Die widerlichste Erscheinung in der historischen Reihe bundesdeutscher Spitzenbeamter dürfte Kurt Rebmann gewesen sein. Er war gerade Generalbundesanwalt geworden – ein Amt, das er bis 1990 innehaben sollte -, als die RAF im September 1977 Hanns Martin Schleyer entführte. In einer Krisensitzung, an der Rebmann teilnahm, wurden Handlungsmöglichkeiten beraten. Bundeskanzler Helmut Schmidt hatte um Vorschläge gebeten, ausdrücklich auch um „exotische“. Rebmanns Vorschlag lautete wie folgt:
Der Bundestag ändert unverzüglich Artikel 102 des Grundgesetzes, der lautet: „Die Todesstrafe ist abgeschafft.“ Statt dessen können nach Grundgesetzänderung solche Personen erschossen werden, die von Terroristen durch menschenerpresserische Geiselnahme befreit werden sollen. Durch höchstrichterlichen Spruch wird das Todesurteil gefällt. Keine Rechtsmittel möglich.
Doch auch im kleineren Maßstab ließ ihn seine juristische Kreativität später nicht im Stich. Als im Februar 1989 die RAF-Gefangenen in einen kollektiven Hungerstreik traten, versetzte er die Fachwelt in – sei es kopfschüttelnde oder bewundernde – Verblüffung durch seine Idee, den Hungerstreik als erneute Gründung einer terroristischen Vereinigung anzusehen und deshalb ein Ermittlungsverfahren einzuleiten. Rebmanns Gespür für die Dehnbarkeit von Rechtsnormen machte ihn in seiner 13-jährigen Amtszeit als Generalbundesanwalt zum Baumeister eines politischen Strafrechts, das schon den Kauf eines Reiseweckers mit fünf Jahren Gefängnis ahndete.
An Rebmann und seinen juristischen Einfallsreichtum mußte ich dieser Tage denken bei den Berichten über Hans-Georg Maaßen, den designierten neuen Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz – also einer jener Behörden, von denen der CSU-Innenexperte Uhl sagte, daß sie das Land leiten. Maaßen war 2002 Referatsleiter im Bundesinnenministerium und bekam die Aufgabe, zu prüfen, inwieweit der aus Bremen stammenden Guantánamo-Häftling Murat Kurnaz bei einer etwaigen Freilassung an einer Wiedereinreise nach Deutschland gehindert werden könne, ein Ziel, das der damaligen Bundesregierung sehr am Herzen lag. Maaßen fand heraus: Die Lösung stehe im Gesetz. Nach § 44 Abs. 1 Nr. 3 AuslG sei Kurnaz‘ Aufenthaltsgenehmigung ohnehin erloschen, da er nicht in innerhalb von sechs Monaten seit seiner Ausreise aus Deutschland wieder eingereist war. Einen Monat, nachdem Kurnaz Deutschland verlassen hatte, war er in Pakistan verhaftet und dann von den US-Streitkräften nach Guantánamo verschleppt worden. Erst 2006 wurde er entlassen.
Im politischen Streit um diesen Fall ging es vor allem darum, ob die damalige Bundesregierung eine frühere Entlassung Kurnaz‘ (von dessen Unschuld die Sicherheitsorgane ausgingen und die später auch gerichtlich festgestellt wurde) hintertrieben oder zumindest nicht genug auf eine solche hingewirkt hatte. Von tatsächlichen Fragen, die später auch in einem Untersuchungsausschuß des Bundestags geklärt werden sollten, abgesehen, kann man hier durchaus streiten, inwieweit eine Fürsorgepflicht der Bundesregierung für einen türkischen Staatsangehörigen besteht. Eine davon unabhängige Frage war aber die Anwendung des Ausländerrechts auf diesen Fall – und hierfür war Maaßen als Spezialist gefragt.
Natürlich war Maaßens Lösung nicht haltbar, das VG Bremen hat es später festgestellt (Urteil vom 30. November 2005 – 4 K 1013/05). Maaßen wandte den Wortlaut einer Vorschrift an, ohne sich um ihre Ratio zu kümmern. § 44 Abs. 1 Nr. 3 AuslG setzte voraus, daß der Betroffene wenigstens theoretisch eine Rückkehrmöglichkeit hat. Wenn eine solche ausnahmsweise logisch ganz fehlt (das muß nicht einmal eine Verschleppung an einen Ort ohne Außenkontakt sein, sondern könnte auch darin bestehen, daß der Betroffene vor der Rückreise in ein Koma fällt), dann liegt es auf der Hand, daß die Norm von vornherein nicht „greift“, und stelle sie auch noch so sehr eine eigentlich „unwiderlegliche Vermutung“ auf (hier: dafür, daß ein Rückkehrwille nach Deutschland fehlt).
Als im Jahr 2007 ein Untersuchungsausschuß des Bundestag sich des Falles Kurnaz annahm, wurde auch Maaßen geladen, um seine damalige Rechtsauffassung zu erläutern. In der Berichterstattung erschien er als Vertreter einer „geradezu perfekt funktionierenden, unerbittlichen, klinisch reinen staatlichen Verwaltungsmaschinerie“ (taz). Beigetragen hat dazu der kalte Hauch der von ihm in den Ausschuß hineingetragene Technokratensprache, mit der er die Bitte der Bundesregierung an die Gefängnisschergen in Guantánamo rechtfertigte, die Aufenthaltserlaubnis in Kurnaz‘ Paß zu streichen: „Die physikalische Ungültigmachung stellt keinen eigenständigen rechtsgestaltenden Verwaltungsakt dar.“ (taz: „Deutlichere Worte über Murat Kurnaz sind selten gefallen.“).
Maaßens Entscheidungsvorlage von 2002 und sein Bundestagsauftritt von 2007 holen ihn nun, anläßlich seiner Ernennung zum BfV-Chef, wieder ein. Spiegel Online titelt: „Referatsleiter Gnadenlos“. Die FU Berlin verweigert ihm die eigentlich schon versprochene Ernennung zum Honorarprofessor.
Aber ist es wirklich so schlimm, daß er als Behördenjurist das lieferte, was man von ihm verlangte? Auch ein Rechtsanwalt wirft eine schlechte Rechtsauffassung in die Schlacht, wenn er über eine bessere nicht verfügt. Man kann es doch mal versuchen, ja man muß es wohl zuweilen, im Interesse des Mandanten. Die Gerichte mögen dann entscheiden.
Schwerwiegender als der Verdacht der „Kaltherzigkeit“ (Spiegel online) ist ein anderer: Daß das Verhalten Maaßens im Kurnaz-Fall nicht einer unterkühlten Technokratenmentalität entsprang, sondern im Gegenteil Ausdruck eines leidenschaftlichen Freund-Feind-Denkens war.
Maaßen, seit 2008 im Bundesinnenministerium schwerpunktmäßig für die Terrorismusbekämpfung zuständig, schrieb für die Oktoberausgabe 2011 der Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik einen Beitrag, der auf den ersten Blick dort nicht hineingehört. Der Beitrag mit dem Titel „Staatsangehörigkeitsrechtliche Fragen der Terrorismusbekämpfung“ (ZAR 2011, 336) befaßt sich nämlich nicht mit Ausländerrecht (AufenthG) sondern mit „Inländerrecht“ (StAG). Natürlich, auch das Staatsangehörigkeitsrecht läßt sich zum Ausländerrecht zählen insoweit, als es die Einbürgerung und die Ausbürgerung regelt – und hierum geht es Maaßen in seinem Beitrag. Er befaßt sich mit dem steigenden Anteil deutscher Staatsangehöriger unter den Islamisten und spielt Möglichkeiten durch, Einbürgerungen von künftigen Islamisten besser zu vermeiden und gewordene auszubürgern.
Im Tagesspiegel ist Maaßens aktueller Beitrag zum Anlaß genommen worden, daran zu zweifeln, ob er der Richtige ist für die Leitung des BfV, jetzt wo besonders Fachkenntnis und Engagement im Kampf gegen den rechten Terror gefragt seien. Eine solche Frage entspringt der zu kurz greifenden Logik einer Mediengesellschaft, wonach die größten Probleme immer da sind, wo die größten Schlagzeilen sind. Dabei besteht keine Korrelation zwischen islamistischem und rechtem Terror dahin, daß ersterer zurückgeht, wenn letzterer ansteigt.
Maaßens aktuelles Engagement in Fragen islamistischer Bedrohungen spricht, auch wenn es medienwirksam gerade falsch investiert erscheint, nicht gegen seine Qualifikation. Wenn nur sein Beitrag nicht eine gewisse Grundtendenz durchschimmern ließe wie in dieser Passage:
Man muss deshalb als Tatsache zur Kenntnis nehmen, dass die geltende Rechtslage nicht ausschließt, dass es Fälle gibt und geben wird, in denen terroristische Gefährder die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben und Eingebürgerte sich in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Einbürgerung radikalisieren. Damit ist es auch möglich, dass terroristische Gefährder als nominell deutsche Staatsangehörige Deutsche oder Staatsangehörige befreundeter Staaten töten, oder deutsche Interessen im Inland oder im Ausland erheblich schädigen.
Sein Operieren mit einer deutschen Staatsangehörigkeit zweiter Klasse mit einem Anflug von völkischem Element („Deutsche“ – „nominell deutsche Staatsangehörige“) ist schon etwas beklemmend. Noch bedenklicher ist seine Fixierung darauf, wer wen tötet. Zum Vergleich: Bei den NSU-Anschlägen sind, in seiner Terminologie gesprochen, „nominell deutsche Staatsangehörige“ durch „Deutsche“ getötet worden. Oder ist es gerade die Eigenschaft als „terroristischer Gefährder“, die einen Deutschen zu einem „nominell deutschen Staatsangehörigen“ zurückstuft – frei nach Jakobs? Das Freund-Feind-Schema, das dem Denken Maaßens zugrunde zu liegen scheint, kommt vielleicht in seiner Sorge um „Staatsangehörige befreundeter Staaten“ zum Ausdruck. Ist es weniger schlimm, wenn deutsche terroristische Gefährder Staatsangehörige nicht befreundeter Staaten töten?
Nein, ein „schrecklicher Jurist“ wie Kurt Rebmann ist Maaßen bei alldem nicht – jedenfalls hatte er noch keine Gelegenheit zu zeigen, wie weit er gehen würde.