De legibus-Blog

10. Mai 2012

Dürrenmatt ahnte es … Die Käuflichkeit des Rechts

Michael Streck

Friedrich Dürrenmatt. Der Besuch der alten Dame. Claire Zachanassian (kurz CZ), Milliardärin, kommt nach Güllen, einem kleinen Ort irgendwo in Europa. Hier hatte sie ihre erste Liebschaft mit ILL, ein Kind von ihm, das er verleugnete. Sie wird von der Gemeinde herzlich (man weiß, was sie wert ist) begrüßt. Und sie ist großzügig: Eine Milliarde schenk sie Güllen, die Hälfte der Stadt, die andere Hälfte den Einwohnern. Glücksrausch in Güllen. Jedoch CZ: „Ich will die Bedingung nennen. Ich gebe Euch eine Milliarde und kaufe mir dafür die Gerechtigkeit“. Eine Milliarde „wenn jemand Alfred ILL tötet“. Ich will „Gerechtigkeit, Gerechtigkeit für eine Milliarde“. Der Bürgermeister: „Noch sind wir in Europa … Ich lehne im Namen der Stadt Güllen das Angebot ab. Im Namen der Menschlichkeit. Lieber bleiben wir arm, denn blutbefleckt.“ Kaum ist dieses Wort gesagt, beginnen die Güllener die Milliarde in Gedanken und tatsächlich (Kredit auf den Tod) auszugeben. Der eine bestellt besseres Essen, der andere neue Kleider oder Möbel. Das Geld steht vor der Tür; wer will ihm den Eingang verwehren.

Eine andere alte Dame, die Schweiz, ist verletzt. Bundesfinanzminister haben die Form der Höflichkeit verloren. Die Schweizer Indianer zu nennen, um sie mit der Kavallerie zu attackieren, hat wehgetan. Warum diese auf hohem Ross sitzende Bundesrepublik nicht zu versuchen. Vier Milliarden bekommt ihr, so diese Dame, die wir jetzt nicht CZ, sondern CH nennen wollen. Ihr müsst auch keinen töten, nur ein wenig die besonders hartgesottenen Steuerhinterzieher begünstigen, Euer Steuergerechtigkeitspostulat mal kräftig verletzen. Während die einen in dieser Republik der Versuchung sofort erlegen sind, tönen die anderen: Das gehe nicht. Man dürfe den Rechtsstaat nicht verkaufen. Man dürfe die besonders hartgesottenen Steuerhinterzieher nicht privilegieren. Aber vier Milliarden, lockt CH. Und derweilen rechnen die Kämmerer im Ruhrgebiet ihren Anteil aus, die armen Städte Mecklenburg-Vorpommerns wissen mit einmal, wie der Neubau einer Schule zu rechtfertigen ist. In rheinland-pfälzischen Gemeinden kann man Rathäuser renovieren. Man muss nur den Preis zahlen.

Bei Dürrenmatt geschieht dies im Theatersaal „Goldener Apostel“. Die Bürger öffnen eine Menschengasse, durch die ILL gehen muss. Er wird nicht überleben. Er wird erdrückt und zertreten. CZ verlässt zufrieden Güllen. In Berlin gibt es den Bundesrat und Bundestag. Auch hier kann man die Steuergerechtigkeit, die Rechtstaatlichkeit, wenn auch in einem Einzelaspekt, erdrücken und zertreten. Wollen wir über die Befriedigung von CH spekulieren? Bei Dürrrenmatt will es niemand gewesen sein. Wahrscheinlich will es auch bei uns niemand gewesen sein. Güllen und Güllner sind reich. Die Kämmerer des Ruhrgebiets können sich an den Zahlungen aus der Schweiz erfreuen.

Und tagtäglich wettern wir gegen die Korruption, und verkaufen in gleichem Atemzug ein Stück Steuergerechtigkeit gegen vier Milliarden.

Zitiervorschlag für diesen Beitrag:
https://blog.delegibus.com/2199

Rückverweis URL