De legibus-Blog

4. Februar 2011

Was vom Sommer unseres Lebens übrig blieb

Oliver García

Wenn man eine Rangliste der meistdiskutierten Gerichtsentscheidungen des letzten Jahres aufstellen würde, wäre das WLAN-Urteil des BGH vom 12.05.2010 (I ZR 121/08), von diesem mit dem Titel „Sommer unseres Lebens“ versehen, sicherlich weit vorne mit dabei. Unter den 550.000 bei dejure.org verzeichneten Entscheidungen ist sie sogar diejenige, zu der mit Abstand die meisten Nachweise vorhanden sind (siehe vorstehenden Link). Hier mag allerdings eine gewisse Verzerrung hineinspielen, ist es doch nach wie vor so, daß sich „das Internet“, auch das juristische, überproportional für „Internetthemen“ interessiert.

In dieser Woche sind zwei Entscheidungen veröffentlicht worden, die, jede auf ihre Art, in der Nachfolge der BGH-Entscheidung stehen. Zum einen die neue Berufungsentscheidung im selben Fall nach Zurückverweisung durch den BGH, zum anderen eine Entscheidung des LG Frankfurt/Main, die einen Parallelfall betrifft, den der BGH in den Erwägungen zu seiner Entscheidung in unverständlicher Weise ausgeblendet hatte.

In „Sommer unseres Lebens“ hat der I. Zivilsenat des BGH ausgesprochen, daß derjenige, der in einem Privathaushalt ein Funknetz ohne hinreichende Sicherung gegen Nutzung durch Dritte betreibt, als Störer haftet, wenn ein solcher Dritter im Internet eine Rechtverletzung begeht (im konkreten Fall: Bereitstellung eines Musikstücks – des Liedes „Sommer unseres Lebens“ – über eine Tauschbörse). Die Entscheidung ist überwiegend ungnädig aufgenommen worden – und dies zu recht. Wie man auch immer zu dem vom BGH gefunden Ergebnis stehen mag, die Entscheidungsgründe zeigten, daß der I. Zivilsenat die Problematik in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht nicht einmal ansatzweise durchdrungen hatte. Es ist ihm augenscheinlich nicht einmal aufgefallen, daß seine Entscheidung im Ergebnis nichts anderes bedeutet als ein Verbot der Ermöglichung einer anonymen Internetnutzung – und das, obwohl im Gesetz genau das Gegenteil steht (siehe z.B. § 13 Abs. 6 TMG). Daß in der fahrigen Entscheidungsbegründung dann auch noch eine zentrale Gesetzesbestimmung falsch zitiert wurde, machte das Bild eines Zivilsenats, der bereits auf Autopilot umgestellt hat, komplett.

Die Begründungsmängel, die später in nahezu jeder Entscheidungsbesprechung herausgestellt worden sind, hätten durchaus vermieden werden können. Im Vorfeld der BGH-Entscheidung waren Aufsätze erschienen, die dem BGH eine Ahnung vermitteln sollten, in welchem größeren Zusammenhang die zu treffende Entscheidung gesehen werden mußte: von Reto Mantz in JurPC Web-Dok. 95/2010, von Patrick Breyer in NJOZ 2010, 1085 und von mir in Telepolis (PDF-Fassung).

Man mag abwinken und sagen, die Erwartung sei illusorisch, daß sich der BGH vor einer Entscheidung mit allen möglichen Literaturstimmen auseinandersetzt. Doch der Fall zeigt ein strukturelles Problem beim Bundesgerichtshof: Während das Bundesverfassungsgericht vor Entscheidungen von ähnlicher Tragweite im großen Stil Sachverständige aus den einschlägigen Verbänden herbeizitiert, um sich von ihnen beraten zu lassen und so eine umfassende Folgenabschätzung seiner Entscheidungen zu ermöglichen, sieht es beim BGH ganz anders aus: Dort werden solche Entscheidungen im besten Fall in einem (hier eineinhalbstündigen) Rechtsgespräch mit den Parteivertretern vorbereitet, in dessen Rahmen ganz die Perspektive des anhängigen Einzelfalls im Vordergrund steht.

Ich hatte die stille Hoffnung (und war darin nicht allein), daß sich von den zahlreichen Mängeln der BGH-Entscheidung wenigstens einige im wiedereröffneten Berufungsverfahren vor dem OLG Frankfurt reparieren ließen. Dies betraf insbesondere Fragen der Sachverhaltsfeststellung, die bis zuletzt nicht geklärt, sondern quasi zwischen den Instanzen zerrieben worden waren. Nicht geklärt war nämlich, welches Sicherheitsniveau der vom Beklagten eingesetzte Router überhaupt hatte und ob es subsumiert unter die Anforderungen des BGH (mögen diese richtig oder falsch sein) ausreichend war oder nicht. Das OLG hatte im ersten Berufungsverfahren keinen Anlaß, sich damit auseinanderzusetzen, da es die Klage schon aus vorgelagerten Gründen abgewiesen hatte. Der BGH ist hingegen in seiner Entscheidungsbegründung von Vorstellungen ausgegangen, die in den Sachverhaltsfeststellungen des OLG keine Stütze fanden (was nach revisionsrechtlichen Grundsätzen seine Richtigkeit haben mag). Es war also die Aufgabe des OLG Frankfurt im zweiten Berufungsverfahren, überhaupt den Sachverhalt festzustellen (Nachtrag 21.02.2001: Zu den Einzelheiten siehe nun Entscheidungsanmerkung von Mantz). Dieser Aufgabe hat es sich in seiner nun veröffentlichten Entscheidung vom 21.12.2010 (11 U 52/07) gänzlich entzogen, indem es schrieb:

Nach dem Revisionsurteil des Bundesgerichtshofes vom 12.05.2010 ist für den Senat verbindlich davon auszugehen, dass der Beklagte als verantwortlicher Störer auf Unterlassung in Anspruch genommen werden kann. Der Bundesgerichtshof hat den Rechtsstreit lediglich deshalb an das Berufungsgericht zurückverwiesen, weil der von der Klägerin im vorhergehenden Berufungsrechtszug formulierte Unterlassungsantrag die konkrete Verletzungsform verfehlt hat.

Nun, ein Erfolg des Beklagten im neuen Berufungsverfahren, der bei Willen zur korrekten Sachverhaltsaufklärung durchaus möglich gewesen wäre, hätte ohnehin nichts daran geändert, daß mit der BGH-Grundsatzentscheidung vom 12.05.2010 das Kind schon in den Brunnen gefallen war und Haftungsfragen dieser Art aufs falsche juristische Gleis gelenkt wurden. Das zeigt anschaulich eine Entscheidung des LG Frankfurt/Main vom 18.08.2010 (2-6 S 19/09), die ebenfalls jetzt veröffentlicht worden ist:

Dort ging es darum, ob im Anschluß an die BGH-Entscheidung nun auch ein „institutioneller“ WLAN-Betreiber, im vorliegenden Fall ein Hotelbetreiber, der seinen Kunden Internetzugang über einen von ihm unterhaltenen Anschluß gewährt, haftet, wenn seine Kunden Mißbrauch damit treiben. In Telepolis hatte ich Fälle dieser Art gebildet, um zu argumentieren, daß es ein Wertungswiderspruch wäre, wenn man Privatbetreiber ans Messer der Haftung liefern würde, während man institutionelle Betreiber, also solche, die eigentlich erst recht den ominösen „Überwachungspflichten“ (um ein beliebtes Topos der Störerhaftungsrechtsprechung zu benutzen) ausgesetzt werden könnten, ungeschoren ließe. Ist demnach, so die Argumentation weiter, eine solche Unterscheidung hanebüchen, so könnte der Wertungswiderspruch auch nicht dadurch gelöst werden, daß einfach beiden Gruppen die Duldung der WLAN-Mitnutzung durch Dritte untersagt wird. Denn für ein solches weitreichendes Verbot habe die Rechtsprechung keine ausreichende gesetzliche Legitimation, zumal, wie bereits angesprochen, das Gesetz sogar umgekehrt die anonyme Internetnutzung als den Normalfall postuliert. Auch in anderen Äußerungen wurde gerätselt, wie die Rechtsprechung nun mit den institutionellen Betreibern umgehen würde, am pointiertesten von Spindler in CR 2010, 592.

Was hat nun das LG Frankfurt/Main im Fall des Hoteliers, dessen Gäste in seinem WLAN-Netz unstreitig Urheberrechtsverletzungen begangen haben, entschieden? Es hat eine Haftung des Hoteliers verneint. Er hafte deshalb nicht, weil a) das WLAN-Netz marktüblich verschlüsselt gewesen war (unter Hinweis auf BGH, „Sommer unseres Lebens“) und b) er seine Gäste „auf die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben hingewiesen hat“.

Im Ergebnis ist die Entscheidung begrüßenswert und doch ist etwas an der ihr zugrundeliegenden Argumentation faul. Schauen wir genauer hin, wie sich der Hotelier-Fall zu dem Privatmann-Fall aus „Sommer unseres Lebens“ verhält: Dem Privatmann war vorgeworfen worden, daß er sein WLAN nicht ausreichend gesichert hätte (wobei er erst recht gehaftet hätte, wenn er – bewußt oder unbewußt – ein völlig offenes WLAN betrieben hätte). Deshalb hatte sich ein anonymer Dritter unbefugt Zugang verschaffen und Rechtsverletzungen begehen können. Deshalb mußte der Privatmann haften. Anders der Hotelier: In seinem Fall geht die Rechtsverletzung nicht von einem unbefugten Dritten aus (diese Gefahr ist dank Verschlüsselung gebannt), sondern von einem Nutzer, der sich befugtermaßen im Netz des Hoteliers bewegt. Der Hotelier hatte dem späteren Rechtsverletzer die Zugangsdaten zu dem WLAN-Netz ausgehändigt, allerdings verbunden mit der Mahnung, sich rechtmäßig zu verhalten. Nun mag man lächeln über die juristische Naivität, die darin liegen mag, daß einer im Privatrechtsverkehr ausgesprochenen Ermahnung, sich rechtmäßig zu verhalten, irgendein zusätzlicher Wert beigemessen wird gegenüber der ohnehin bestehenden Pflicht, gegen keine Gesetze zu verstoßen. Doch das ist nicht der springende Punkt in diesem Fall. Die Fixierung auf den Gesichtspunkt der Verschlüsselung erweist sich in Wahrheit als der Irrweg bei der Behandlung dieser Fälle.

Wäre denn der Privatmann aus „Sommer unseres Lebens“ vom BGH anders behandelt worden, wenn sein Netz die bestmögliche Verschlüsselung aufgewiesen hätte, er aber an seiner Wohnungstür (und vielleicht auch an der Haustür) die Zugangsdaten zu seinem Netz angeheftet hätte, als allgemeine Einladung zur Mitbenutzung seines Netzes? Aus dem Blickwinkel des Schutzes der Rechtsgüter Dritter (hier: der Urheberrechte von Künstlern, deren Werke im Internet getauscht werden) würde dadurch sein Verhalten keine andere Bewertung nahelegen. Der wahre – und leider nur verklausuliert ausgesprochene – Grund, warum der BGH meinte, eine Haftung bejahen zu müssen, ist daß das Verhalten des WLAN-Betreibers es Dritten ermöglichte, unter dem Schutz von Anonymität das Internet zu nutzen und dadurch leichter Rechtsverletzungen zu begehen. Und in genau diesem Punkt sind die Fälle des Beklagten in „Sommer unseres Lebens“ und des Hoteliers deckungsgleich: Der Umstand, daß die Hotelgäste namentlich bekannt sind und erlaubtermaßen das WLAN des Hotels benutzen, ändert nämlich nichts an ihrer Anonymität. Denn eine Zuordnung und Nachverfolgung der Internetnutzung der einzelnen Gäste ist in diesem Fall genausowenig möglich wie im Fall eines unverschlüsselten Funknetzes. Eine solche Zuordnung wäre nur dann möglich, wenn der Hotelier über die Gewährung des Zugang zum WLAN hinaus das Nutzungsverhalten der Gäste überwachen und speichern würde. Zu einer solche Form von privater „Voratsdatenspeicherung“ ist er aber nicht befugt (unabhängig davon, daß das BVerfG in seinem Urteil vom 02.03.2010 – 1 BvR 256/08 – in bestimmten Fällen sogar eine gesetzliche Pflicht zur Vorratsdatenspeicherung für verfassungswidrig erklärt hat; siehe etwa 1 BvR 1811/99).

So zeigt der Hotel-WLAN-Fall, obwohl das LG Frankfurt/Main sich ausdrücklich auf die Grundsatzentscheidung des BGH stützt, einmal mehr, daß die Argumentation des BGH auf Sand gebaut ist.

Zitiervorschlag für diesen Beitrag:
https://blog.delegibus.com/399

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