De legibus-Blog

9. Oktober 2012

Streit zwischen Hessen und NRW über die Steuer-CD-Beute

Oliver García

Der hessische Finanzminister fordert von Nordrhein-Westfalen einige Millionen Euro als Anteil an der (Aus-)Beute der Steuer-CDs, die nordrhein-westfälische Steuerfahnder von Datenhehlern aus der Schweiz – auch mit hessischem Geld – gekauft hatten. Das NRW-Finanzministerium lehnt das strikt ab. Und die hessische Opposition kritisiert, daß man nicht – wie der Finanzminister – den Ankauf der CDs ablehnen und trotzdem die Forderung nach einer Beteiligung an Erlösen erheben könne. Ob diese Argumentation stichhaltig ist, sei dahingestellt. Man könnte sich aber auch umgekehrt fragen – da die „Untreuemode“ in der Spielart der Regierungskriminalität gerade ihre Blütezeit erlebt (Mappus, Deubel) -, ob sich der hessische Finanzminister nicht dadurch strafbar gemacht hat, daß er den Nordrhein-Westfalen überhaupt Geld gegeben hat für die von ihm abgelehnten Aktionen, und das ohne dabei einen Rücklauf von Geldern zu stipulieren.

Es geht dem Finanzminister um einen Anteil an den Geldbußen, die von nordrhein-westfälischen Gerichten und Staatsanwaltschaften verhängt worden sind. Es geht nicht um Steuernachforderungen, die direkt oder indirekt aufgrund der Steuer-CDs ausgelöst worden sind. Solche Zahlungen gelangen ohnehin an den Fiskus, dem sie von Rechts wegen zustehen*. Hier ist Nordrhein-Westfalen von vornherein nicht „ungerechtfertigt bereichert“. Man kann sich der Position des Finanzministers anschließen (die Beteiligung am Nutzen müsse der Beteiligung an den Aufwendungen proportional entsprechen) oder der Opposition zustimmen – das Grundproblem ist aber ein ganz anderes: Nämlich daß sich Nordrhein-Westfalen überhaupt eine bundesweite Zuständigkeit für die Strafverfolgung von Steuerhinterziehern in den Liechtenstein- und Schweizfällen angemaßt hat und weiter anmaßt.

Dies läßt sich schön anhand eines der frühesten Fälle in diesem Zusammenhang veranschaulichen: Im Jahr 2008 wurde in Bochum einem Hessen dafür der Prozeß gemacht, daß er in Hessen eine Steuerhinterziehung zu Lasten des hessischen Fiskus begangen hatte. Das Landgericht Bochum verurteilte ihn zu einer Gefängnisstrafe, die gerade noch zur Bewährung ausgesetzt werden konnte, und zwar unter der Bedingung, daß er 7,5 Millionen Euro zahle. Von diesen floß 1 Million Euro in die nordrhein-westfälische Staatskasse, der Rest an gemeinnützige Einrichtungen.

Was begründete den Strafanspruch des nordrhein-westfälischen Staates für einen Sachverhalt, der sich vollständig auf Hessen beschränkte? Diese Frage stellt sich nicht isoliert für diesen Fall, sondern für Hunderte von Verfahren, die die „Schwerpunktstaatsanwaltschaft“ Bochum führte und führt. Meines Wissens ist in keiner veröffentlichten Entscheidung die Frage der Zuständigkeit der nordrhein-westfälischen Justiz für Angeklagte aus anderen Ländern auch nur annähernd befriedigend erörtert worden. Die meisten Strafverfahren enden ohnehin im Wege einer Absprache, was allerdings Mängel der Legitimität des Verfahrens selbst nicht heilt.

Wenn sich überhaupt jemand Gedanken macht, dann scheint die Idee wohl zu sein, daß alle Liechtenstein- und Schweizfälle irgendwie miteinander verklammert sind durch die Identität der Banken, die in Liechtenstein und Schweiz beteiligt waren. Ist ein Nordrhein-Westfale unter den Kunden einer dieser Banken, so begründet dies wohl, nach dieser Denkart, einen Gerichtsstand in Nordrhein-Westfalen für alle Deutschen, die in gleichartiger Weise mit diesen Banken Geschäfte gemacht haben. Dieses Wunschdenken (zu einer ergebnislosen Suche nach einer Rechtsgrundlage bereits Römer, StraFO 2009, 194) dürfte im geltenden Recht am ehesten an §§ 13, 3 StPO festzumachen sein. Aber abgesehen davon, daß diese Bestimmungen schon einfach-rechtlich nicht so ausgelegt werden können (BGH, Urteil vom 30. September 2008 – 5 StR 215/08), würde eine solche Auslegung, die ein systematisches Übergreifen der Justiz eines Landes in die Angelegenheiten anderer Länder ermöglicht, schlicht einen Verstoß gegen das Grundgesetz bedeuten (vergleiche zur zwingenden Beachtung der verfassungsrechtlichen Zuständigkeitsordnung im strafprozessualen Bund-Länder-Gefüge BGH, Urteil vom 22. Dezember 2000 – 3 StR 378/00).

Der hessische Finanzminister täte also gut daran, seine Energien an geeigneterer Stelle einzusetzen und – zusammen mit dem Justizminister und dem Gesamtkabinett – darauf hinzuwirken, daß Nordrhein-Westfalen seine Einmischung in die Hoheitsrechte Hessens beendet. Dadurch würde die hessische Regierung auch ihren Beistandspflichten gegenüber hessischen Bürgern einmal nachkommen. Sollte Nordrhein-Westfalen durch Regierungsgespräche nicht zur Besinnung zu bringen sein, so sollte Hessen es vor dem Bundesverfassungsgericht verklagen.

* Gäbe es den Beschluß des BGH vom 28. November 2000 (5 StR 371/00) nicht, so hätte allerdings Nordrhein-Westfalen sicher auch versucht, die Forderungen des hessischen Steuerfiskus in seinen Justizfiskus umzuleiten.

Zitiervorschlag für diesen Beitrag:
https://blog.delegibus.com/2520

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