De legibus-Blog

28. Mai 2012

Gesundes Volks-, äh Rechtsempfinden

Thomas Fuchs

Dr. Peter Ramsauer, Mitglied der Christlich-Sozialen Union in Bayern und derzeit noch Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, meint, auf den von Verkehrsrowdys beherrschten deutschen Straßen müsse etwas geschehen, damit die CSU bei den Wahlen 2013 gut abschneidet. Die Flensburger Verkehrssünderkartei sei zu reformieren. 30.000 Menschen, die sich an einem von seinem Ministerium veranstalteten Diskussionsforum im Internet beteiligt hätten und uns jetzt anscheinend repräsentieren, wollten es so. „Bemerkenswert ist das gesunde Rechtsempfinden vieler Bürger„, sagte Ramsauer.

Gesundes Rechtsempfinden?! Es ist unglaublich, aber das scheint er wirklich gesagt zu haben. Wir erinnern uns an das Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuchs vom 28. Juni 1935 (RGBl. I 1935 S. 839):

„Die Reichsregierung hat das folgende Gesetz beschlossen, das hiermit verkündet wird:

Artikel 1. Rechtsschöpfung durch entsprechende Anwendung der Strafgesetze

Die §§ 2 und 2a des Strafgesetzbuchs erhalten folgende Fassung:

‚§ 2. Bestraft wird, wer eine Tat begeht, die das Gesetz für strafbar erklärt oder die nach dem Grundgedanken eines Strafgesetzes und nach gesundem Volksempfinden Bestrafung verdient. Findet auf die Tat kein bestimmtes Strafgesetz unmittelbar Anwendung, so wird die Tat nach dem Gesetz bestraft, dessen Grundgedanke auf sie am besten zutrifft.‘

[…]

Der Führer und Reichskanzler Adolf Hitler

Der Reichsminister der Justiz Dr. Gürtner“

Ramsauer ersetzte bei seiner Begriffswahl lediglich das Wort „Volk“ durch „Recht“. Das Empfinden derjenigen, auf das es ihm ankommt, ist jedoch weiterhin ein gesundes. Und härtere Strafen sind allemal gesund. Die Nähe zu einem der schlimmsten Kapitel der deutschen Strafrechtsgeschichte ist also unverkennbar, ein Irrtum erscheint ausgeschlossen.

Das Ergebnis seiner Umfrage wird folgerichtig so zusammengefasst: „Härtere Strafen für Fahrerflucht„. Die betreffende Vorschrift über das unerlaubte Entfernen vom Unfallort wurde durch die Verordnung zur Änderung der Strafvorschriften über fahrlässige Tötung, Körperverletzung und Flucht bei Verkehrsunfällen vom 2. April 1940 (RGBl. I 1940 S. 606) als § 139a StGB 1940 (jetzt § 142 StGB 1953—1998) unter Ausdehnung der Strafdrohung auf alle Verkehrsteilnehmer und mit beträchtlich erweitertem Strafrahmen (BVerfG, Beschluss vom 29. Mai 1963 – 2 BvR 161/63, jurisRdnr. 4) in das Strafgesetzbuch überführt:

„Der Ministerrat für die Reichsverteidigung verordnet mit Gesetzeskraft:

Artikel I

Das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich wird wie folgt geändert:

[…]

4. Hinter § 139 des Strafgesetzbuchs für das Deutsche Reich wird eingefügt:

‚§ 139a. (1) Wer sich nach einem Verkehrsunfall der Feststellung seiner Person, seines Fahrzeugs oder der Art seiner Beteiligung an dem Unfall vorsätzlich durch Flucht entzieht, obwohl nach den Umständen in Frage kommt, daß sein Verhalten zur Verursachung des Unfalls beigetragen hat, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren oder mit Haft und mit Geldstrafe oder mit einer dieser Strafen bestraft.
   (2) Der Versuch ist strafbar.
   (3) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Gefängnis nicht unter sechs Monaten oder Zuchthaus.‘

[…]

Der Vorsitzende des Ministerrats für die Reichsverteidigung Göring, Generalfeldmarschall

Der Generalbevollmächtigte für die Reichsverwaltung Frick

Der Reichsminister und Chef der Reichskanzlei Dr. Lammers“

Schon diese Vorschrift öffnet in der Praxis, wie Oliver García in unnachahmlicher Art herausgearbeitet hat, dem gesunden Volksempfinden Tür und Tor. Reinster Populismus also, was Ramsauer da veranstaltet. Wir verfassungstreuen Verkehrsrowdys sehen es mit Sorge.

Zitiervorschlag für diesen Beitrag:
https://blog.delegibus.com/2218

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