De legibus-Blog

7. Mai 2013

Gemeinfreiheit: Große Rechtsprechung im Kellergericht

LexXpress GmbH bezwingt das Bundesverfassungsgericht vor dem Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg

Thomas Fuchs

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg

Als ich das erste Mal zum Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg fuhr, um dort meine damalige Referendarsstation beim Bausenat anzutreten, gab es noch keine Navigationsgeräte. Da ich mich in Mannheim nicht auskannte, hatte ich einen Stadtplan dabei. An der Stelle, wo das Gerichtsgebäude ungefähr hätte sein müssen, hielt ich auf einem kleinen, nur ein paar Stellplätze umfassenden Parkplatz, um den Stadtplan zu studieren. Daraus entnahm ich zu meiner großen Belustigung, dass ich unmittelbar davor stand, ohne das unscheinbare Gebäude erkannt zu haben.

Heute fand dort, wie bereits angekündigt, die Verhandlung über die Berufung im Rechtsstreit der LexXpress GmbH gegen die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesverfassungsgericht, statt. Streitgegenständlich ist die Belieferung mit Entscheidungen dieses Gerichts zu den Bedingungen, die bislang exklusiv der juris GmbH gewährt werden. Die Verhandlung fand in dem im Keller liegenden Saal III statt, dauerte über drei Stunden und ihr Verlauf zeigte, dass die demnächst zu verkündende Entscheidung (10 S 281/12) nicht unscheinbar sein, sondern wie eine Bombe einschlagen wird.

Eingangsportal zum Gerichtsgebäude

Eingangsportal zum Gerichtsgebäude

Für die LexXpress GmbH waren ihr Geschäftsführer Christoph Schwalb, Rechtsanwalt Dr. Clemens Antweiler (RWP Rechtsanwälte) und Rechtsanwalt Dr. Michael Nielen (Maucher Börjes Jenkins) zugegen. Das Bundesverfassungsgericht wurde nur durch zwei beamtete Volljuristen vertreten, nämlich Ministerialrat Wolfgang Rohrhuber als Leiter der dortigen Dokumentationsstelle in Begleitung eines Dokumentars. Für die beigeladene juris GmbH waren der Geschäftsführer Johannes Weichert, Rechtsanwalt Klaus Beucher und Rechtsanwältin Dr. Sibylle Gering (beide Freshfields Bruckhaus Deringer) anwesend. Entschieden wird die Sache vom 10. Senat; Berichterstatter ist der bekannte Verwaltungsrechtler Prof. Dr. Friedrich Schoch.

Nach dessen Einführung in den Sach- und Streitstand bat der Vorsitzende Herrn Rohrhuber, die tatsächlichen Abläufe bei der Dokumentationsstelle des Bundesverfassungsgerichts zu schildern. An dieser Stelle gab es für mich die erste Überraschung, denn dessen Ausführungen wurden nicht etwa verfremdet durch eine richterliche Protokollierung, sondern im eigenen Wortlaut des Sprechenden auf Band aufgenommen. Es geht also doch! Ich weiß nun nicht, ob es an der technisch-sprachlichen Ungewandtheit Rohrhubers lag oder ob die von der juris GmbH zur Verfügung gestellte Technik wirklich so primitiv ist, wie es nach seinen Schilderungen den Anschein hatte. Jedenfalls sprach er davon, dass es ein XML-Leerdokument gebe, das jeweils mit den Daten einer Entscheidung ausgefüllt werde. Das Ergebnis dieses Arbeitsgangs werde dann als Anhang einer E-Mail an die juris GmbH geschickt. Ein von ihm weiter genannter Umstand spricht dafür, dass es wirklich so ist. Eine automatisierte Formalprüfung auf Fehler werde nämlich erst bei der juris GmbH vorgenommen.

Benjamin Bremert von openjur.de auf dem Kellerabgang

Benjamin Bremert von openjur.de auf dem Kellerabgang

Danach kam der Vorsitzende auf die Formulierung des Antrags zu sprechen. Die der Berufung zugrunde liegende Klage sei nicht nur als Verpflichtungs-, sondern auch als Leistungsklage zulässig. Er empfehle deshalb eine Formulierung, in der das Wort „Verurteilung“ vorkomme. Für mich war an dieser Stelle bereits klar, dass es gut für die LexXpress GmbH aussieht. In diesem Zusammenhang wurde übrigens auch deutlich, dass die LexXpress GmbH ihr Begehren in der Berufungsinstanz eingeschränkt hatte. Sie verlangt nun nicht mehr kostenlose und zeitgleiche Belieferung, sondern eine zu den Bedingungen, wie sie der juris GmbH gewährt werden.

Daran schloss sich dann das vom Vorsitzenden und dem Berichterstatter mit bewundernswerter Gedankenklarheit und Gelassenheit geleitete Rechtsgespräch an. Ich muss an dieser Stelle hervorheben, dass keine Monologe gehalten wurden, sondern tatsächlich ein diskursives Gespräch der Verfahrensbeteiligten stattfand. Das ist in anderen Gerichtsbarkeiten leider nicht ganz so. Inhaltlich will ich hier nur auf drei Punkte zu sprechen kommen.

Die Verfahrensbeteiligten mit Rechtsanwalt Dr. Michael Nielen im Profil

Die Verfahrensbeteiligten mit Rechtsanwalt Dr. Michael Nielen im Profil

Zunächst ging es ausgehend von § 1 Abs. 2 Nr. 4 IWG um die Frage, ob die Arbeitsergebnisse der Dokumentationsstelle des Bundesverfassungsgerichts – das Zuordnen der Daten zu Metadaten und das Ergänzen der Texte um Orientierungssätze, Schlagwörter, Normenketten, Fundstellen und dergleichen – gemeinfrei sind. Angesprochen war also § 5 UrhG. Hier will der Senat zu meiner zweiten Überraschung nicht § 5 Abs. 2 UrhG betreffend andere amtliche Werke, sondern § 5 Abs. 1 UrhG anwenden, wobei der maßgebliche Begriff der des amtlich verfassten Leitsatzes ist. Darunter verstanden wir bislang dem Spruchkörper zuzurechnende Leitsätze. Die unbefangene, das scheinbar Selbstverständliche hinterfragende und auf den erkennbaren Zweck abstellende Herangehensweise der sonst wohl eher selten mit Urheberrecht befassten Oberverwaltungsrichter dürfte sich aber tatsächlich als richtig erweisen. Der Begriff ist also weit auszulegen und erfasst das gesamte Dokumentationsergebnis, weil dieses nachgerade auf Leitung im Sinne von verbesserter Orientierung angelegt ist. Die amtliche Verfasstheit dieser Leitsätze sahen die Richter angesichts der Ausführungen Rohrhubers, dass eben nur die Bediensteten des Bundesverfassungsgerichts die Dokumentation besorgten, als gegeben an. Rohrhuber versuchte daraufhin, den von ihm mehrfach so genannten „großen Unterschied“ herauszuarbeiten, was ihm mangels der erforderlichen Durchdringung der technischen Zusammenhänge aber nicht gelang. Auch sein Versuch, sich mit dem an die Klägerin gerichteten Vorwurf aus der Affäre zu ziehen, man rede hier – mit Blick auf die XML-Dokumente – von Dingen, die man noch nie gesehen habe, ging nach hinten los. Schwalb gab nämlich zur allgemeinen Erheiterung zu bedenken, dass man sonst nicht hier sitzen würde.

Freude auf Kläger- und Ratlosigkeit auf Beklagtenseite

Freude auf Kläger- und Ratlosigkeit auf Beklagtenseite

Anschließend wurde der Punkt erörtert, ob das Bundesverfassungsgericht der juris GmbH die XML-Dokumente zur Weiterverwendung zur Verfügung stelle, denn nur dann kann es nach § 3 Abs. 1 IWG einen Gleichbehandlungsanspruch geben. Hier wurde nun die Doppelfunktion der juris GmbH als Verwaltungshelferin und Marktakteurin beleuchtet. So wie es aussah, wird der Senat den Anspruch an dieser Voraussetzung nicht scheitern lassen, da die juris GmbH offensichtlich auch am Markt tätig ist.

Beim dritten Punkt, nämlich die Ausnahmeregelung nach § 3 Abs. 4 S. 2 IWG, dass das Einräumen eines ausschließlichen Rechts über die Weiterverwendung von Informationen zur Bereitstellung eines Dienstes im öffentlichen Interesse erforderlich ist, wurde es nun noch einmal interessant. Hier kam nämlich der von mir veröffentlichte Beschluss (siehe Fußnote 29 meines Aufsatzes) der Präsidentinnen und Präsidenten der obersten Gerichtshöfe des Bundes über die Verfahrensweise mit Gleichbehandlungsanträgen nach dem Informationsweiterverwendungsgesetz zur Sprache. Dazu wusste Rohrhuber Erstaunliches zu berichten. Man halte das Informationsweiterverwendungsgesetz zwar gar nicht für anwendbar, stütze sich aber jedenfalls auf diese Ausnahmeregelung. Außer der juris GmbH gebe es nämlich niemanden, der sich den schwierigen und unbedingt zu erfüllenden Anforderungen der Gerichte an eine Rechtsdatenbank beugen wolle. Über 70 Prozent dessen, was die Rechtsdatenbank juris ausmache, stamme von den Gerichten. Der Berichterstatter fragte daraufhin, woher man das denn wisse. Habe man denn die im Licht der europarechtlichen Auslegung des Informationsweiterverwendungsgesetzes erforderliche Markterkundung durchgeführt? Werde denn die nach § 3 Abs. 4 S. 3 IWG ausdrücklich vorgeschriebene Evaluierung im Dreijahresrhythmus durchgeführt? Rohrhuber musste das beschämt verneinen. An dieser Stelle möchte ich allerdings nochmals anmerken, dass es mit der Einräumung von Ausschließlichkeitsrechten ohnehin schwierig wird, wenn wegen der Gemeinfreiheit gar keine Rechte bestehen.

Christoph Schwalb als schon strahlender, voraussichtlicher Sieger

Christoph Schwalb als schon strahlender, voraussichtlicher Sieger

Die Redebeiträge der beteiligten Rechtsanwälte habe ich hier nicht besonders hervorgehoben. Durch kluge, sachkundige und wortgewandte Ausführungen tat sich vor allem Dr. Nielen als Urheberrechtler der Klägerin hervor. In vielen seiner Ausführungen erkannte ich auch meine eigene Rechtsansicht wieder. Bei den anwesenden Vertretern von Freshfields Bruckhaus Deringer bestätigte sich dagegen die Beobachtung, dass in Großbuden nicht bloß auch nur mit Wasser gekocht wird, sondern mitunter auch einfach die Qualität fehlt. Beucher machte nämlich alles andere als eine gute Figur. Ihm fehlte ebenso wie Rohrhuber offensichtlich nicht nur das technische Hintergrundwissen, sondern auch seine Rechtsausführungen gingen an der Sache vorbei. Diese waren wegen Ausblendung gesicherten Wissens (die auf Seite 9 meines Aufsatzes zusammengefasste Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu amtlichen Werken) entweder intellektuell unredlich oder einfach nur unbedarft. Auch sprachlich war es eine Qual, seiner stockenden Rede zuzuhören. Er hätte lieber seine Assistentin, welche wohl die eigentliche Sachbearbeiterin war, zu Wort kommen lassen sollen.

Nachdem auch Beucher klar wurde, wohin die Reise geht, tat er abschließend seine Überraschung kund. Wenn man gewusst hätte, dass es auf die von der Klägerin schriftsätzlich erörterten gesetzlichen Merkmale ankomme, hätte man dazu intensiver vorgetragen. Er bat deshalb um ein Schriftsatzrecht, was er auf entsprechenden Vorhalt des Vorsitzenden aber zurücknahm.

Auf die Entscheidung des Senats kann man sich als Freund der Gemeinfreiheit nach allem freuen. Sie wird voraussichtlich einiges an Verkrustungen aufbrechen und im Übrigen auch europarechtlich einiges zu bieten haben.

Nachtrag vom 8. Mai 2013

Die LexXpress GmbH hat, wie soeben bekannt wurde, tatsächlich gewonnen. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hob den ablehnenden Bescheid des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Juli 2009 mit Urteil vom 7. Mai 201310 S 281/12 – auf und verurteilte die Bundesrepublik Deutschland dazu, der LexXpress GmbH sämtliche Entscheidungen, die sie der juris GmbH seit dem 1. Juni 2009 zum Zwecke der Veröffentlichung zur Verfügung gestellt hat, zu denselben Bedingungen und in derselben Form zu übermitteln. Die Revision wurde – wie bei der grundsätzlichen Bedeutung des Rechtsstreits zu erwarten – zugelassen. Die Entscheidungsgründe liegen allerdings noch nicht vor.

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  1. […] anzulesen. Und dabei kamen eine Detailfreude heraus, die mir gefallen hat. Den Bericht finden Sie hier. Und hier zum Output aus […]

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  2. Wochenrückblick: Selbstregulierung, Apple, Netzneutralität…

    +++ „Drosselkom”: Verbraucherzentrale NRW mahnt Telekom ab +++ VGH Baden-Württemberg kippt Juris-Monopol bei BVerfG-Entscheidungen +++ Selbstregulierung von Social Networks gescheitert +++ Verfassungsbeschwerde gegen Bestandsdatenausk…

    Trackback von Telemedicus — 12. Mai 2013 @ 23:12