De legibus-Blog

5. Juli 2010

Das verlogene Gesetz

Thomas Fuchs

Gerhard Strate entwickelt in seinem lesenswerten Aufsatz „Ende oder Wende des Strafzumessungsrechts?“ (NStZ 2010, 362—366) die These, das Strafzumessungsrecht, der alten Schule jedenfalls, sei spätestens mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren vom 29. Juli 2009 (BGBl. I 2010, 2353—2354) tot. Selten sei ein Gesetz und seine Begründung so widersprüchlich – man könne auch sagen: verlogen – gewesen. An die 60 Jahre „Rechtsentwicklung“ haben dabei tatsächlich Erstaunliches zu Stande gebracht. 1951 urteilte der Bundesgerichtshof noch, das Prozessverhalten des Angeklagten (Leugnen oder Geständnis) dürfe nicht um seiner selbst willen als Strafzumessungsgrund berücksichtigt werden (BGH, Urteil vom 10. April 1951 – 1 StR 88/51, BGHSt 1, 105). Werner Sarstedt, von 1956 bis 1977 Vorsitzender des 5. Strafsenats des Bundesgerichtshofs, kommentierte dementsprechend noch 1971, weder das Geständnis noch das Leugnen seien legitime Strafzumessungsgründe:

„Die wenigsten Geständnisse beruhen auf Reue; die meisten beruhen auf der Erkenntnis, dass das Leugnen nichts hilft, und eben auf der […] Hoffnung, dass ein Geständnis, welches dem Richter Arbeit, Zeit und Verantwortung spart, ihn aus diesem unsachlichen Grunde zur Milde stimmen wird. Die Revisionsgerichte haben fast niemals Gelegenheit, das zu korrigieren, weil die Staatsanwaltschaften dagegen keine Revision einzulegen pflegen.“

Heute sind diese unsachlichen Gründe, worauf Strate pointiert hinweist, in Form des § 257c StPO gesetzliches Programm.

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