De legibus-Blog

3. Januar 2011

Das schlechte Gewissen des Bundesfinanzhofs

Oliver García

Ein starkes Stück finde ich den Berichtigungsbeschluß des V. Senats des BFH vom 20.9.2010 – V R 2/09:

In dem Rechtsstreit ging es um die Frage, ob der Veräußerer eines Grundstücks eine Steuerminderung gelten machen kann, wenn er aufgrund einer dem Erwerber gegebenen Mietgarantie einen Teil des Veräußerungspreises zurückzahlen mußte. Der BFH hatte diese Frage entgegen der Vorinstanz bejaht und deshalb mit Urteil vom 11.2.2010 unter voller Stattgabe des klägerischen Antrags das Finanzamt verpflichtet, den Umsatzsteuerbescheid dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer auf -82.305,70 EUR festgesetzt wird.

An dieser vom Kläger errechneten Steuerhöhe hatte im gesamten Rechtsstreit niemand etwas auszusetzen, bis – nach rechtskräftigem Abschluß des Verfahrens – offenbar ein Beamter des verurteilten Finanzamts bemerkte, daß der Betrag mit einem Umsatzsteuersatz von 15 % errechnet war, obwohl im Zeitpunkt des Grundstücksverkaufs (1987) ein Umsatzsteuersatz von 14 % galt.

Das Finanzamt wandte sich deshalb noch einmal an den V. Senat und da es diesen offenbar peinlich berührte, daß er den Fehler nicht bemerkt hatte, hat er gerne dem Finanzamt durch eine Berichtigung nach § 107 Abs. 1 FGO geholfen und den festzusetzenden Umsatzsteuerbetrag auf -77.691,70 EUR geändert.

Viel Sinn für materielle Gerechtigkeit, möchte man meinen, aber es sieht etwas anders aus, wenn man sich die Maßstäbe ansieht, die der BFH für § 107 Abs. 1 FGO anlegt, wenn er über Beschwerden gegen Berichtigungen entscheiden muß, die Finanzgerichte vornehmen. Demnach gilt nämlich:

„Voraussetzung für eine Berichtigung ist hiernach, dass es sich bei dem Fehler um ein Versehen (Verschreiben, Verrechnen, Vergreifen usw.), d.h. um einen „mechanischen“ Fehler handeln muss, der ohne weitere Prüfung erkannt und korrigiert werden kann. [ … Dies scheidet] aus, wenn der Fehler auf einer unrichtigen Tatsachenwürdigung oder einer fehlerhaften Rechtsanwendung beruht; schon die bloße Möglichkeit eines entsprechenden (ggf. auch offensichtlichen) Fehlers schließt nach einhelliger Ansicht eine Berichtigung nach § 107 FGO aus.“

(Beschluß vom 14.02.2005 – IX B 234/02)

Nach diesen Grundsätzen, die nicht nur ständige Rechtsprechung des BFH (siehe auch Beschluß vom 19.11.2003 – I B 47/03; Beschluß vom 18.08.2004 – III B 116/03) sind, sondern in allen Gerichtsbarkeiten gelten (§ 319 ZPO, § 118 VwGO, § 138 SGG), hätte der BFH hier nur dann die Berichtigung aussprechen können, die dem Kläger einen Teil seines Sieges wieder nahm, wenn es im Urteil des Senats selbst einen Anhaltspunkt gegeben hätte, daß er einen anderen Steuersatz zugrunde legen wollte als der, mit dem der tenorierte Betrag „stimmt“. Nur dann könnte von einem Versehen, das „offensichtlich“ ist, gesprochen werden. Offensichtlich war aber hier sogar etwas anderes: Nämlich, daß der Senat die vom Kläger genannte Zahl gar nicht hinterfragt hat, sondern ohne weiteres hingenommen hat. Dann liegt aber das Versehen ausschließlich beim Kläger und in keiner Weise beim Senat. Darauf, ob es offensichtlich ist, kommt es somit gar nicht mehr an.

Was bleibt, ist ein gerichtlicher Rechtsanwendungsfehler, ausgelöst von einer Zuvielforderung von Seiten des Klägers, ein Fehler zumal, der vom Finanzamt während des gesamten Verfahrens hätte aufgeklärt werden können. Von einem berichtigungsfähigen Fehler ist das weit entfernt.

Zitiervorschlag für diesen Beitrag:
https://blog.delegibus.com/331

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