen Schauprozeß geben darf, dann natürlich auch nicht bei Beate Zschäpe und ihren Mitangeklagten im NSU-Prozeß, der Mitte April vor dem OLG München beginnt. Das findet OLG-Präsident Karl Huber und da hat er Recht. Doch was heißt hier eigentlich Schauprozeß? Das Gerichtsfernsehen ist ja gesetzlich verboten. Für Huber fängt Schauprozeß offenbar schon an bei Fragen der Größe des Verhandlungssaales, der Platzverteilung unter Journalisten und der Frage, ob die Verhandlung in einen Nebensaal übertragen werden darf. Der Begriff Schauprozeß hat von seinem früheren Glanz viel eingebüßt.

Mittlerweile konzentriert sich der Streit – bei dem es sich ersichtlich auch um eine Medienkampagne handelt, was schon einmal passiert, wenn die Medien „in eigener Sache“ berichten – um die Frage, ob ausländische, vor allem türkische Journalisten angemessen repräsentiert sind im Kontingent der für die Medien reservierten Plätze. Hier scheint der Vorsitzende Richter Manfred Götzl („Raubein mit Robe“), der für diese Fragen kraft seiner Sitzungsgewalt nach § 176 GVG zuständig ist (und niemand sonst, auch nicht der Gerichtspräsident), hart bleiben zu wollen. Nachdem er bereits – auf Druck von Medien und Politik – bei der Frage eines Sitzplatzes für den türkischen Botschafter nachgegeben hat, scheint er nun zeigen zu wollen, wer „die Hosen anhat“ – die Medien mit ihrem Trommelfeuer und die Politiker oder er, das „Raubein“.

Maßnahmen der Sitzungspolizei unterliegen – abgesehen vom hier nicht vorliegenden Fall offensichtlich fehlerhafter Maßnahmen – der richterlichen Unabhängigkeit (BGH, Urteil vom 27. September 1976 – RiZ(R) 3/75). Obwohl im Zusammenhang mit dem Fall Mollath einige Politiker und Justizvertreter die Öffentlichkeit etwas anderes glauben machen wollten, ist es selbstverständlich erlaubt, daß die Politik Entscheidungen, die in richterlicher Unabhängig getroffen werden, kritisiert. Das tun nun mit voller Berechtigung Politiker jeder politischen Couleur. Anders als etwa das rechtskonservative Blog „Zettels Raum“ bin ich nicht der Meinung, daß der NSU-Prozeß nur dann eine „Sternstunde für den demokratischen Rechtsstaat“ werden könnte, wenn Richter Götzl dem aufgebauten Druck von Seiten der Medien und der Politik standhält.

Ich gehe sogar einen Schritt weiter: Die Politik hat die legitime Möglichkeit, den Bereich der argumentativen Überzeugungsarbeit zu verlassen und Richter Götzl zu zeigen, wer tatsächlich im Strafprozeßrecht die Hosen anhat. Unter diesen Hosen verstecken sich nicht immer Raubeine. Der Bundesgesetzgeber hat die Möglichkeit, die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens so zu ändern, daß die derzeit diskutierten Fragen (Übertragung in einen anderen Saal; Zugang von ausländischen Journalisten bei Prozessen mit Auslandsbezug) eindeutig in einem Sinne zu beantworten sind. Die Gesetzesbindung von Richter Götzl tut dann das übrige. Genau das hat nun auch Justizministerin Beate Merk gefordert. Nur meinte sie, das ginge „natürlich“ nicht mehr für den NSU-Prozeß. Irrtum, das geht. Die diversen Finanzkrisen der letzten Jahre haben gezeigt, daß in Fällen, wo ein übereinstimmender politischer Wille mit besonderer Eilbedürftigkeit zusammentrifft, ein Gesetz innerhalb weniger Tage erlassen werden kann, einschließlich Verkündung im Bundesgesetzblatt. Und das ist kein Aprilscherz.

Nachtrag vom 4. April 2013

Laut Pressebericht prüfen SPD und CDU/CSU im Bundestag nun eine Gesetzesänderung, mit der die Zulässigkeit der Übertragung in einen anderen Saal klargestellt werden soll.

Zitiervorschlag für diesen Beitrag:
https://blog.delegibus.com/3242

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  1. […] es zunächst mal um den Zugang und die Sitzplatzverteilung geht, und der schönen und interessanten Frage, wer im deutschen Strafprozess die Hosen an hat, vgl. auch hier, hier, hier, […]

    Pingback von Wochenspiegel für die 14. KW., das waren u.a. das NSU-Verfahren, die Pleite in Thüringen und Drogen beim OLG - JURION Strafrecht Blog — 7. April 2013 @ 11:03

  2. […] Die Frage, wer im deutschen Strafprozess die Hosen an hat, […]

    Pingback von Sommerpause im NSU-Verfahren - ein (Zwischen)Blick zurück ohne Zorn... - JURION Strafrecht Blog — 12. August 2013 @ 14:51