De legibus-Blog

5. Dezember 2010

Reichstagsprotokolle online: Eine Fundgrube des Rechts

Thomas Fuchs

Wer sich über die Geschichte der Arbeitsgerichtsbarkeit informieren will, findet in den einschlägigen Kommentaren zum Arbeitsgerichtsgesetz (zum Beispiel Claas-Hinrich Germelmann et al., Arbeitsgerichtsgesetz. Kommentar, 7. Auflage 2009; Rudi Müller-Glöge/Ulrich Preis/Ingrid Schmidt, Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 11. Auflage 2011; Klaus Hümmerich†/Winfried Boecken/Franz Josef Düwell, AnwaltKommentar Arbeitsrecht, 2. Auflage 2009) buchstäblich nichts. Bei der Kommentierung der einzelnen Paragrafen werden nicht einmal Bezüge zur ursprünglichen Gesetzesbegründung hergestellt. Ich habe das vor allem anhand der Kommentierung zu § 54 ArbGG über die arbeitsgerichtliche Güteverhandlung festgestellt.

Das derzeit geltende Arbeitsgerichtsgesetz vom 3. September 1953 (BGBl. I 1953 S. 1267) geht auf das Arbeitsgerichtsgesetz vom 23. Dezember 1926 (RGBl. I 1926 S. 507) zurück. Die Begründung zum älteren Arbeitsgerichtsgesetz ist inzwischen leichter zugänglich als die zum jüngeren, nämlich auf der Website „Verhandlungen des Deutschen Reichstags„:

  • Entwurf eines Arbeitsgerichtsgesetzes nebst Begründung (RT-Drucks. III/2065)
  • Mündlicher Bericht des 9. Ausschusses (Sozialpolitik) über den Entwurf eines Arbeitsgerichtsgesetzes (RT-Drucks. III/2795)
  • Bericht des 9. Ausschusses (Soziale Angelegenheiten) über den Entwurf eines Arbeitsgerichtsgesetzes (RT-Drucks. III/3019)

Dort findet sich nicht nur ein hoch interessanter Abriss über die geschichtliche Entwicklung der Arbeitsgerichtsbarkeit (RT-Drucks. III/2065 S. 19), sondern auch Erhellendes über die Güteverhandlung. Wer sich noch an das Theater erinnert, das anlässlich der Einführung der Güteverhandlung nach § 278 Abs. 2—5 ZPO vor den Eingangsgerichten der ordentlichen Gerichtsbarkeit veranstaltet wurde (BT-Drucks. 14/4722 S. 8—9, 62, 83—84, 147—148, 155—156), wird Folgendes mit Erstaunen lesen (RT-Drucks. III/2065, S. 39—40):

Die Zivilprozeßordnung sieht […] ein selbständiges Güteverfahren vor der Erhebung der Klage, also vor Beginn des eigentlichen Prozesses, vor. Diese Regelung ist getroffen, um dem Güteverfahren praktische Bedeutung zu geben und es nicht zu einem rein förmlichen Vergleichsversuche des Gerichts während der streitigen Verhandlung herabsinken zu lassen. Dieses Ziel läßt sich im arbeitsgerichtlichen Verfahren auf einfachere Weise, im Anschluß an die bewährte Übung der Gewerbegerichte und Kaufmannsgerichte auf Grund des § 41 des Gewerbegerichtsgesetzes, erreichen. Das Güteverfahren soll hier im Prozeß selbst, aber vor der streitigen Verhandlung liegen.

Der arbeitsgerichtliche Rechtsstreit wird deshalb durch die Klageerhebung beim Arbeitsgericht eingeleitet. Die Klage kann sowohl schriftlich beim Arbeitsgericht eingereicht wie mündlich bei seiner Geschäftsstelle zur Niederschrift angebracht oder an einem ordentlichen Gerichtstag vor dem Arbeitsgerichte durch mündlichen Vortrag erhoben werden. Eine schriftliche Klagebeantwortung ist nach der bisherigen Übung des gewerbegerichtlichen Verfahrens nicht erforderlich; die Gegenäußerung des Beklagten kann vielmehr mündlich in der Verhandlung erfolgen. Das Gericht kann den Beklagten jedoch in Ausnahmefällen zum Zwecke der besseren Vorbereitung der Verhandlung zu einer schriftlichen Klagebeantwortung auffordern, ohne daß für den Beklagten ein Zwang besteht, dieser Aufforderung nachzukommen.

Die Güteverhandlung ist danach keineswegs eine Erfindung der Arbeitsgerichtsbarkeit. Sie hat ältere Wurzeln und war in ähnlicher Form auch schon einmal in der Zivilprozessordnung verankert. Es wird Zeit, dass ich eine historisch-synoptische Edition der Zivilprozessordnung vorlege.

Zitiervorschlag für diesen Beitrag:
https://blog.delegibus.com/314

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