De legibus-Blog

4. November 2012

Schützt ein Streikverbot für Lehrer den Rechtsstaat?

Oliver García

Daß eine Gewerkschaft mit aller Kraft gegen das Streikrecht kämpft, das gibt es vielleicht nur in Deutschland. Der DBB Beamtenbund und Tarifunion hat nun den Generalangriff angetreten gegen Bestrebungen in der Rechtsprechung, beamteten Lehrern das Streiken zu erlauben oder sie zumindest nicht dafür zu bestrafen. Er hat bei dem früheren Bundesverfassungsrichter Udo Di Fabio zu diesem Zweck ein Gutachten in Auftrag gegeben, das letzte Woche vorgestellt wurde. Der DBB verfolgt zwei Zwecke: Beamte einzuschüchtern, die mit dem Gedanken spielen, einem Streikaufruf zu folgen (DBB-Vorsitzender Peter Heesen: „Jeder Beamte weiß nun, was er tunlichst nicht tun sollte, um nicht zu Problemen zu kommen, die ihm am Ende keine Freude machen.“) und die zuständigen Instanzen (Regierungen, Gesetzgeber und Gerichte) auf Kurs zu bringen.

Nachdem im Jahr 2009 der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in einem die Türkei betreffenden Fall entschieden hatte, daß ein pauschales Streikverbot für Beamte gegen Art. 11 MRK verstößt (EGMR, Beschluß vom 21. April 2009 – 68959/01), hat das VG Düsseldorf die Verhängung einer Disziplinarmaßnahme gegen eine streikende Lehrerin für rechtswidrig erklärt (Urteil vom 15. Dezember 2010 – 31 K 3904/10.O). Ging das VG Düsseldorf dabei noch von einem Streikverbot für Lehrer aus, dessen Verletzung unter Berücksichtigung der Europäischen Menschenrechtskonvention nur nicht mehr geahndet werden dürfte, ging das VG Kassel weiter und entschied, daß es kein Streikverbot für Lehrer gebe (Urteile vom 27. Juli 2011 – 28 K 574/10.KS.D und 28 K 1208/10.KS.D). Demgegenüber halten die Oberverwaltungsgerichte, die sich bislang geäußert haben, daran fest, daß es ein Streikverbot gebe und es auch disziplinarrechtlich durchgesetzt werden könne (OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 07. März 2012 – 3d A 317/11; OVG Niedersachsen, Urteil vom 12. Juni 2012 – 20 BD 7/11). Auch das Bundesverwaltungsgericht hat sich bereits zu Wort gemeldet. Der 2. Senat hielt es in einem Verfahren, das mit Beamtenstreiks gar nichts zu tun hatte, für erforderlich, zu erklären, das Streikverbot für Beamte habe Verfassungsrang (Beschluß vom 21. Juni 2012 – 2 B 23.12).

Di Fabio kommt in seinem Gutachten zu dem Ergebnis, daß es ein Streikverbot nicht nur gebe für Beamte, die im hoheitlichen Kernbereich tätig sind (dagegen hätte voraussichtlich auch der EGMR keine Einwände, vgl. Art. 11 Abs. 2 Satz 2 MRK), sondern auch für alle anderen Beamten und daß eine Differenzierung eine verfassungswidrige Durchbrechung des deutschen Konzepts vom Berufsbeamtentum wäre („Unteilbarkeit des Beamtenstatus“). Und das Berufsbeamtentum sei nach deutschem Verfassungsverständnis ein Garant der Rechtsstaatlichkeit.

Was ist davon zu halten? Es sind zwei Fragen zu unterscheiden: 1. Gibt es überhaupt ein (pauschales) Streikverbot für Beamte im deutschen Recht? 2. Was passiert, wenn das nach der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht zulässig ist (was vielleicht der EGMR einmal feststellen wird – das ist das eigentliche Schreckgespenst für den DBB)?

Was die erste Frage betrifft, so kann man argumentieren, daß die Annahme, es gäbe ein Streikverbot, das Ergebnis einer reinen Autosuggestion ist. Es gibt keine einfach-rechtliche Norm, die ein Streikverbot aufstellt. Es wird vielmehr unmittelbar mit Art. 33 Abs. 5 GG argumentiert. Die Norm enthält aber ihrem Wortlaut nach nur einen programmatischen Regelungsauftrag an den Gesetzgeber. Nun gut, das Bundesverfassungsgericht hat im Laufe der Zeit aus ihr ein Füllhorn von unmittelbar geltenden Rechtssätzen gemacht. Bemerkenswerterweise hat das Bundesverfassungsgericht aber nie entschieden, daß dieses Füllhorn auch ein Streikverbot enthält. Es hat nur vor vielen Jahrzehnten zweimal en passant, im Rahmen einer Gedankenführung die Annahme ausgesprochen, daß es ein Streikverbot gäbe (Beschluß vom 11. Juni 1958 – 1 BvR 1/52; Beschluß vom 30. März 1977 – 2 BvR 1039/75). Die Frage war aber nie Gegenstand einer echten verfassungsrechtlichen Prüfung (deshalb geht übrigens die Argumentation mancher Verwaltungsgerichte ins Leere, die mit einer Bindungswirkung gem. § 31 BVerfGG operieren).

Was die zweite Frage betrifft, so gibt es eigentlich nur drei Antwortmöglichkeiten: Entweder wird die deutsche Rechtslage (falls nötig, das Grundgesetz) geändert, um sie an die Anforderungen der MRK anzupassen. Oder Deutschland wirkt auf eine kurzfristige Änderung der MRK hin (das dürfte schwierig sein, weil rund 50 Parlamente in Europa zustimmen müßten). Oder Deutschland muß die MRK kündigen. Dieselbe Situation gab es bereits beim Thema nachträgliche Sicherungsverwahrung, wo allerdings das BVerfG letztlich doch auf die Linie des EGMR eingeschwenkt ist.

Vor diesem Hintergrund scheint mir das Di-Fabio-Gutachten an der Sache vorbei zu gehen. Es hätte den Schwerpunkt darauf setzen müssen, ob die MRK so ausgelegt werden kann, daß das vom Autor als geheiligt angesehene Streikverbot für Lehrer aufgrund von deutschen Besonderheiten (?) Bestand hat.

Vielleicht hat Di Fabio sogar etwas dazu geschrieben. In seiner mündlichen Zusammenfassung gibt er immerhin dem EGMR den Rat, die deutsche Verfassungsidentität (in der Form seines Gutachtenergebnisses) zu achten (vergleiche zu diesem Topos „Die Menschenwürde des Angeklagten und die nationale Identität des Königreichs Spanien“). Doch das Gutachten kann man leider nicht online lesen (man kann es bei C.H. Beck kaufen). Sicher steht auch etwas darin, warum das Rechtsstaatsprinzip Schaden nimmt, wenn beamtete Angehörige des öffentlichen Diensts streiken, es aber sehr gut damit zurecht kommt, wenn Angestellte im öffentlichen Dienst streiken.

Übrigens hat das BVerfG in seinem Beschluss vom 19. September 2007 – 2 BvF 3/02 – einem Verfahren, an dem Di Fabio mitgewirkt hat – empfohlen, Lehrer künftig eher als Angestellte einzustellen: „Eine derartige Vorgehensweise brächte die Anforderungen des Sozialstaatsprinzips und die Gewährleistungen des Art. 33 Abs. 5 GG zur praktischen Konkordanz.“ Dann klappt es jedenfalls auch mit dem Streikrecht.

Zitiervorschlag für diesen Beitrag:
https://blog.delegibus.com/2584

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