Ich bin immer wieder beeindruckt vom Anspruch US-amerikanischer juristischer Zeitschriften. Nehmen wir zum Beispiel das Duke Law Journal. Der Leitaufsatz der Oktober-Ausgabe umfasst 130 Seiten. Erwünscht sind nicht nur dort 40 bis 70 Seiten. Beides wäre bei uns völlig undenkbar, selbst bei Zeitschriften wie dem Archiv für die civilistische Praxis oder dem Archiv des öffentlichen Rechts. Große, eigenständige Entwürfe sind mit den gegebenen Seitenlimits, bei den Praktikerzeitschriften höchstens acht bis zehn Seiten und bei den Wissenschaftszeitschriften nicht mehr als 20 bis 30 Seiten, bei uns nicht möglich. Stattdessen herrscht der in Kurzformate gepresste Zeitgeist, der von den Bundesgerichten mit den zufällig zu ihnen gelangenden Fällen diktiert wird. Ich sehe darin einen der Gründe, weshalb die deutsche Rechtswissenschaft international inzwischen weitgehend an Bedeutung verloren hat. Die Jurisprudenz wird nicht mehr als Regelungssysteme konstruierende (oder, was mir lieber ist, dekonstruierende) Gedankenkunst begriffen, sondern als Profan-Anleitung für die deutsche Praxis. Eindrucksvolle Beiträge, die man nicht mal eben so überfliegen kann, sondern mit denen man sich beschäftigen muss und über die man spricht, bleiben deshalb weitgehend aus.