De legibus-Blog

11. September 2011

Worte kosten kein Geld

Thomas Fuchs

Der Begriff des Honorars stammt vom lateinischen honorarium, was in der deutschen Sprache überlicherweise mit „Ehrensold“ übersetzt wird. Ein solcher Ehrensold ist nach traditionellem Verständnis seiner Höhe nach nicht primär an der Dienstleistung und ihrem Aufwand oder an dem wirtschaftlichen Marktwert der erzeugten ideellen Güter bemessen, sondern wird dem geistig Schaffenden im Bewusstsein der Unbezahlbarkeit überreicht (Matthias Kilian, Die Vergütung des Rechtsanwalts, in: Anwälte und ihre Geschichte. Zum 140. Gründungsjahr des Deutschen Anwaltvereins, Tübingen 2011, S. 701 [702]).

Die mit vereinbarten Stundenhonoraren verbundenen unterschiedlichen Erwartungshaltungen können mitunter zu besonders heftigen Streitigkeiten führen. Die hierzu zuletzt zum Bundesgerichtshof gelangten beiden Fälle, die bei den Landgerichten Wuppertal und Gießen ihren Ausgang nahmen, erregten in der Anwaltschaft dementsprechend nicht wenig Aufsehen. Über den ersten Fall habe ich bereits unter den Gesichtspunkten von Neid und Missgunst sowie des Abwatschens berichtet. Der zweite Fall führte ausgehend von den Maßgaben des IX. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs zu einer absurd detailversessenen Entscheidung des erneut dazu gezwungenen Berufungsgerichts (OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 12. Januar 2011 – 4 U 3/08). Wer für Worte Geld will, muss, wenn es danach geht, noch viel mehr Worte aufbieten.

Der genannte Senat meint, ein schlüssiges Darlegen geltend gemachter Stunden erfordere das nachvollziehbare Angeben der während des abgerechneten Zeitintervalls getroffenen konkreten Maßnahmen. Insoweit sei etwa mitzuteilen, welche Akten und Schriftstücke einer Durchsicht unterzogen, welcher Schriftsatz vorbereitet oder verfasst, zu welcher Rechts- oder Tatfrage welche Recherche angestellt oder zu welchem Thema mit welchem Gesprächspartner wann eine fernmündliche Unterredung geführt wurde. Ein näheres Substanziieren sei unverzichtbar, weil die für eine rechtliche Geschäftsbesorgung aufgewendete Arbeitszeit einer tatsächlichen Kontrolle nicht oder allenfalls in geringem Rahmen zugänglich sei. Dabei müsse die nahe liegende Gefahr ins Auge gefasst werden, dass dem Mandanten der tatsächliche zeitliche Aufwand verborgen bleibe und ein unredlicher Rechtsanwalt deshalb ihm nicht zustehende Zahlungen beanspruche (BGH, Urteil vom 4. Februar 2010 – IX ZR 18/09, jurisRdnr. 77, 79). Weshalb das bei einem regelmäßig von besonders hohem gegenseitigen Vertrauen gekennzeichneten Vertragsverhältnis nahe liegend sein soll, bleibt mir allerdings schon im Ansatz unverständlich. Der hier besprochene Aspekt solcher Honorarstreitigkeiten wäre deshalb unter grundsätzlichem Misstrauen in Karlsruhe zu verbuchen, wenn es nicht noch den für das Werkvertragsrecht zuständigen VII. Zivilsenat gäbe.

Eine entgeltliche Geschäftsbesorgung kann nach § 675 Abs. 1 BGB Gegenstand sowohl eines Dienst- als auch eines Werksvertrags sein. Immateriellen Charakter können dabei nicht nur Dienst-, sondern auch Werkleistungen haben. Das zeigt sich vor allem bei Architektenleistungen, die dem Werkvertragsrecht unterfallen (BGH, Urteil vom 17. April 2009 – VII ZR 164/07, jurisRdnr. 16, 19). In beiden Rechtsgebieten ist, wie die §§ 611 Abs. 1, 631 Abs. 1 BGB zeigen, die vereinbarte Vergütung geschuldet. Danach können die Vertragsparteien die Vergütung grundsätzlich frei vereinbaren. Das schließt die Vereinbarung einer nach Zeitaufwand zu bemessenden Vergütung ein (BGH, Urteil vom 17. April 2009 – VII ZR 164/07, jurisRdnr. 16). Beide Materien weisen danach Konstellationen auf, in denen hinsichtlich Leistung und Vergütung keine Unterschiede bestehen. Es wäre deshalb seltsam, wenn die beiden Zivilsenate in ihrer Rechtsprechung zu gegensätzlichen Maßstäben kämen. Genau das ist aber der Fall (BGH, Urteil vom 17. April 2009 – VII ZR 164/07, jurisRdnr. 33, 34):

„Verpflichtet sich der Besteller, die Vertragsleistungen des Unternehmers nach Aufwand mit verabredeten Stundensätzen zu vergüten, so ergibt sich die solcherart gemäß § 631 Abs. 1 BGB vereinbarte Vergütung aus dem Produkt des jeweiligen Stundensatzes und der Zahl der geleisteten Stunden. Zur Begründung seines Vergütungsanspruchs im Prozess muss der Unternehmer im Ausgangspunkt also nur darlegen und gegebenenfalls beweisen, wie viele Stunden für die Erbringung der Vertragsleistungen mit welchen Stundensätzen angefallen sind. Dies folgt aus der allgemeinen Regel, wonach der Kläger die seinen Anspruch begründenden Tatsachen darzulegen und zu beweisen hat.

[… Die] schlüssige Abrechnung eines Stundenlohnvertrags [setzt] grundsätzlich keine Differenzierung in der Art voraus, dass die abgerechneten Arbeitsstunden einzelnen Tätigkeiten zugeordnet und/oder nach zeitlichen Abschnitten (Tagen) aufgeschlüsselt werden. Solch eine Zuordnung mag sinnvoll sein. Zur nachprüfbaren Darlegung des vergütungspflichtigen Zeitaufwands erforderlich ist sie nicht, weil seine Bemessung und damit die im Vergütungsprozess erstrebte Rechtsfolge nicht davon abhängen, wann der Unternehmer welche Tätigkeiten ausgeführt hat. Sie muss deshalb vom Unternehmer nur in den Fällen vorgenommen werden, in denen die Vertragsparteien eine dementsprechend detaillierte Abrechnung rechtsgeschäftlich vereinbart haben. Eine dahingehende Abrede kann ausdrücklich oder konkludent nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalles getroffen worden sein. Jedenfalls muss sich aus ihr die Verpflichtung zur detaillierten Abrechnung hinreichend deutlich ergeben, so dass der Unternehmer darauf vorbereitet ist, den hierfür erforderlichen Dokumentationsaufwand zu betreiben.“

Damit hat sich der IX. Zivilsenat, obwohl er diese Entscheidung in jurisRandnummer 77 sogar zitiert, nicht einmal ansatzweise auseinander gesetzt, weil er an der entscheidenden Stelle nicht zwischen primärer und sekundärer Darlegungslast differenziert. Richtigerweise hätte der IX. Zivilsenat also nach § 132 Abs. 2, Abs. 3 GVG eine Vorlage an den Großen Senat für Zivilsachen vorbereiten müssen. Mit der stattdessen eingeleiteten Fehlentwicklung wird die Anwaltschaft eine Weile leben müssen. Den Architekten ist es erst nach Jahrzehnten gelungen, vergleichbar übertriebene Darlegungsanforderungen an erbrachte Leistungen aus der Welt zu schaffen (siehe Thomas Fuchs, Die Darlegungs- und Beweislast für erbrachte Leistungen im Architektenhonorarprozess, BauR 2006, 1978—1985).

Zitiervorschlag für diesen Beitrag:
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