Das neue Jahr ist nur wenige Tage alt und schon begeistert uns die Geschäftsidee einer Kfz-Versicherung, die in den USA bereits erfolgreich ist und dringend auch bei uns zum Modell der Wahl werden muss: Die Black Box für den Pkw oder – wie sie wohlklingend auch genannt wird – der „Unfalldatenspeicher“.
Dem geneigten Verbraucher winkt die Chance auf einen reduzierten Versicherungsbeitrag oder gar der Titel „Autofahrer des Jahres“ oder „Autofahrer des Monats“ und – Hand auf’s Herz – wer wollte das nicht schon immer mal werden? Zudem soll das Modell für absolut individuelle Beiträge sorgen können. Individualität! Wenn uns eine Aussicht wirklich begeistern kann, dann die Aussicht, nicht in einer dumpfen Masse ewig gleich belasteter Beitragszahler dahinzuvegetieren, sondern einen nur auf uns zugeschnittenen Beitragssatz zu zahlen. Hunderte, wenn nicht tausende Autofahrer fragen sich: „Was muss ich tun? Wie kann ich möglichst schnell teilhaben an dieser schönen, neuen Welt? Wie funktioniert das System?“
Der in den letzten Tagen durch die Presse gehende „Unfalldatenspeicher“ ist ein kleiner Kasten, der im Pkw installiert ist und Daten an eine Datensammelstelle sendet. Die Daten betreffen GPS-Signale mit räumlicher Ortung, Fahrverhalten wie Häufigkeit und Stärke von Beschleunigungen und Bremsungen, Fahrstrecken wie ländliche oder städtische Bereiche, Fahrtzeiten nach Dauer und Tageszeit.
Wie es mit der Aufzeichnung der Signale für fehlendes Gurtanlegen beim Fahrer oder einem der Beifahrer aussieht, ist mir nicht bekannt. Ebenso wenig ist bislang klar, ob auch das Schließverhalten, also die konkrete Dauer des unverriegelten Autozustands im Stand, erfasst werden soll. Denkbar wäre noch eine kleine Kamera zur Überprüfung des Wageninnenraumzustands, denn der Pflegezustand des Kfz lässt auch beitragserhebliche Schlüsse auf den sorgsamen oder weniger sorgsamen Umgang des Halters mit seinem Auto schließen. Eine weitere Idee wäre, auch die Häufigkeit der Radio- oder CD-Nutzung, sowie deren durchschnittliche Lautstärke und ggf. Art des Senders oder der bevorzugten Musikrichtung zur Eingruppierung in Beitragsklassen zu nutzen. Volksmusikfreunde mit gelegentlicher Radionutzung – nicht über das erste Drittel des Lautstärkereglers hinaus – könnten niedrigere Beiträge zahlen müssen als Metallica-Fans mit Hang zur Beschallung ganzer Kreuzungen.
Eine Aufzeichnung der Wageninnenraumgespräche und -geräusche ist bislang wohl nicht vorgesehen, obwohl natürlich auch diese Daten von Relevanz sind für die Prüfung der Ablenkung des Fahrers und der Nutzungsgewohnheiten des Pkw (so könnte ein regelmäßiges Essen oder Trinken im Fahrzeug ein Risikofaktor sein, der eine Beitragshöhergruppierung erfordert). Technisch möglich wäre zudem sicher die Aufzeichnung der Häufigkeit der über die Freisprecheinrichtung ein- oder ausgegangenen Telefonate – am besten gleich mit Verbindungsdaten und Dauer, um das Ausmaß der Ablenkung vom oder der Konzentration auf den Straßenverkehr beurteilen zu können. Vielleicht wäre sogar fakultativ die inhaltliche Aufzeichnung der Telefonate wählbar. Hierdurch könnte der Autofahrer beweisen, dass er nichts, aber auch gar nichts zu verbergen hat und damit für das Ranking für den Titel „Autofahrer des Jahres“ Harmlosigkeitspunkte oder Gesetzestreuepunkte erwerben.
Das System ist jedenfalls ausbaufähig und kann technisch ohne Schwierigkeiten alle Daten des Bordcomputers und der Kfz-Elektronik nicht nur aufzeichnen, sondern auch weiterleiten.
Die erhobenen Daten werden von einem privaten Unternehmen gesammelt, gespeichert und für die Versicherung ausgewertet. Die statistische Auswertung führt dann zur Unterscheidung verschiedener beitragsrelevanter Faktoren, deren Verästelung und Vielfältigkeit keine Grenzen gesetzt sind: Wie vorsichtig/ defensiv/ vorausschauend fährt der Versicherte? Wie unfallträchtig sind seine Fahrstrecken oder Fahrzeiten? Wie häufig benutzt er sein Fahrzeug? Wie konzentriert oder abgelenkt ist der Fahrer? Etc. Die Vielfältigkeit und möglicherweise Beliebigkeit derartiger Faktoren könnte freilich auch zu einer Intransparenz der Beitragshöhengestaltung und gewissen Willkür bei der Eingruppierung führen. Jedoch sollte man das nicht so pessimistisch sehen, denn in allem steckt die Chance auf eine Beitragssenkung!
Den Berichten über die Einführung des „Unfalldatenspeichers“ zufolge sollen Datenschützer vor der Markteinführung nach ihrer Meinung gefragt worden sein. Datenschutzrechtliche Bedenken bestanden – der Werbeankündigung der einführenden Versicherung zufolge – nicht, da die Autofahrer ja freiwillig den Kasten installieren lassen und einer Erhebung und Nutzung ihrer Daten zustimmen.
Damit ist der Weg frei. Der Weg zu noch mehr Individualität, die wir alle dringend brauchen.
Als wunderbarer Nebeneffekt ließen sich die gesammelten und gespeicherten Daten noch für andere Zwecke als die Beitragsgestaltung nutzen. Dies betrifft zum einen den Pkw-Halter selbst: Der versicherte Ehemann könnte über die Auskunft über seine GPS-Daten endlich wesentlich leichter feststellen, wo seine Ehefrau ihre gesamte Freizeit vertrödelt. Vertrauen in die Angaben des Partners, er habe die ganze Woche Überstunden gemacht, wäre überflüsssig – man könnte die Angaben kontrollieren! Auch die Anschrift der Geliebten/ des Geliebten oder die Adresse des lauschigen Liebesnestes wäre wesentlich einfacher zu ermitteln. Die erwachsenen Kinder könnten überwacht werden, ob sie tatsächlich – wie vereinbart – um 24 Uhr zuhause waren, ohne dass man noch wach im Bett sitzen müsste. Die Ideen der Nutzung scheinen fast unbegrenzt!
Zum anderen betrifft es die Versicherungsgesellschaft selbst, die die gewonnenen Daten zu Werbezwecken nutzen und zum Höchstgebot den interessierten Anbietern von besonderen CD-Wechslern, Sitzschonbezügen oder Alufelgen verkaufen können. Hier lassen sich maßgeschneiderte, den Kundenprofilen exakt entsprechende Werbemaßnahmen durchführen.
Aber auch die Sicherheit der Bevölkerung, unser aller Anliegen der effektiven Verhinderung oder zumindest Aufdeckung von Straftaten könnte einen großen Schritt vorankommen, wenn die Ermittlungsbehörden – natürlich nur mit grundrechtssicherndem Richtervorbehalt – Zugriff auf die Speicherdaten bekommen könnten: Trunkenheitsfahrten am Wochenende könnten durch einen Abgleich der Daten über Fahrverhalten, Fahrzeiten und Fahrtstrecken an Wochentagen einerseits und am Wochenende andererseits wesentlich sicherer nachgewiesen werden, wenn der Beschuldigte nicht gleich gesteht. Fahrten über die deutsch-niederländische Grenze würden Erklärungsdruck und vorhaltefähige Vernehmungsmittel erzeugen oder noch besser in Verbindung mit einer Beweislastumkehrregel für unter 30-jährige Fahrer zu einer systematischen Bekämpfung von Drogenmissbrauch beitragen. Bei Straftaten könnte gezielt unter Rückgriff auf die gespeicherten Daten ermittelt werden, welcher Pkw sich zur Tatzeit in der entsprechenden GPS-Funkzelle befand und welche Halter daher zu überprüfen sind. Alibiüberprüfungen wären wesentlich einfacher. Auch für Rasterfahndungen böten sich ganz neue Möglichkeiten.
Natürlich wäre auch eine Weiterentwicklung denkbar für Ordnungswidrigkeiten aller Ort: Nicht angeschnallt losgefahren; Freisprecheinrichtung nicht genutzt, aber telefoniert; Geschwindigkeitsüberschreitung innerhalb oder außerhalb geschlossener Ortschaften usw., usw. Mit einer eingebauten EC-Karten-Schnittstelle könnten so Bußgelder direkt diskret vom Konto abgebucht werden.
Die Möglichkeiten des „Unfalldatenspeichers“ sind noch gar nicht abzuschätzen.
Zur Abrundung des Systems ist Folgendes vorzuschlagen:
Jeder, der einen solchen Kasten nicht möchte, macht sich verdächtig. Er scheint wohl etwas zu verbergen zu haben. Die Folge muss eine konsequente Höchsteinstufung im Beitragssatz sein und die Meldung an die zuständige Polizeidienststelle seines Wohnorts. Im Verkehrszentralregister könnte er einen Vermerk als „Gefährder“ bekommen mit der Folge erleichterter Durchführung „allgemeiner Verkehrskontrollen“.
Man sieht: Die Einführung des „Unfalldatenspeichers“ hat das Potential, unsere Gesellschaft noch sicherer zu machen, damit uns ein Stück unserer großen Verbrechensangst genommen werden kann. Der Verbraucher kann gar nicht dankbar genug diese Einführung begrüßen!